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Martin Walser: neuer Roman: Liebe ist unheilbar

Das Krankenzimmer als Weltbühne: Martin Walsers Dialog-Roman „Die Inszenierung“.

Man muss sich den 86 Jahre alten Martin Walser als heiteren Menschen vorstellen. Zu verlieren hat er ohnehin nichts mehr. Und ob ihn das Gewinnen noch interessiert? Jahr für Jahr produziert er einen neuen Text, der dann, mag er noch so luftig gebaut sein, „Roman“ genannt wird. Und in der Tat fällt diesem Alterswalser stets Neues, zumindest eine neue Form ein, auch wenn sich die Themen wiederholen: die Liebe und ihre Spielarten, die Vergeblichkeit und die Verbindlichkeit, das gesellschaftlich Normierte und das persönlich nach vorn Drängende.

„Das dreizehnte Kapitel“ von 2012 erweckte die klassische Form des Briefromans zum Leben. Nun folgt „Die Inszenierung“, ein Buch von knapp 200 Seiten; ein Theaterbuch, eins über einen Theatermacher, eins, das viel Theater macht; je nach Belieben. Ein Roman jedenfalls, geschrieben in wörtlicher Rede, in Dialogen. Die kurzen Einschübe sind Regieanweisungen, Umkleidepausen, Luftholmomente. Es treten auf: Augustus Baum, ein bedeutender Regisseur Mitte fünfzig, der nach einem Schwächeanfall im Krankenhaus liegt, länger, als er müsste. Der Grund: Ute-Marie, die Nachtschwester, 29 Jahre alt, Baum in Liebe verfallen, so wie er ihr. Wenn nicht gerade andere dringende Dinge zu erledigen sind, liegen beide in den Nächten beieinander.

Verheiratet ist Baum seit 29 Jahren (!) mit der Nervenärztin Dr. Gerda. Die bringt ihm immer sein Frühstück ins Krankenhaus. Außerdem: Lydia, Baums Assistentin und ehemalige Geliebte, die während seines Krankenhausaufenthaltes Baums Inszenierung von Tschechows „Möwe“ beisammenhalten soll, und schließlich Ute-Maries Verlobter.

Dieser Reigen von Verliebtheit und Verzehrung und Begehren hat, so soll es auch sein, etwas Aufgesagtes, Vorgedachtes. Man sei, so Baum, niemals Regisseur, man spiele bloß den Regisseur. „All the world’s a stage“ – der Satz von Shakespeare ist der vorletzte des Romans und: Programm. Das Krankenzimmer wird zur Bühne einer Tragikomödie und eines Geschlechterkampfes, eng verzahnt mit Tschechows „Möwe“. Das ist technisch so virtuos gemacht wie schon lange nicht mehr in einem Walser-Roman.

Der Graben zwischen Männern und Frauen erscheint unüberwindbar tief: „Was in mir Zärtlichkeit ist und hinaus will zu dir, ist, bis es bei dir ankommt, nichts mehr wert. Es ist eine Temperatur. Eine Spannung. Eine Fülle. Ein nicht bei sich selbst bleiben wollender Zustand. Ein Bedürfnis, das sich erst kennenlernt, wenn es sich mitteilt. Ein Ungenügen. Ein Selbst-nichts-sein.“ Das ist reine Kunst, ein Theatertext. Andererseits ist die Konstellation zwischen alterndem Draufgänger, Charmeur und Hallodri und bewundernd zu ihm aufschauenden jungem Ding fast wieder Realismus.

Dr. Gerda weiß von alldem. Ein Buch von ihr trägt den Titel: „Abhängigkeit, Wahn und Wirklichkeit“. Das passt. Ute-Marie ist nicht die Erste ihrer Art; „Wenn ich deine Affären, entschuldige, deine ... Geschichten summiere“, so Gerda, „kommt heraus: Du hast diese Frauen nur gebraucht als Spenderinnen von Energie.“

Da sind wir nahe am Klischee des Künstlers als promiskuitiv-kreatives Monster, dem alle Fehlgänge umgehend verziehen werden müssen. Denn verantwortlich gemacht wird hier nicht der Betrüger, sondern der- oder diejenige, der diesen Betrug notwendig gemacht hat. Aber man darf ja nicht den Fehler machen, vor dem Walser selbst stets warnt: den Autor für seine Figuren verantwortlich, gar haftbar zu machen. Hach, mag man seufzen, dieses umgarnende Parlando zwischen Augustus und Ute-Marie, diese Geständnisse und Heimlichkeiten, dieses Gesäusel und Geraune von der „Immunschwäche der Seele“ – könnte all das nicht mehr Substanz vertragen, vor allem mehr Tragik und weniger Peinlichkeiten?

Immerhin: Die Tragik kommt. Ein alter, in den USA als Dozent lebender Freund von Augustus, Hans Georg, schreibt zwei lange Briefe. Er hat sein eigenes Liebesschicksal. „Die Ehe bleibt“, schreibt er, „was sie immer war: das Kunstwerk der Verheimlichung. Ich war zu wenig Künstler.“ So ist „Die Inszenierung“ im Krankenzimmer wie „Die Möwe“ auf der Bühne: Sprache gewordenes „An-einander-vorbei-Lieben“.

Buchpremiere von „Die Inszenierung“ am Di., 10.9., 19.30 im Berliner Ensemble

Martin Walser: Die Inszenierung. Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2013. 174 Seiten, 18,95 €.

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