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Kulturdiplomat. Hermann Parzinger leitet seit 2008 als Präsident die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und ist einer der drei Gründungsintendanten des Humboldt-Forums.
© Bildschön/picture alliance / dpa

Humboldt-Forum und Kolonialismus: Hermann Parzinger: „Es muss neue Erzählungen geben“

Gründungsintendant Hermann Parzinger spricht im Interview über das Humboldt-Forum und die Last des kolonialen Erbes.

Herr Parzinger, hat Sie die scharfe Auseinandersetzung um das koloniale Erbe im Humboldt-Forum überrascht?
Uns war klar, dass die Diskussion kommen würde, spätestens mit der Eröffnung. Ich sehe darin eine große Chance, mit den Herkunftsländern neue Formen der Zusammenarbeit zu entwickeln. Für sie geht es nicht primär um Rückgabe, sondern um Aufklärung.

War es ein Versäumnis, sich der Debatte nicht schon früher gestellt zu haben – wie bei der NS-Raubkunst?
In der Ethnologie war Provenienzforschung lange kein Schwerpunkt. Jeder Kurator befasst sich zwar mit der Provenienz – wo kommt das Objekt her, wer hat es eingeliefert? Aber das ist nur der erste Schritt. Ähnlich wie bei der NS-Raubkunst muss der ganze Weg rekonstruiert werden. Das ist nur über Forschungsprojekte zu leisten. Auch bei der NS-Raubkunst dachte man lange, das Problem wäre mit den Entschädigungsverhandlungen der Nachkriegszeit erledigt, doch dann kam die ganze Diskussion noch einmal neu, bedingt auch durch ein verändertes historisches Bewusstsein.

In den Dahlemer Depots müssen noch tausende Objekte untersucht werden. Wie ist das zu schaffen?
Das Ethnologische Museum hat allein 500 000 Objekte – zum Teil aber Massenkonvolute wie Hunderte von Pfeilspitzen, die nicht einzeln untersucht werden müssen. Für die Provenienzforschung braucht es erstens nicht Quantität, sondern Qualität, also Experten mit spezifischer Kenntnis in Ethnologie, Kolonialgeschichte und zu den Sammlern. Zweitens muss diese Forschung gemeinsam mit den Herkunftsländern geschehen.

Was halten Sie von Emmanuel Macrons Vorschlag, die afrikanische Kunst aus den französischen Museen auf einen Schlag zurückzugeben?
Ein interessanter Vorstoß. Die Frage ist nur, wie man damit konkret umgeht: Welches Museum wird welche Objekte aus welchen Gründen an welches afrikanische Museum zurückgeben? Wer entscheidet darüber, Museum oder Politik? Solche Fragen sollten in einer internationalen Konferenz geklärt werden. Vielleicht hat Macron mit seinem Vorstoß einen Bann gebrochen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Deutsche, Belgier oder Briten sagen könnten, es ginge sie nichts an, wenn die Franzosen dieses Thema neu behandeln. Das geht alle ehemaligen europäischen Kolonialmächte an.

Müssten sich nicht auch Angela Merkel oder Monika Grütters äußern?
Politiker sollten sich nicht in Ankündigungen übertrumpfen. Staatsministerin Grütters hat bei Aufkommen der Diskussion schon erklärt, Provenienzforschung in diesem Bereich zu unterstützen – der entscheidende erste Schritt. Liegen Ergebnisse vor, muss man auch handeln. Aber dafür brauchen die Museen Regeln.

Dauert das nicht wieder zu lange? Warum geht die Preußenstiftung, Deutschlands größter Museumsverbund, nicht voran?
Wir haben bereits Grundhaltungen zum Umgang mit ethnologischen Sammlungen und human remains entwickelt. Danach sind Rückgaben grundsätzlich möglich, wenn die Dinge unrechtmäßig erworben wurden. So haben wir Ende 2017 die Rückgabe von neun Objekten an die Chugach in Alaska beschlossen, weil sie ohne Billigung einem Friedhof entnommen wurden. Mit Historikern und Kuratoren aus Tansania arbeiten wir zu Objekten aus dem Maji-Maji-Krieg. Im Humboldt-Forum wollen wir diese Geschichte gemeinsam erzählen. Der Maji-Maji-Krieg ist hier kaum bekannt, hat aber eine ähnliche Dimension wie der Genozid an den Herero und Nama. Diese Objekte wollen wir anschließend zurückgeben.

Gibt es sonst Anträge auf Restitution?
Nein, es gibt viele Anfragen von indigenen Gemeinschaften, die Objekte ihrer Kultur hier studieren wollen – vor allem aus Nord- und Lateinamerika. Die Diskussion über Rückgaben ist eher hierzulande virulent, in den Herkunftsländern wird das erstaunlich differenziert gesehen. Ähnlich wie bei der NS-Raubkunst wollen wir nicht nur auf Rückgabeforderungen reagieren, sondern proaktiv forschen und dabei internationale Zusammenarbeit stärken. Man kann auch Leihgaben und ganze Ausstellungen austauschen. Unsere Sammlungen beleuchten die Welt bis ins frühe 20. Jahrhundert, danach wurde kaum mehr gesammelt, dadurch haben wir nur ein Bild der Vergangenheit. Wir müssen auch die Gegenwart zeigen, dazu brauchen wir Kooperationen mit den Herkunftsländern. Hier könnten sich ganz neue Formen des Austauschs entwickeln. Man soll nicht immer so tun, als wäre alles zusammengeklaut.

Es ist immer die Rede von einem Austausch auf Augenhöhe. Ist das realistisch? Am Ende haben die Museumsmacher doch das letzte Wort.
Trotzdem ist es wichtig, aufeinander zuzugehen. Beim Tansania-Ausstellungsmodul werden die tansanischen Kollegen alle Freiheit des Kuratierens haben. Auch wir müssen lernen, die kuratorische Hoheit mit anderen zu teilen. Das ist für beide Seiten ein Lernprozess, doch wo soll er stattfinden, wenn nicht im Humboldt-Forum? Wir wollen den eurozentrischen Blick aufgeben, doch das ist leichter gesagt als getan. Das muss erlernt werden.

Vor allem an den durch die Briten geraubten Benin-Bronzen entzündet sich der Streit. Wie steht es da?
Bisher wurden keine direkten Restitutionsanfragen an uns gerichtet. Die Benin-Dialoggruppe, zu der alle Museen gehören, die Objekte aus Benin besitzen, hat zuletzt die Idee einer permanenten Ausstellung in Nigeria entwickelt. Das wäre ein erster Schritt. Dabei wird man irgendwann auch über Rückgaben sprechen müssen. Aber zu sagen, es ist alles gestohlen, also zurück damit, ist zu einfach, zumal etliche Stücke auch schon vor der britischen Strafexpedition auf dem Markt erworben worden sind.

Trotzdem bleibt der Eindruck, es müsste schneller gehen. Es fehlen deutliche Zeichen wie von Macron.
Provenienzforschung ist kompliziert und braucht ihre Zeit. Es gibt für mich keinen Grund, sie auszuhebeln, wir tun das auch bei NS-Raubkunst nicht. Es gab auch schon vor dem Feldzug der Briten einen schwunghaften Handel mit dem Königreich Benin. Die Geschichte ist nie schwarz oder weiß.

Dem muss sich auch die neue Leitung des fusionierten Ethnologischen Museums und Museums für Asiatische Kunst stellen. Die Stiftung hätte gerne Ines de Castro vom Stuttgarter Linden-Museum. Kommt sie?
Die Gespräche laufen.

Die Stellenausschreibung machte stutzig. Warum ist die Zusammenführung so verschiedener Museen sinnvoll?
Die Museen werden nicht vereinigt, sie bekommen eine gemeinsame Leitung. Im Übrigen waren sie schon einmal zusammen. Die ostasiatische Kunstsammlung war Teil des Völkerkundemuseums und wurde 1907 ausgegliedert. Das Museum für Indische Kunst wurde 1963 verselbstständigt. Es ist bezeichnend, dass man damals China, Japan und Indien als Hochkulturen betrachtet hatte, denen man eigenständige Kunstmuseen zubilligte, nicht aber Afrika, Südamerika und Ozeanien. Es ist an der Zeit, dies rückgängig zu machen. Wir wollen ein ganzheitlicheres Bild der Welt vermitteln, die Trennung von Ethnologie und Kunst ist überholt.

Neil MacGregor hat stark in die Ausstellungskonzeption am Humboldt-Forum eingegriffen. Die scheidende Direktorin des Ethnologischen Museums, Viola König, hat das bei ihrem Abschied kritisiert.
Das Humboldt-Forum ist eine Herausforderung für alle. Es zieht nicht einfach nur ein Völkerkundemuseum um. Es muss neue Erzählungen geben. Für uns als Gründungsintendanz war wichtig, dass etwa der Zusammenhang von Kultur und Naturraum sichtbarer wird. Ozeanien ist durchs Meer geprägt, diesen Kontext sollten nicht nur Boote sichtbar machen. Deshalb gibt es eine stärkere Zusammenarbeit mit Botanischem Garten und Naturkundemuseum. Bei den Staatlichen Museen genießen Direktoren und Kuratoren traditionell große Eigenständigkeit, aber in diesem Projekt sollte jeder lernen, dass Dinge hinterfragt werden müssen. Auch die Eröffnung 2019 wird nur ein Zwischenergebnis zeigen. Das Humboldt-Forum ist ein permanenter Prozess, es braucht Flexibilität und Veränderbarkeit, wenn es nicht langweilig werden soll.

Begegnung der Kontinente. Die Ausstellung „Unvergleichlich: Kunst aus Afrika im Bode-Museum“ ist eine Station auf dem Weg zum Humboldt-Forum.
Begegnung der Kontinente. Die Ausstellung „Unvergleichlich: Kunst aus Afrika im Bode-Museum“ ist eine Station auf dem Weg zum Humboldt-Forum.
© SMB / David von Becker

Wie autonom sind die Staatlichen Museen überhaupt noch im Humboldt-Forum?
Die Stiftung Humboldt Forum ist Eigentümer, wir nutzen die Flächen. Aber ohne die Museen würde dort wenig laufen. Wir entwickeln gerade eine Governance- Struktur, die dem Rechnung tragen muss. Die Zuständigkeit für die Sammlungen bleibt bei den Staatlichen Museen. Am Forschungscampus Dahlem findet die Auseinandersetzung mit den Sammlungen statt, aber auch im Humboldt-Forum müssen die Objekte betreut werden. Dadurch gibt es personellen Mehrbedarf.

Die Stiftung Humboldt Forum wird 350 Arbeitsplätze haben. Und Sie?
Wir haben unseren Bedarf auf 40 zusätzliche Stellen quantifiziert und einige schon für die Umzugsvorbereitung bekommen, insbesondere Restauratoren.

So wenige? Das Quai Branly bekam 100 neue Stellen bei seiner Eröffnung.
Wir sind bescheiden. Vieles geht zur Stiftung Humboldt Forum. Doch die dort bereitgestellten Ressourcen kommen auch uns zugute. Im Humboldt-Forum müssen alle lernen, das Haus zusammen zu denken. Wir wollen keine Addition der Angebote, sondern ein Haus aus einem Guss.

Das Gespräch führte Nicola Kuhn.

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