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Martin Walser
© dpa

Martin Walser und die deutsche Schuld: „Heute würde ich das nicht mehr sagen“

Und dieses Volk ist mir jetzt, erst jetzt, wirklich bekannt geworden: Martin Walser sagt, er könnte die Paulskirchenrede so nicht mehr halten.

Erst war da das Büchlein über den jiddischen Dichter Sholem Yankev Abramovitsh, das 2014 erschien, „Shmekendike blumen“; dann der Band „Unser Auschwitz“, der mit Auszügen aus seinen Romanen und Theaterstücken sowie seinen Essays zeigte, wie kontinuierlich sich Martin Walser seit dem Erscheinen seines Debütromans „Ehen in Philippsburg“ 1957 mit der deutschen Schuld, mit dem Holocaust auseinandergesetzt hat. Nun hat Walser in einem Interview mit dem „Spiegel“ gesagt: „Als ich Abramovitsh gelesen hatte, wusste ich: Ich könnte die Paulskirchenrede so nicht mehr halten.“ Und angesprochen auf die Aussage in seiner damaligen Rede, er schaue weg bei Filmsequenzen aus Konzentrationslagern: „Das hätte ich nie anwenden dürfen auf Auschwitz. Es wurde mir von jüdischen Intellektuellen mit Recht übel genommen, weil sie glaubten, ich wollte speziell von Auschwitz wegschauen. Und in solche Zusammenhänge darf man sich angesichts dessen, was geschichtlich passiert ist, einfach nicht begeben. Heute würde ich das nicht mehr sagen.“

Walser will klar zum Ausdruck bringen, kein Antisemit, Schuldverharmloser oder Schlussstrichzieher zu sein

Es hat den Anschein, als sei Martin Walser ganz bewusst auf Rehabilitationskurs, als wolle er gegen Ende seines Lebens noch einmal Missverständnisse ausräumen und klar zum Ausdruck bringen, kein Antisemit zu sein, kein Verdränger, kein Schuldverharmloser, kein Schlussstrichzieher. Wenn er in dem Essay über Abramovitsh schreibt:  „Ich kann nichts dagegen tun, in mir dominiert die Mitteilung, dass wir dieses Volk umbringen wollten und zu Millionen umgebracht haben. Und dieses Volk ist mir jetzt, erst jetzt, wirklich bekannt geworden. Durch Abramovitsh.“, dann könnte man ihm natürlich vorwerfen, dass ihm „dieses Volk“ und sein Schicksal reichlich spät „wirklich bekannt“ geworden ist.

Doch wiedergelesen lassen gerade seine Essays „Unser Auschwitz“ von 1965 und „Auschwitz und kein Ende“ von 1979 an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Hat Walser 1998 in der Paulskirche nicht auch gesagt: „Ich habe es nie für möglich gehalten, die Seite der Beschuldigten zu verlassen“? In Walsers Rede ging es um die Verantwortung einer ganzen Nation, um eine überbordende Erinnerungskultur, die mitunter ins gedenkenlose Leere zielt, um Gewissensmanipulationen („Öffentlich gefordert, regiert nur der Schein“), ja, um die „Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken“ (und eben nicht mehr, so Walser, zu Zwecken des Gedenkens und Nichtvergessendürfens).

Was Martin Walser damals nicht in den Sinn kam: dass auch eine Rede wie die seine, die er heute noch, 17 Jahre später, erklären muss, die also eine nicht wirklich gute, die keine unmissverständliche Rede war, ebenfalls instrumentalisiert und von falscher Seite beklatscht wurde. Und dagegen muss er sich bis heute wehren.

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