100 Jahre Berliner Volksbühne: Haus des Spektakels
Die Volksbühne wird 100 Jahre alt. Begangen wird das Jubiläum mit einem aberwitzigen Programm mit dem Titel „Ach Volk, du obermieses“. Und die Apokalypse - die schwingt mit.
„Wetten, dass ...“ ist am Ende, aber es gibt ja noch die Volksbühne. Es gibt sie seit einem Jahrhundert, als Haus des Spektakels und des politischen Theaters. Das Jubiläum wird gefeiert mit einer „Revue vor Erfindung der Treppe“ und dem ganzen „Friedrichstadtballast“. Einführende Worte des Conferenciers Jürgen Kuttner, der hier mächtig an Kermit aus der „Sesamstraße“ erinnert, einen anderen Klassiker des Kinderprogramms für Erwachsene. Puppen werden es auch sein, die den Schauspielern die Schau stehlen. Es treten auf, geführt und gesprochen von der tollen Suse Wächter und ihren Kollegen: Max Reinhardt, Bertolt Brecht, Marilyn Monroe, Juri Gagarin, Adolf Hitler. Das sind schon prominente Gratulanten an einem Abend, der sich im typischen Volksbühnen-Tempo drei Stunden hinschleppt, um ebenso Volksbühnen-hinterhältig Attacken zu reiten.
Bei den großen Zweibeinern, die an den sehr lockeren Regiezügeln Jürgen Kuttners hängen, sieht es nicht so feierlich aus. Denn man schaut zum Fest ja erst einmal, wer nicht da ist. Kein Herbert Fritsch, Martin Wuttke, Milan Peschel, Bernhard Schütz. Auch keine Kathrin Angerer. Dafür aus den guten alten Zeiten Silvia Rieger mit einem Text von René Pollesch („Volker Spengler prügelt sich Tennessee Williams“). Rollende Augen, wildes Gebrüll; jede Party braucht einen oder eine, die oder der ausrastet und den Gastgeber beschimpft. Sophie Rois wiederum kämpft mit „Mommens Block“, einem späten Verzweiflungsdokument von Heiner Müller, angeblich „inszeniert“ von Frank Castorf, der immerhin im Zuschauerraum Platz nimmt.
Freund Henry Hübchen ist gekommen und auch nicht: In einem Wohnwagen sitzt er, auf der Bühne, mault über Kuttner und überhaupt. Kommt aber nicht raus, auch nicht zum Schlussapplaus, so dass wir den Verdacht äußern, mit einer geschickten Videonummer unterhalten worden sein. Henry – in echt zu Haus.
Die Apokalypse schwingt mit
Das schafft Kuttner allerdings mit seiner Berliner Klappe, die man zum 200. Geburtstag der Volksbühne dereinst aus dem Stadtmuseum holen wird: Es ist lustig, wenn es nicht langweilig ist. Es macht jedenfalls den Eingeweihten Spaß, wie er aus der jüngeren Volksbühnen-Geschichte die Verbindung von Kartoffelsalat und Krise herstellt; beides sehr haltbar. Wie von der „kleinen, frechen Bühne Maja“ gesungen wird. Wie der Chor der Werktätigen eine deutsche Version des „Eve of Destruction“ schmettert, mit zig Zugaben: „Schon morgen kann es geschehn/ Und wir sind am Ende.“
Das Apokalyptische schwingt mit, egal was Kuttner und seine Leute veranstalten. Etwa („Wetten, dass ...“) ein Experiment, bei dem Margarita Breikreiz und das Publikum Heiner Müllers „Herzstück“ spielen. Sie ist die Dame, wir alle im Parkett sind der Herr und werfen mit Schaumgummiziegeln, denn unser Herz ist aus Stein. Am Ende dreht die Volksbühne, mit Freiwilligen aus dem Publikum, einen kulturhistorischen Film, der in drei Minuten von Prometheus und den griechischen Mythen zum Rosa-Luxemburg-Platz fliegt, mit Gummiadler.
„Ach Volk, du obermieses“
„Ach Volk, du obermieses“, wie der Abend heißt nach einem Peter-Hacks-Zitat. Ach, die Zeit. Ursula Karusseit spielte 1970 bei Benno Besson an der Volksbühne im „Guten Menschen von Sezuan“. Hier singt sie noch einmal das Elefantenlied, und die Brecht-Puppe wippt fröhlich mit. Wenn der Puppen-Hitler sich unter Herbert Grönemeyers „Flugzeuge im Bauch“ vor Schmerzen windet, tut es auch mal weh. Die Volksbühne ist schließlich kein Sanatorium. Auch wenn Fans und Family vor sich hin altern.
Wie war das? „Schon morgen kann es geschehn/ Und wir sind am Ende.“ Gilt das Frank Castorf, der seit 1992 Intendant der Volksbühne ist und einen Vertrag bis 2016 hat? Wie geht es weiter? Nicht Brecht und auch nicht Phantom-Hübchen, sondern die Personalfrage ist der Elefant im Raum, auf den Kuttner auch mal anspielt – schließlich sitzt der Kulturstaatssekretär in der ersten Reihe (und macht bei dem Filmdreh den Souffleur).
Zum Thema Volksbühne und Castorf sagt der Noch-Regierende Klaus Wowereit gern, da gebe es keinen Zeitdruck. Aber wie nun? Erste Möglichkeit: Man könnte Castorf einfach immer weiter laufen lassen, Gewohnheitsrecht oder so, es gibt zur Volksbühne alternativ nur Schwachsinnsideen wie die Umwandlung in ein „Tanzhaus“ zum Beispiel. Zweite Möglichkeit: Sie machen es wie am Berliner Ensemble. Verlängern Castorf um vielleicht drei Jahre und haben dann genug Zeit, einen Nachfolger zu finden.
100 Jahre Volksbühne: Von einem wichtigen Mann war gar nicht die Rede. Der Architekt Oskar Kauffmann (1873-1956) hat in Berlin neben der Volksbühne das Hebbel- und das Renaissance-Theater gebaut, in Tel Aviv das Habimah. Wir sind doch sehr auf Regisseure fixiert, selbst wenn sie gar nicht wirklich mitgemacht haben und Jürgen Kuttner die Kohlen aus dem abgekühlten Feuer holen muss.
Wieder am 6., 17. und 31. Dezember