Greta Gerwigs „Lady Bird“ im Kino: Heldinnen der Adoleszenz
Eine der wichtigsten weiblichen Stimmen im US-Kino: Greta Gerwig zeigt in ihrem Regiedebüt „Lady Bird“ die Jugend als komische Zumutung.
Man kann nicht viel falsch machen, einen Film mit einem Zitat von Joan Didion zu beginnen, selbst wenn es so banal und unerschütterlich klingt wie die Jugenderinnerungen der Stilikone. „Jeder, der vom kalifornischen Hedonismus schwärmt, hat noch nie Weihnachten in Sacramento verbracht.“ Da bleibt einem nur, die Jugend so schmerzlos wie möglich hinter sich zu bringen – und dann nichts wie weg, am besten nach New York oder wenigstens New Hampshire, „wo Schriftsteller im Wald leben“, wie die 17-jährige Lady Bird ihrer Mutter erklärt.
Joan Didion, Lady Bird und Regisseurin Greta Gerwig, die ihr Debüt nach ihrer Hauptfigur benannt hat, haben eine Jugend in Sacramento gemeinsam – und den frühen Traum von der Ostküste, obwohl Lady Birds Schulnoten nicht für Yale reichen. Aber träumen wird man ja noch dürfen, auch wenn einem die Erwachsenen diese ständig auszutreiben versuchen. „Mein Job ist es, dir eine realistische Perspektive zu geben“, erklärt die Lehrerin im Beratungsgespräch. „Das scheinen alle zu denken“, entgegnet Lady Bird lakonisch.
Gerwig hat mit „Lady Bird“ ihren bisherigen Arbeiten als Schauspielerin und Drehbuchautorin – seit „Frances Ha“ zusammen mit Noah Baumbach – einen Feinschliff verpasst. Hauptdarstellerin Saoirse Ronan, die mit 24 Jahren schon drei Oscar-Nominierungen hat, besitzt die schräge Sensibilität der Figuren, die Gerwig sich oft selbst auf den Leib geschrieben hat – oder andere Autorinnen ihr.
Die beste Version seiner selbst sein
Die Greta-Gerwig-Persona entwickelte sich zuletzt zur bloßen Masche: im Zwischenmenschlichen etwas unbeholfen, hoffnungslos narzisstisch und dabei zutiefst verunsichert. Die üblichen Millennial-Symptome eben. Dieses Reiz-Reaktions-Muster musste meist nur noch mit den richtigen Dialogzeilen oder Situationen getriggert werden, weil man sich darauf verlassen konnte, dass Greta Gerwig mit den Vorlagen schon irgendwas anzufangen wusste. Doch wie jeder noch so charmante Manierismus hatte sich auch diese Masche irgendwann abgenutzt.
Ronan ist als Lady Bird ein Glücksgriff, weil sie wie Gerwig intuitiv versteht, dass sich das eigene Verhältnis zur Welt, die permanent Zumutungen bereithält, in einer Haltung ausdrückt – einer körperlichen Haltung, um genau zu sein. Im Englischen gibt es für den Zustand der sozialen und physischen Indisposition das Wort awkward, hinter dem sich ein ganzer Strauß von Bedeutungsnuancen verbirgt. Man kann sich aber auch einfach Saoirse Ronan ansehen, wie sie in „Lady Bird“ ungelenk um den bildhübschen Lucas (Danny O’Neill) aus der Schultheatergruppe herumscharwenzelt und später panisch wegrennt, als sie ihn mit einem Klassenkameraden knutschend auf der Jungentoilette erwischt. Oder ihre Wutausbrüche gegenüber ihrer Mutter (LaurieMetcalf), die sich in ihrem Job als Krankenschwester abrackert, um die Familie zusammenzuhalten. Der sanftmütige Vater (Tracy Letts, gegen den Typ besetzt), von Beruf Programmierer, ist arbeitslos und leidet unter Depressionen.
„Lady Bird“ steckt voll beiläufiger Alltagsbeobachtungen, in denen das Drama der Adoleszenz zutage tritt, ohne dass Gerwig – wie sonst üblich – die Fremdschamtoleranz ihres Publikums überstrapaziert. Lady Birds Gespräche mit ihrer Mutter Marion sind hin- und herzzerreißend, sie drehen sich im Grunde immer wieder darum, wie man unter den gegebenen Umständen das Beste aus seinem Leben macht. „Ich möchte, dass du die beste Version deiner selbst bist“, meint Marion einmal beim Einkaufen. „Und was, wenn das hier schon die beste Version von mir ist?“, will die 17-Jährige trotzig wissen. Das kurze Zucken in Metcalfs Gesicht, ihr ausdrucksloser Blick sind Gold wert. Die Liebe einer Mutter kann brutal sein.
Eine Jugend der ökonomischen Entbehrungen
Besonders schön gelingt es Gerwig, eine soziale Wirklichkeit in ihren Film einfließen zu lassen. Lady Bird lebt „auf der anderen Seite der Gleise“, eine amerikanische Redensart, die hier ganz wörtlich zu verstehen ist. Das Haus der Eltern am falschen Ende der Stadt, wo die Arbeiterfamilien wohnen, ist nicht so malerisch wie das „Traumhaus“ von Lucas’ Oma, das sie gegenüber der neureichen Jenna (Odeya Rush) als ihr eigenes ausgibt. Der Schwindel fliegt natürlich auf. Und das Geld fürs Teen-Magazin an der Supermarktkasse muss vom Mund abgespart werden: Lady Birds Jugend ist auch eine Jugend der ökonomischen Entbehrungen.
Interessanterweise ist Metcalf gerade ebenfalls in der Neuauflage der Serie „Roseanne“ zu sehen, die in den Achtzigern erstmals von einem „anderen Amerika“ im Fernsehen erzählte. Im US-Indiekino hat dieser Blick für soziale Milieus lange gefehlt. Auch Gerwig ist öfters vorgehalten worden, ihre Figuren in privilegierten Milieus anzusiedeln. Mit der doppelten Oscar-Nominierung für „Lady Bird“ (Regie und Drehbuch) hat sie sich nun endgültig als eine der wichtigsten weiblichen Stimmen im US-Kino etabliert. In den stromlinienförmigen Franchises müssen Teenager heute ja gleich die Welt retten, Coming-of-Age unter den Bedingungen des Blockbusterkinos. Lady Bird, die den Namen, den ihr die Erwachsenen gegeben haben, ablehnt, und ihre beste Freundin Julie (Beanie Feldstein) sind bloß Heldinnen der Adoleszenz. Gerwig weiß, dass diese Leistung nicht zu unterschätzen ist.
Ab Donnerstag in 23 Berliner Kinos. OV: Cinestar Sony Center, Delphi Lux, Neues Off. OmU: Babylon Kreuzberg, Bundesplatz, Eiszeit, Hackesche Höfe, Kulturbrauerei, Moviemento, Odeon, Passage
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