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Botticelli in Berlin. Blick in die Ausstellung der Gemäldegalerie und der Skulpturensammlung im Kaiser-Friedrich-Museum, Raum 38, Florentinische Gemälde des 15. Jahrhunderts, 1904.
© Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz

Ausstellung "The Botticelli Renaissance": Der Coup der preußischen Beamten

Schinkel, Bode und Botticelli: Berlin spielt eine besondere Rolle bei der Wiederentdeckung der Werke Botticellis und dem Aufbau der Sammlung.

„How Botticellian!“ rief Oscar Wilde angesichts von Evelyn De Morgans Gemälde „Flora“ aus. Es zeigt eine ätherische Schönheit im geblümten Flattergewand à la „Primavera“ und illustriert den Grad von Einfühlung, mit dem Londons Ästheten ihrem Idol auf der Spur waren.

Wilde, De Morgan, aber auch der Zeichner Aubrey Beardsley verehrten Sandro Botticelli als den Großmeister der Florentiner Frührenaissance vor allem ob seines androgynen Schönheitsideals. Es waren Künstler, in Großbritannien die Präraffaeliten Edward Burne-Jones und Dante Gabriel Rossetti, in Frankreich so verschiedene Temperamente wie Jean-Auguste-Dominique Ingres, Edgar Degas oder Gustave Moreau, die Botticelli wiederentdeckten.

Zu Botticellis Renaissance trug bei, dass bis gegen Ende des Jahrhunderts weder philologisch beglaubigte Details aus seinem Leben noch ein gesichertes Portrait bekannt waren. Botticelli blieb die ideale Projektionsfläche. Biographie und Werk, folgert die Kunsthistorikerin Vanessa Müller, die zur Botticelli-Rezeption im 19. Jahrhundert geforscht hat, seien damals „weniger entdeckt als erfunden, eher konstruiert als rekonstruiert“ worden.

Aus der Sammlung eines Getreidegroßhändlers wird das Alte Museum bestückt

Berlin hat an dieser Neubewertung früh, sehr früh mitgewirkt – die entscheidenden Impulse jedoch kamen aus Paris und London. Schockierend und faszinierend zugleich müssen 1814 die Nachrichten über die von Napoleon systematisch zusammengeraubte Weltkunst im Louvre auf kunstinteressierte Zeitgenossen gewirkt haben. Im „Musée Napoléon“ setzte die Präsentation europäischer Malerei im Mittelalter ein. Zu den neuentdeckten „Primitiven“ gehörten italienische Quattrocento-Meister ebenso wie die alten Niederländer.

Als sich 1830 die Pforten des Königlichen Museums am Lustgarten – Schinkels Altes Museum – für das Publikum öffnen, ist beides in der von Gustav Friedrich Waagen und Carl Friedrich von Rumohr eingerichteten Berliner Gemäldeabteilung gleichermaßen qualitätvoll vertreten. Über die Hälfte der ausgestellten 1198 Gemälde stammen aus der 1821 erworbenen Altmeistersammlung des englischen Holz- und Getreidegroßhändlers Edward Solly.

Zu Sollys 3000 Bildern, die den preußischen Staat 500.000 Reichsthaler gekostet haben, zählt Botticellis „Hl. Sebastian“. Das 1474 für die Florentiner Kirche Santa Maria Maggiore gemalte Märtyrerbild gehört heute zu den Schätzen am Kulturforum. Ebenfalls Solly gehörte einst Botticellis großer Tondo „Maria mit dem Kind und Leuchter tragenden Engeln“. Es ist im Mai 1945 verbrannt.

Die preußischen Kulturbeamten müssen um die besten Werke konkurrieren

Edward Solly gehört zu den interessantesten Sammlerpersönlichkeiten seiner Zeit. In London geboren, ab 1791 in Danzig ansässig, macht er ein Vermögen durch waghalsige Schiffstransporte während der von Napoleon verhängten Kontinentalsperre. 1813 zieht Solly nach Berlin, wohnt in der Wilhelmstraße und heiratet eine höhere Tochter. Befreundet mit Schinkel, Waagen, den Humboldts, bekannt mit dem Kronprinzen, geschätzt von König Friedrich Wilhelm III., erwirbt er getreu seines Mottos „First delight, then educate“ innerhalb weniger Jahre gewaltige Bilderschätze, darunter die Seitenflügel des Genter Altars und Rembrandts „Jakob ringt mit dem Engel“.

Seine besondere Leidenschaft gilt den frühen Italienern: Carl Friedrich von Rumohr bemerkt süffisant, dass um 1818 ganz Oberitalien versessen darauf gewesen sei, ihm Bilder zu exorbitanten Preisen zu verkaufen. Nach der Rückkehr nach London baut Solly erneut eine Sammlung auf; sein elegantes Haus in Mayfair ist Schinkels und Waagens Anlaufstelle in der britischen Metropole.

Bei solchen Besuchen können Preußens Kulturbeamte lernen, mit welcher gesellschaftlichen Schicht die Museen künftig um den Erwerb der besten Werke konkurrieren werden. 1829 gelingt noch einmal der Kauf eines solchen Spitzenstücks, als Rumohr in Florenz Botticellis Bardi-Altar für Berlin sichert. Teile der bedeutenden Kapellenausstattung haben sich bis heute in Florenz erhalten, die Altartafel jedoch schmückt seit ihrer Eröffnung 1830 die Berliner Galerie.

Bode kauft das Porträt der von Giuliano de' Medici angehimmelten Simonetta Vespucci

Programmatisch: Edward Burne-Jones "The Mill" von 1870 erinnert nicht zufällig an die drei Grazien Sandro Botticellis aus der Frühlings-Allegorie.
Programmatisch: Edward Burne-Jones "The Mill" von 1870 erinnert nicht zufällig an die drei Grazien Sandro Botticellis aus der Frühlings-Allegorie.
© Victoria and Albert Museum

Einen weiteren bedeutenden Botticelli erwirbt der polnische Graf Athanasius Raczynski 1824 in Paris: das Rundbild einer Muttergottes mit Kind und acht Engeln. Der Raczynski-Tondo nimmt eine Sonderstellung in der auf zeitgenössische deutsche Kunst spezialisierten Sammlung ein, die der Graf nach seiner Übersiedlung nach Berlin 1836 in seinem Haus Unter den Linden und ab 1847 im neuerrichteten Palais Raczynski am Königsplatz – dort, wo später der Reichstag entsteht – öffentlich präsentiert.

Bode sorgt dafür, dass Raczynskis Madonna 1904 als Leihgabe der Familie im Bode-Museum landet. Nach mehreren Prozessen wird das Bild 1954 für die (West-)Berliner Gemäldegalerie angekauft, wohingegen Raczynskis deutsche Malerei seit 1903 im heutigen Nationalmuseum Poznan hängt.

Der Aufbau der Museen folgt nationalistischen, sogar imperialistischen Motiven. Als Wilhelm von Bode, gerade in die Verwaltung der Berliner Museen eingetreten, 1872 zu seiner ersten Dienstreise nach Italien aufbricht, geht es, so Irene Geismeier, langjährige Direktorin der (Ost-)Berliner Gemäldegalerie, vorrangig darum, „die verpassten Gelegenheiten wettzumachen und die erfolgreichen ‚Beutezüge' der Engländer, die Bode ebenso genau wie neidvoll beobachtet hatte, für Berlin auszugleichen.“

Gemeinsam mit Julius Meyer, damals Direktor der Galerie, erwirbt Bode in den Folgejahren einige kleinere Bilder Botticellis, so das Portrait des Giuliano de' Medici oder das Bildnis einer jungen Frau, in der Generationen von Kunsthistorikern die von Giuliano angehimmelte Simonetta Vespucci erblickt haben. Sie gilt auch als Vorbild der zentralen Frauenfigur in "Geburt der Venus".

Berlin entscheidet den Wettlauf um Botticellis Illustrationen der Göttlichen Komödie

Als 1904 das von Bode als Renaissance-Museum konzipierte Kaiser-Friedrich- und heutige Bode-Museum eröffnet, kann sich dessen Botticelli-Saal neben den Uffizien, der National Gallery oder dem Louvre sehen lassen. Und das, obwohl bedeutende Botticelli-Werke nach dem Hype der 1870er bis 90er Jahre kaum noch zu bezahlen sind. Amerikanische Sammler wie Isabella Stewart Gardner, John Pierpont Morgan und Händler wie Joseph Duveen kontrollieren den Markt.

Mindestens fünf Berliner Privatsammler hüten damals gleichwohl Botticelli zugeschriebene Gemälde: Eduard Simon, Oskar Huldschinsky, Oskar Hainauer, Richard von Kaufmann und Marcus Kappel. Bezeichnenderweise wird keines dieser Bilder den Weg in die Berliner Galerie finden. Bode äußert sich später enttäuscht über die von ihm betreuten Sammler.

Berlin entscheidet an anderer Stelle den Wettlauf für sich: 1882 erwerben Bode und der Direktor des Kupferstichkabinetts Friedrich Lippmann in London den Codex Hamilton 201: 85 Bögen mit dem Großteil von Botticellis Illustrationen zu Dantes „Göttlicher Komödie“. Lediglich sieben weitere Bögen bewahrt die Biblioteca Apostolica im Vatikan.

Die Queen ist not amused

Damals sind Botticellis filigrane Wimmelbilder noch wie ein Buch gebunden und gehören zur Sammlung illuminierter Handschriften des Duke of Hamilton, für die bei Sotheby's sagenhafte 88 000 Pfund – mehr als eine Million Goldmark – gefordert werden. Als in Berlin und London die deutschen Kaufabsichten bekannt werden, bricht ein Sturm der Entrüstung los; selbst Queen Victoria, die in dieser Sache an ihre Tochter schreibt (die deutsche Kronprinzessin Viktoria ist Schirmherrin der Berliner Museen), ist not amused.

Kurz vor dem Auktionstermin gelingen Herauslösung und Kauf der Botticelli-Zeichnungen und weiterer Handschriften aus dem Gesamtpaket trotzdem. 1945 geraten Teile der Dante-Illustrationen sowohl in die Hände der Amerikaner wie der Russen. Wiedervereinigt werden sie erst 1994.

The Botticelli Renaissance - Rahmenprogramm zur Ausstellung

Vermutliches Selbstbildnis um 1475, Detail aus dem Zanobi-Altar, Uffizien, Florenz.
Vermutliches Selbstbildnis um 1475, Detail aus dem Zanobi-Altar, Uffizien, Florenz.
© Wikipedia

Gemäldegalerie am Kulturforum, Matthäikirchplatz, 10785 Berlin, bis 24. Januar 2016

TICKETS:

14 Euro, ermäßigt 7 Euro. Es empfiehlt sich, ein Zeitfenster zu buchen unter: http://www.botticelli-renaissance.de/tickets

KATALOG:

Hirmer Verlag, 45 Euro

VORTRÄGE:

8. Oktober 2015, 18 Uhr:

Thomas Mann: „Fiorenza“. Ein Gespräch mit der Herausgeberin Elisabeth Galvan (Università di Napoli L'Orientale) und Peter von Becker. Szenische Lesung mit Schauspielern des Deutschen Theaters. Anmeldung erbeten: antwort.iicberlino@esteri.it

29. Oktober 2015, 18 Uhr:

Botticelli und die Romantik: Wiederentdeckung und Verbreitung. Daniel Godfrey (Charles Booth-Clibborn Collection, London)

5. November 2015, 18 Uhr:

Botticelli und die Moderne. Stefan Weppelmann (Kurator der Ausstellung, Kunsthistorisches Museum Wien)

26. November 2015, 18 Uhr:

Emilio Pucci und Botticelli: Kunst, Inspiration und Mode von den Hochzeitstruhen bis zur Couture. Alessandra Arezzi Boza (Modehistorikerin, Florenz). Auf Italienisch mit Simultanübersetzung. In Zusammenarbeit mit der Kunstbibliothek der SMB. Anmeldung erbeten: antwort.iicberlino@esteri.it

3. Dezember 2015, 19 Uhr:

„Die Medici“ als azione storica – Leoncavallos ambitioniertes Opernprojekt.

Arne Langer (Theater Erfurt) über den Komponisten und seine Zeit. Mit Arien aus der Oper „Die Medici“, gesungen von Ilia Papandreou und Juri Batuko, begleitet von Ralph Neubert (Piano). Veranstaltungsort: Musikinstrumentenmuseum. Eingang: Ben-Gurion-Straße. In Zusammenarbeit mit dem Theater Erfurt. Anmeldung erforderlich: antwort.iicberlino@esteri.it

17. Dezember 2015, 18 Uhr:

Botticelli und Berlin. Ruben Rebmann (Kurator der Ausstellung, Gemäldegalerie der SMB). In Zusammenarbeit mit der Kunstbibliothek der SMB.

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