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Blick zurück nach vorn. Seit 1992 ist Frank Castorf Intendant der Volksbühne, dem wichtigsten Berliner Theater der letzten Jahrzehnte. Wie es dort weitergeht, ist noch offen: Castorfs Vertrag läuft bis 2016.
© picture alliance / dpa

Frank Castorf im Interview: "Am liebsten hätten sie veganes Theater"

Volksbühnen-Intendant Frank Castorf hält die Kulturszene der Hauptstadt für zu bequem. Ein Gespräch über das neue Berlin, Klaus Wowereit und die Zukunft der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz – mit und ohne Castorf.

Herr Castorf, in Ihrer letzten Volksbühnen-Inszenierung tauchte Klaus Wowereit als Figur auf. Die rief „Ich bin der Klaus, ich geb’ nie auf!“ Werden Sie Wowereit als Regierenden Bürgermeister vermissen?

Wir sind ja beide als Außenseiter angetreten. Ich mag seine Lust am Leben, den Sinn für Humor, auch die Penetranz. Klaus war immer eine angenehme Singstimme. Ich glaube, er war ein Glücksgriff für die Stadt, ein proletarischer Junge aus dem Westen Berlins. Die Gespräche mit ihm waren ziemlich schnell und wach, sehr berlinerisch. Vielleicht mag er privat lieber Boulevardtheater, aber er hat verstanden, dass die Volksbühne etwas Besonderes ist. Er kam auch mit der Pöbelei zurecht, die mir eigen ist. Meine Mutter mag ihn auch sehr. Sicher werde ich Wowereit vermissen, wie ich auch den kurzzeitigen Wirtschaftssenator Gysi vermisse, der klug genug war, sofort jede Bonusmeile zu benutzen, um seine Senatorenjob wieder los zu werden.

Wie hat sich Berlin in den 13 Wowereit-Jahren verändert?
Ich komme aus dem Prenzlauer Berg. Jetzt sieht man da viele Menschen aus der gleichen sozialen Schicht, mit den gleichen Interessen, der gleichen Zukunftsgewissheit und dem gleichen Bewusstsein, wie man sich zu ernähren hat. Am liebsten hätten sie veganes Theater. Berlin ist touristischer geworden. Manche Besucher ärgern sich vielleicht, dass die Fußgängerzonen nicht so wohl geordnet sind wie in Recklinghausen, aber auch darüber kann man hinwegkommen. Gestern saßen wir in einem Café am Hackeschen Markt, wo ich sonst nie sitze. Prompt wurde meiner Freundin von einem südeuropäisch wirkenden Menschen ihr Smartphone gestohlen. Anderen geht es schlechter als uns. Und Menschen, die in Cafés am Hackeschen Markt sitzen, können den Verlust eines Smartphones verkraften.

Frank Castorf findet, Berlin wird wie überall, wie die Innenstadt von Stuttgart oder Frankfurt.

Katharina Thalbach meinte neulich, sie wünsche sich ihr altes „Piss-Berlin“ zurück. Geht es Ihnen manchmal ähnlich?
Ja, sicher. Wo ich aufgewachsen bin, sah man noch die Einschusslöcher aus dem Krieg an den Häusern. Das war dieses alte, untergegangene Berlin, das Zeitmuseum der U-Bahnhöfe, da dachte man an die guten Agentenfilme. Jetzt wird Berlin wie überall. Das merkt man spätestens, wenn man an den Potsdamer Platz kommt. Das ist die kleinbürgerliche Minimal-Variante von Metropolis, etwa so aufregend wie die Innenstadt von Stuttgart oder Frankfurt.

Ist die große Berliner Kulturszene, unabhängig von den jeweiligen Inhalten, ein Teil des Stadtmarketings im neuen, leicht glamourösen Berlin?
Das ist so. Das zu registrieren ist natürlich schmerzhaft, wenn man 1990 mit Aufführungen wie den „Räubern“ an der Volksbühne in die offenen Wunden des Nachwende-Berlin gestoßen ist. Das war eine Stadt, die nicht schlafen gegangen ist. Diejenigen, die in der Zeit exzessiv gelebt haben, vielleicht noch mit der Erinnerung an Iggy Pop oder Rio Reiser, sind gestorben oder alt geworden. Jetzt rücken andere nach. Berlin war immer eine Zuwanderungsstadt, früher kamen sie aus Schlesien, Polen oder der Türkei, heute kommen sie aus Spanien oder Schwaben. Man denkt an das berühmte Bibel-Zitat bei Dostojewski: „Dass du doch heiß oder kalt wärest, aber du bist lau.“ Lau heißt heute cool. Es ist bequem geworden, hier anarchistisch zu sein. Deshalb inszeniere ich Stoffe von Céline oder Malaparte, Autoren, die keine guten Demokraten waren. Es muss Auditorien geben, die sich der Selbstgefährdung widmen.

Wenn Castorf mit Edeka-Tüten nach Hause in die Hackeschen Höfe kommt, gucken die Touristen

Macht es Ihnen Spaß, die amoralischen Autoren als Kontrastprogramm zum Berlin der Veganer zu inszenieren?
Das ist etwas Psychopathogenes. Wenn alle weiß gut finden, hätte ich es gerne schwarz. Man muss manchmal wie ein Kind reagieren, weil diese Gesellschaft so pädagogisch daherkommt und einem dauernd erklärt, wie man möglichst friedlich leben kann. Das ist eine schöne Illusion, aber es ist unmenschlich, wenn man weiß, was in dieser Welt passiert. Rumänen oder Bulgaren klauen das Smartphone meiner Freundin nicht, weil sie Apple toll finden, sondern weil sie Hunger haben.

Frank Castorf, der 2013 den Bayreuther Jubiläums-"Ring inszenierte, mit den Chefinnen der Wagner-Festspiele Katharina Wagner (M.) und Eva Wagner-Pasquier.
Frank Castorf, der 2013 den Bayreuther Jubiläums-"Ring inszenierte, mit den Chefinnen der Wagner-Festspiele Katharina Wagner (M.) und Eva Wagner-Pasquier.
© dpa

Fühlen Sie sich in diesem neuen Berlin manchmal wie ein Dinosaurier, ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit?
Wenn man der Letzte ist, wird man vielleicht wieder der Erste sein. Das Mittelschichtsbewusstsein vom Prenzlauer Berg mit dem Gefühl, uns kann nichts passieren, ist vielleicht nur ein Zwischenstadium. Das Aufwachen, wenn man merkt, dass man nicht in dem Land lebt, das man sich gewünscht hat, kann ein krasses Erlebnis sein. Es ist ja kein ganz neuer Gedanke, dass man nicht in der Gesellschaft der Freiheit lebt, sondern in der der Freizeit. Und die Freizeit gilt es effektiv auszugestalten. Wenn man zu lange in Berlin ist, ist es nicht wirklich schön. Ich wohne an den Hackeschen Höfen. Es hat etwas Theatralisches, wenn man mit den Edeka-Tüten nach Hause kommt, und alle Touristen haben was zu gucken. Dieser Zoo-Charakter ist ganz interessant.

Frank Castorf über Tim Renner: Rammstein in der Volksbühne? Das sind die Tagträume eines Musikmanagers

Ihr Intendanten-Vertrag an der Volksbühne läuft 2016 aus. Tut Ihnen Ihr Nachfolger jetzt schon leid?
Es gibt natürlich immer viele Agenten der Mittelmäßigkeit. Vieles von dem, was wir gemacht haben, ist verwässert und zum Allgemeingut geworden. Jeder setzt sich aus vorhandenen Stil-Bausteinen etwas zusammen und ist der Meinung, er sei selber Künstler. Ein Bewusstsein von Qualität, wenn man so was in der Kunst überhaupt noch reklamieren darf, geht völlig verloren. Man wird die Lücke nicht bemerken, sie wird sofort mit Coca Cola gefüllt, mit irgendeinem Lebensgefühl, wo man sagt, das ist doch auch ganz hübsch.

Kulturstaatssekretär Tim Renner sagt, so etwas wie die Band Rammstein wäre eine interessante Perspektive für Ihr Theater.
Man kann ja viel sagen. Es ist natürlich nicht einfach, sich in all diesen Theatern zurecht zu finden. Ich finde es positiv, dass er versucht, etwas zu verstehen, was ihm erstmal fremd ist. Dann bleibt das Problem, das Besondere auch zu erkennen. Nur die Nicht-Vision zu verwalten, ist auf Dauer ein bisschen wenig, und freundliche Besitzstandswahrung als Ersatz von Kulturpolitik nicht sehr aufregend.

Intendant Frank Castorf 2006 vor "seiner" Volksbühne, als das Haus renoviert wurde.
Intendant Frank Castorf 2006 vor "seiner" Volksbühne, als das Haus renoviert wurde.
© dpa

Was ist schlimmer, Kulturpolitiker, die keine Ideen haben, oder solche, die keine Ahnung und die falschen Ideen haben?
Wenn hier jemand Rammstein haben und aus der Volksbühne einen Probenraum machen will, bitte sehr. Das sind die Tagträume eines Musikmanagers. Keiner, der heute solche Entscheidungen trifft, ist noch im Amt, wenn man irgendwann die Folgen seiner Entscheidungen bemerkt. Das ist normal. Ob die Verteidigungsministerin so viel von Militär versteht, weiß man ja auch nicht.

"Piscator hat in der Volksbühne linksradikales Theater gemacht. Ich bin ein Traditionalist dieses Hauses."

Ist für Sie wirklich in zwei Jahren Schluss an der Volksbühne?
Ich bin ganz gerne hier, das habe ich auch Wowereit gesagt. Wenn die Politik will, dass es noch etwas weitergeht, können wir darüber reden. Ich habe mal gesagt, dass ich aufhören will. Aber das Schöne ist, dass man sich bei mir auf nichts verlassen kann. Ich mache vieles nicht aus einer Überlegung heraus, sondern aus Intuition. Aber irgendwann ist immer Schluss, dann wird Platz für etwas Neues.

„Damit etwas kommt, muss etwas gehen“, hat Heiner Müller gesagt.
Es wäre schön, wenn an der Volksbühne etwas entstehen würde, worüber ich mich freuen kann und das stärker ist als ich. Arnolt Bronnens „Vatermord“ ist ein Text, der sicher viele junge Künstler gefreut hat. Was dieses Haus ausmacht, ist die Autonomie, nicht nur künstlerisch, auch in der Eigenverantwortung der Werkstätten zum Beispiel. Es gibt ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl, das gefällt mir einfach. Es ist schön, dass Christoph Marthaler jetzt wieder hier arbeitet, das ist ein sehr besonderer Künstler. Davon gibt es zu wenige. Die Politik kann mit der Volksbühne ja machen, was sie will. Ich habe woanders genug Regie-Angebote.

Gibt es trotzdem eine Volksbühnen-Tradition, die gewahrt bleiben sollte?
Ich kenne dieses Theater seit den 70er Jahren, hier waren Leute wie Benno Besson, Fritz Marquardt und Heiner Müller. Früher hat Piscator hier linksradikales Theater gemacht. Ich bin ein Traditionalist dieses Theaters. Bei der Entscheidung über die Zukunft der Volksbühne muss man diese Geschichte einbeziehen. Das kann man nicht einfach auslöschen, wie man die Geschichte des Brecht-Theaters am Berliner Ensemble ausgelöscht hat.

"Das Burgtheater übernehmen? Das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann."

Alexander Kluge nennt das den „Angriff der Gegenwart auf die gesamte übrige Zeit“. Droht das auch der Volksbühne?
Ja, klar. Aber dieses Haus verlangt architektonisch eine andere Kraft, hier kann man kein bürgerliches Kammertheater machen. Hier muss man besondere Signale senden, um zu zeigen, dass man lebt.

Können Sie sich vorstellen, nur als freier Regisseur zu arbeiten?
Das mache ich ja, in Bayreuth, in Wien, in Hamburg, in München, demnächst in Stuttgart. Man ist dann wie ein Auftragskiller. Ich bin ein Gast, aber ich komme immer von der Volksbühne.

Würden Sie gern das Burgtheater übernehmen?
Das ist das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann. Als müsste man ständig in einer Operette mitspielen, furchtbar. Die Wiener haben mit Matthias Hartmann das bekommen, was sie immer wollten. Ich sage nicht, dass mir das gefällt, man kann sich in etwa vorstellen, was ich darüber denke. Um das Burgtheater leiten zu wollen, muss man sein wie Peymann oder Hartmann, das bin ich nicht.

Einer der drei SPD-Kandidaten für die Nachfolge von Wowereit wird wohl auch Kultursenator werden. War einer der drei mal in der Volksbühne?
Och, die haben alle einen guten Geschmack. Ich glaube nicht, dass die in die Volksbühne gehen.

– Das Gespräch führte Peter Laudenbach.

Peter Laudenbach

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