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Poesie des Fuck You. Margarete Stokowski, Jahrgang 1986, polarisiert.
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Kolumnen-Band von Margarete Stokowski: Hexenjagd heißt jetzt Zaubererverfolgung

Für einen lauten und queeren Feminismus: Margarete Stokowskis zorniger Kolumnen-Band „Die letzten Tages des Patriarchats“.

Manche Bücher kommen leise, fast elegisch daher: Virginia Woolfs „Ein Zimmer für sich allein“ ist so ein Buch. Die Erzählerin streift durch den imaginären Oxbridge-Campus und malt sich aus, wie es wäre, wenn auch sie, als Frau, gleichen Zugang zur Welt des Wissens hätte. Andere Bücher bemühen die ganze Wucht der Gelehrsamkeit wie Simone de Beauvoirs „Das andere Geschlecht“, das noch auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt wurde, den der Vatikan bis 1962 führte. Wieder andere Bücher markieren die Radikalität schon im Titel. Dazu gehört auch Margarete Stokowskis „Die letzten Tage des Patriarchats“.

Der gut 300 Seiten starke Band versammelt in zehn Kapiteln knapp 80 Kolumnen aus den letzten sieben Jahren: Entstanden zwischen 2011 und 2018, zunächst für die „taz“, später für „Spiegel online“. Lässig und provokant geschrieben, herausfordernd im Gestus. Stokowski schreibt für einen lauten und einen queeren Feminismus. Sie spießt Einwände, die es sich argumentativ zu leicht machen, unbarmherzig auf. Der Feminismus sei ja schön und gut, jetzt aber wirklich zu weit gegangen? Im Wesen der Sache, der Veränderung nämlich, liege es nun einmal, dass der Feminismus zu weit gehe, zu weit für die geltenden Normen, die er umformen möchte.

Sie schreibt an gegen die „bekloppten Zustände“ eines alltäglichen Sexismus und auch gegen Rassismus: gegen T-Shirts mit feministischen Aufdrucken, die es nur in kleinen Größen gibt und die unter eklatant ausbeuterischen und diskriminierenden Arbeitsbedingungen hergestellt werden. Sendungen wie „Germany’s Next Topmodel“ wünscht sie einen „Laster voller Mädchenkotze“, damit die Macherinnen und Macher die Augen vor der Bulimie, die sie erzeugen, nicht verschließen können. Sie polemisiert wider das unbezahlte Amt der Präsidentengattin oder argumentiert, dass Brüste „zu toll“ seien, um als bloßes werberisches „Dekomaterial“ zu dienen. Sie selbst hat das in einem früheren Buch einmal eine „Poesie des Fuck you“ genannt. Mit der gleichaltrigen britischen Autorin Laurie Penny wird Stokowski nicht zufällig immer wieder verglichen.

Man muss Stokowski nicht in allen Punkten zustimmen

Um dieses „Fuck you“ zu verstehen, hilft es vielleicht, einen Teil der öffentlichen Kommentare und privaten Post zu lesen, die im Band abgedruckt sind. „Kolumnistinnenbeschimpfung“ beschreibt das Feld noch längst nicht. Die Feministin Laurie Penny berichtet, ganz ähnliche Drohungen erhalten zu haben. Das ist die Spitze eines Eisbergs, den Stokowski vermessen und abtragen will, gegen den sie anschreibt. „Poesie des Fuck you“ heißt dann auch, ruhig einmal argumentativ gegen das Schienbein treten, wenn es zu dumm wird, jede Differenzierung wegfällt. Wenn etwa der Feminismus das Ende von Kompliment und Flirt bedeuten soll, weil die Männer heutzutage in Angst und Schrecken leben würden.

Wer sich „vom Feminismus beim Flirten verunsichern“ lasse, war auch „vorher schon zu dumm dafür“, entgegnet Stokowski. „Poesie des Fuck you“ heißt, einen komplexen Einwurf mal eben locker wegzuwischen. Ehegattensplitting? Das sei doch eine Nebenform der Prostitution. Kurzum: Man muss Stokowski nicht in allen Punkten zustimmen, sie wäre auch selbst die Letzte, die dies verlangte.

Stokowski schreibt engagiert, pointiert, persönlich

Eigenwillig ist die Auseinandersetzung mit den feministischen Vorläuferinnen: Über Simone de Beauvoir, so lernt man im Buch, hat die Autorin 2013 ihre Masterarbeit verfasst. Von ihrer ersten Lektüre mit 17 Jahren blieb nicht viel, vor allem Anekdotisches. Heute wünscht sie sich manchmal, Beauvoir hätte schlechter geschrieben: trockener, komplizierter, weniger bildreich. Vielleicht wäre Beauvoir seltener als misogyn denunziert worden? Für ihre eigene Poesie, „Fuck you“ oder nicht, scheint das keine Folgen zu haben. Oder war Beauvoirs eigenartiger Humor schuld? Bei sich selbst sieht sie zumindest manchmal auch ein „bisschen zu viel Ironie“ am Werk.

„Geld zum Leben und ein Zimmer für sich allein“: Schön ist, wie sie mit einer leicht aktualisierten Virginia Woolf im Gepäck eine erfolgreiche Enthüllungsreportage gegen den selbstgefälligen Strich bürstet. „Kein Ruhm für Stalker“ heißt das dann. Welche Gründe Elena Ferrante auch für ihre Anonymität hatte, was habe sie denn getan, dass das immer wieder angeführte öffentliche Interesse ihr Recht auf Privatsphäre überwiege? Soll das literarische Publizieren dafür schon genügen?

Stokowski schreibt engagiert, pointiert, persönlich. Auch das hat sie zu einer feministischen Identifikationsfigur ihrer Generation gemacht. Der Mut, sich der eigenen Feder – besser: der Tastatur – zu bedienen, steht gegenwärtig hoch im Kurs. Endlich passiert etwas, freut sich Stokowski, die in Radio- und Fernsehsendungen als Stimme der Bewegung eingeladen wird. Hashtag-Feminismus, das ist vielleicht der heikelste Punkt, der im Buch immerhin am Rande vorkommt: Ein Teil der einschlägigen Kolumnen entstand Mitte 2018, nach Redaktionsschluss.

„Hamse jedient im Genderkrieg?“

Stokowski ist stark, wenn sie im sprachlichen Ausdruck den tief sitzenden Haken findet. „Hamse jedient im Genderkrieg?“ Was heißt da Krieg? In welcher Gesellschaft leben wir, wenn wir öffentliche Auseinandersetzungen einen Kampf, ein Gefecht nennen? Pointiert stellt sie daneben, wie von häuslicher Gewalt unterdessen in der Sprache des „Beziehungsdramas“ berichtet wird. Die „Hexenjagd“ ist auch so ein sprachlicher Missgriff, den die Autorin genauer unter die Lupe nimmt. Zumindest wenn diejenigen, deren Übergriffe jetzt ans Licht kommen, sich als Opfer und Verfolgte inszenieren. Stokowski erinnert im historischen Exkurs an das männliche Pendant: Zaubererverfolgung. Vielleicht käme man mit diesem Ausdruck weiter?

Aber natürlich gibt es sie, die metaphorische Hexenjagd. Juristisch geht es dabei um das Terrain zwischen Unschuldsvermutung und falscher Beschuldigung. Beobachtet Stokowski die sprachlichen und faktischen Schieflagen genau, so ist sie in der begrifflichen Durchdringung manchmal zu salopp. Wer da, wie jüngst im Gespräch mit Svenja Flaßpöhler sagt, dass eine zu Unrecht zerstörte Männerkarriere angesichts der Frauenschicksale wegzustecken sei, begibt sich rechtlich, vom Moralischen einmal abgesehen, auf Glatteis. Keine Gleichheit im Unrecht, das ist – nicht nur juristisch – eine gute Maxime.

Feminismus und Antirassismus zusammendenken

Als Bewegung für gleiche Rechte hat der Feminismus seinen Anfang genommen. Die Hundertjahrfeiern des Frauenwahlrechts stehen gerade an. 1918 wurde es in Deutschland, Österreich und Polen eingeführt, 1919 in Schweden oder in den Niederlanden, 1920 in den USA. Dort hat die Allianz aus Antirassismus und Antisexismus, für die Stokowski steht, einen starken Anfang. Entstand die Frauenrechtsbewegung doch aus und mit dem Kampf gegen die Sklaverei. Keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, keine Benachteiligung aufgrund der Hautfarbe! Nach dem Bürgerkrieg bricht das Bündnis auseinander. Ein Teil der Suffragetten entscheidet sich, unter rassistischen Südstaatlern für das Frauenwahlrecht zu werben.

Besonders heftig sind die Reaktionen, schreibt Stokowski, wenn sie in ihren Kolumnen Feminismus und Antirassismus zusammendenkt. Wenn sie Vorstöße für Frauenrechte, die sich rassistischer Narrative bedienen, zurückweist. Auch ein Teil der amerikanischen Frauenrechtsbewegung hat so argumentiert: Right is of no sex, truth is of no color. Eine ihrer fast vergessenen Protagonistinnen, Lucy Stone, feiert dieses Jahr ihren 200. Geburtstag.

Margarete Stokowski: Die letzten Tage des Patriarchats. Rowohlt, Reinbek 2018, 320 S. 20 €.

Hendrikje Schauer

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