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„Es gibt dich nicht mehr – begehrenstechnisch“. Franz Beil, Lilith Stangenberg und Martin Wuttke (v. l.).
© Eventpress Hoensch

René Pollesch mit "Von einem, der auszog...": Im Wal der Tränen

"Von einem, der auszog, weil er die Miete nicht mehr bezahlen konnte" - so heißt das neue Stück von René Pollesch und Tocotronic-Frontmann Dirk von Lowtzow an der Volksbühne. Es ist eine Werbemaßnahme für die hohe Kunst der Nicht-Zusammenarbeit.

„Wir sind uns fremd, doch gibt es nichts, was uns trennt“, flöten Lilith Stangenberg und Martin Wuttke mit betont zerbrechlichen Stimmen ins Volksbühnen-Rund, während das Filmorchester Babelsberg zur Höchstform aufläuft. „Wir haben nie gelebt, doch sind wir miteinander verklebt“: Die Lyrics passen wirklich hervorragend zu den Zweifeln, die der Diskurstheaterregisseur René Pollesch seit jeher an unseren sozialen (und anderen) Mainstreamkonzepten hegt.

Sie stammen vom Diskurspopsänger Dirk von Lowtzow. Zusammen mit dem Tocotronic-Frontmann hat Pollesch in der Volksbühne seine erste Oper kreiert. Und anders als in der von Stangenberg und Wuttke so großartig hingehauchten Droh- Hymne des Abends – „Ich hafte an dir wie eine Zecke an einem Tier“ – scheint die Allianz beim neuen Opernkünstlerduo bestens funktioniert zu haben. Vorab verrieten beide ihre Erfolgsstrategie: „Wir lassen uns in Ruhe“, erklärte Pollesch. Von Lowtzow „würde sogar so weit gehen zu sagen, dass es überhaupt keine Zusammenarbeit gab“. Soll heißen: Kreativitätstechnisch hat jeder, was man dem Abend im positivsten Sinne anmerkt, das Ureigene gemacht. Theatertext, Songs und Kompositionen korrespondieren zwar, hängen aber strukturell-dramaturgisch nicht voneinander ab. Tatsächlich taugt das Resultat zur Werbemaßnahme für die hohe Kunst der Nicht-Zusammenarbeit.

Der Abend pflegt ein eher lockeres Verhältnis zu seinem Titel

„Von einem, der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte“ heißt der gelungene Abend, der inhaltlich ein eher lockeres Verhältnis zu seinem Titel pflegt. Pollesch, der in seinem Gentrifizierungsstück „Stadt als Beute“ vor 14 Jahren erstmals einen Tocotronic-Song verwendete, und von Lowtzow, der seither „zirka 180 Pollesch-Stücke gesehen“ hat, wollen ihn eher als lässige Reminiszenz verstanden wissen. Tatsächlich geht es um Fundamentaleres als um Mitte-Gentrifizierung und Mietpreisbremsen, nämlich um eine Art alternative Schöpfungsgeschichte. Immer wieder kriecht das wunderbar heterogene Schauspieltrio (neben Stangenberg und Wuttke Franz Beil) in halbseidenen Entertainer-Glitzeroutfits, die Bert Neumanns bewährtes Lamettavorhang-Bühnenbild direkt ins Kostüm hinein verlängern, in den Bauch eines riesigen Wals. Der hölzerne Säuger hängt – Zahnreihen frontal dem Publikum zugewandt – halbhoch vom Schnürboden und bietet nicht nur den nötigen (Rachen-)Raum für Kostümwechsel, sondern auch für die Erörterung der ganz großen Menschheitsfragen. Irgendwie, konstatiert Stangenberg völlig zu Recht, sei das ja suboptimal gelaufen mit der Evolution: „Wir sind getrennt von diesem Lebensinstinkt und kennen nur den öden Mechanismus, mit dem das Reale in Repräsentation übergeht“.

Das Problem: Die große Nähe zum phantasmatischen Objekt

Womit wir ziemlich nahtlos beim Begehren à la Jacques Lacan wären: „Es gibt dich nicht mehr“, eröffnet Stangenberg ihren irritiert dreinschauenden Kollegen und schiebt im pragmatischen Ton einer Kaffee-Bestellung nach: „Ich meine, begehrenstechnisch.“ Das Problem: Zu große Nähe zum „phantasmatischen Objekt“. Die üblichen Pollesch-Diskurse also; schön vorgeturnt diesmal von einem Kinderchor und inhaltlich gewürzt mit einem besonders starken Schuss Evolutionstheorie à la Donna Haraway, mit Figurenanleihen bei der Hitchcock-Komödie „Immer Ärger mit Harry“ und natürlich mit Slavoj Žižek: Es käme ihm vor, „als würde Musik tote Gegenstände sprechen lassen“, informiert uns Martin Wuttke einmal lässig zwischen den Wal-Zahnreihen hindurch. Und schafft damit nicht nur einen für Pollesch-Verhältnisse geradezu gegenständlichen Bezug zum Abendgeschehen, sondern natürlich auch zu Žižeks Diktum, wonach wir in der Musik hören, was wir nicht sehen können.

Ob man, bezogen auf Polleschs und von Lowtzows Volksbühnen-Oper, tatsächlich so weit gehen muss , sei mal dahingestellt. Fakt ist, dass sich der Pollesch- Sound tatsächlich noch einmal anders anhört, dass er sich irgendwie neu zuspitzt, wenn er derart massiv aus dem Orchestergraben unterstützt wird. Sätze wie „Das ganze Bild ist völlig in Ordnung, nur du gehörst da nicht rein“ – von Wuttke unnachahmlich aus dem Wal-Rachen geschmettert – werden zwar auch mit den anschwellenden Klängen des Babelsberger Filmorchesters kein bisschen beglückender. Aber sie bekommen etwas Monumentales, ohne in Kitsch zu driften. Und eingedenk der Tatsache, dass es im Theater durchaus schon Sätze zu Denkmalstatus gebracht haben, die es ungleich weniger verdienen als Polleschs luzide Diskurse über die Spezies, steht ihnen das Monumentale allemal gut.

Wieder am heutigen Samstag sowie am 21., 22. und 31. März

Christine Wahl

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