Ausstellung im Essener Ruhr Museum: Heimat unterm Förderturm
Nüchtern mit Wehmut: Die grandiosen Ruhrgebietsfotografien von Albert Renger-Patzsch sind im Essener Ruhr Museum zu sehen .
Als das Ruhrland- und Heimatmuseum Essen 1967 eine Gedenkausstellung für den wenige Monate zuvor verstorbenen Fotografen Albert Renger-Patzsch veranstaltete, hatten von 80 gezeigten Fotografien lediglich etwa 15 das Ruhrgebiet und seine Industrie zum Gegenstand, von zwanzig im schmalen Katalog abgebildeten Aufnahmen gerade einmal drei. Das entsprach der damaligen Beurteilung des Fotografen. Renger-Patzsch (1897– 1966) galt mit seinen formatfüllenden Aufnahmen schlichter Gegenstände als ein führender Vertreter der Neuen Sachlichkeit in der Weimarer Republik.
Das 1928 im Kurt Wolff Verlag unter dem durchaus irreführenden Titel „Die Welt ist schön“ veröffentlichte Buch, das der Fotograf selbst „Die Dinge“ hatte nennen wollen, machte ihn als Protagonisten des „neuen sehens“ berühmt. Zudem hatte er eine ganze Reihe von Büchern mit eher malerischen Landschaftsaufnahmen veröffentlicht. Seine Ruhrgebietsaufnahmen hingegen müssen seinerzeit wohl als Auftragsarbeiten des Berufsfotografen abgebucht worden sein, der für die Montanunternehmen des Reviers tätig war.
Die im "Pott" entstandenen Bilder - alle auf einmal
Diese Sicht hat sich seither grundlegend geändert. Renger-Patzschs Ruhrgebietsfotos gelten, seit sie 1982 in Buchform unter dem Titel „Ruhrgebiet-Landschaften“ veröffentlicht wurden, als eine der großen Leistungen der Fotografie in Deutschland. Nun ist der ganze Komplex der im „Pott“ entstandenen Fotografien unter dem Titel „Die Ruhrgebietsfotografien“ im Essener Ruhr Museum zu sehen, dem im Unesco-Weltkulturerbe Zeche Zollverein untergebrachten Nachfolger des Ruhrlandmuseums. Es ist die Gelegenheit, den Kern des umfangreichen Œuvres von Renger-Patzsch in seinen Querverbindungen zu betrachten. Zugleich ist es der angemessene, würdige Abgesang auf die Montanindustrie, die das Ruhrgebiet zum industriellen Kern Deutschlands gemacht hat.
Die Ausstellung ist großartig. In den halbdunklen Betonkammern der einstigen Kohlenwäsche auf frei stehende Stellwände platziert, entfalten die zumeist um die 22 mal 16 Zentimeter messenden Abzüge ihren ganzen Reichtum. Sie bestätigen die schon früh von der Kritik geäußerte Ansicht, Renger-Patzsch sei im Grunde ein Landschafter – nur dass bei ihm nicht Hügel und Bäume im Bild sein müssen, sondern ebenso gut Halden und Laternen, Eisenbahngleise und Arbeiterhäuser. Das Menschenwerk ist bereits Landschaft geworden.
Die Hüttenwerke in der Ferne
Was der Fotograf um 1930 in und um Essen – seinem damaligen Wohnort – aufgespürt hat, bringt das Ruhrgebiet in seiner Widersprüchlichkeit von Ackerland und Industrie auf den visuellen Begriff. Oft sind die Hüttenwerke auf den Bildern nur in der Ferne auszumachen, vielleicht sogar im Dunst oder Frühnebel verschwunden wie auf den winterlichen Ansichten, die den Fotografen wegen der natürlichen Schwarz-Weiß-Kontraste besonders gereizt haben. Aber gerade in dieser nebelhaften Anwesenheit, durch ein leichtes Teleobjektiv herangeholt, sind sie als die Beherrscher der Landschaft zu erkennen.
Renger-Patzschs Fotos sind zumeist menschenleer; und wo nicht, tauchen Menschen nur als Randfiguren auf wie in der berühmten Ansicht vom gemauerten, leicht gekurvten Bahndamm. Sentimentalität war seine Sache nicht, und das Elend der knapp über irgendeiner Senke aufragenden, planlos hingestellten Wohnhäuser gerät ihm alles andere als pittoresk. Der Fotograf beobachtet und konstatiert.
Die Industrie - ein Denkmal der Stadt
Seine Bewunderung galt den Neubauten von Zechen und Kokereien, die das Architektenduo Schupp & Kremmer in den dreißiger Jahren – und Fritz Schupp nach dem Tod seines Partners allein, bis in die bereits abklingende Wirtschaftswunderzeit der sechziger Jahre! – errichteten, diesen besten, vielleicht einzig tatsächlichen Bauten des Funktionalismus. Wie eben die Zeche Zollverein, in der das Ruhr Museum zu Hause ist. Die beiden Architekten formulierten 1929 als ihr Leitbild, was Renger-Patzsch in Fotografie ausdrückte: „Wir müssen erkennen, dass die Industrie mit ihren gewaltigen Bauten nicht mehr ein störendes Glied in unserem Stadtbild und in der Landschaft ist, sondern ein Symbol der Arbeit, ein Denkmal der Stadt, das jeder Bürger mit wenigstens ebenso großem Stolz dem Fremden zeigen soll wie seine öffentlichen Gebäude.“ Eine solche Identifikation mit der Arbeitswelt ist in den Fotografien deutlich zu erkennen.
Zugleich fertigte Renger-Patzsch Porträts, darunter Kunsthandwerker und Gestalterinnen der Folkwangschule, an der er selbst unterrichtete, während er im Museum Folkwang ein Atelier bezogen hatte. Bisweilen fotografierte er im Folkwang- Tanztheater-Experimentalstudio unter dem 1933 vor den Nazis geflohenen Kurt Jooss.
Bilder von den Kriegsruinen
1943 dann kam der Krieg mit voller Wucht über Essen: In der Nacht auf den 6. März wurde die Altstadt zu 90 Prozent zerstört; nicht jedoch die Industrie. Renger-Patzsch hat wenige Tage später – die Straßen sind bereits notdürftig von Trümmern geräumt – die frischen Ruinen festgehalten, in seiner einzigen Serie von Kriegsfotos, für die er sicherlich eine Sondererlaubnis besaß. Sein Atelier wurde 1944 ausgebombt, dabei gingen 18 000 Negative verloren – ein Verlust, den man sich angesichts der überragenden Qualität der überlieferten Aufnahmen nicht bitter genug vorstellen kann.
Was aber blieb, ist nicht allein ein bedeutender Teil der Fotografiegeschichte, sondern auch das Zeugnis einer bereits wieder verschwundenen Lebenswelt. Sie bedeutete für Millionen nicht nur Arbeitsplatz einschließlich Ausbeutung und Not, dann Aufschwung und Wohlstand nach dem Krieg, sondern eben auch und vor allem: Heimat. Davon sprechen die Fotografien von Albert Renger-Patzsch. Sie müssten auf Dauer in Essen zu sehen sein. Sie gehören untrennbar zur Kulturlandschaft des Ruhrgebiets.
Essen, Ruhr Museum (Zeche Zollverein), bis 3. Februar. Katalog (Verlag der Buchhandlung Walther König) 39,80 €.
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