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Schauspielerinnen auf einer Premiere der Berlinale.
© Ralf Hirschberger/dpa

MeToo-Debatte: Hat die deutsche Filmbranche denn nichts gelernt?

Beschwerdestellen sind wichtig. Doch sie beseitigen nicht den Machtmissbrauch am Set, mahnt Drehbuchautor Uwe Wilhelm vor der Verleihung der Lolas. Ein Gastbeitrag.

Lieber Vorstand der Deutschen Filmakademie,

vor drei Monaten habe ich Euch vorgeschlagen, angesichts der Causa Dieter Wedel laut und engagiert zum Thema MeToo Stellung zu beziehen. So wie es ähnliche Institutionen auch in anderen Ländern tun. Das ist nicht geschehen, unter anderem weil Ihr „nicht auf den größten Haufen scheißen“ wolltet (O-Ton eines Vorstandsmitgliedes). Ihr habt auch verpasst, eine breite Diskussion unter den Mitgliedern der Akademie anzustoßen. Stattdessen habt Ihr eine überbetriebliche Beschwerdestelle mit eingerichtet, die den Opfern sexueller Übergriffe helfen soll. Das ist sicher eine wichtige Aktion. Denn die Übergriffe dauern an.

Aber Sexismus und sexualisierte Gewalt sind kein individuelles, privates Problem, das sich per Beschwerde lösen lässt. Er ist ein Problem von Macht und Machtmissbrauch. Was ist mit den Tätern? Wieso sprecht Ihr nicht laut und deutlich aus, dass es den strukturellen Sexismus in der Filmbranche gibt? Wieso setzt Ihr euch nicht an die Spitze der öffentlichen Debatte? Wieso lese ich noch nicht mal auf unserer Website etwas zu dem Thema?

Wir müssen den Blick nach innen richten

Nehmen wir an, eine Schauspielerin, Masken- oder Kostümbildnerin, meldet eine sexuelle Belästigung bei der Beschwerdestelle. Wird der beschuldigte Regisseur, Produzent oder Redakteur angesprochen? Und hat die betroffene Person danach noch einen Job? Oder ergeht es ihr wie einer ehemaligen Schauspielerin, die nach einem Shitstorm auf Facebook sagte: „Wenn selbst mir nicht geglaubt wird, wie sollen sich Frauen, die in dem Beruf noch arbeiten, jemals an die Öffentlichkeit trauen?“

Wer sexuelle Übergriffe beklagt, gilt als schwierig, überempfindlich, unbegabt. Ein paar Anrufe, ein Kopfschütteln bei den Besetzungsgesprächen, und die Karriere ist beendet. Vielleicht sollten wir dem Nachwuchs konsequenterweise sagen: „Wenn du zum Film willst, kann es sein, dass du sexuelle Belästigungen bis hin zu Vergewaltigung erleben wirst. Die Akademie wird dich beraten und dir eine Psychologin zur Seite stellen.“

Wenn Ihr, der Vorstand der Filmakademie, als Vertreter aller Mitglieder, Euch nicht mit dem immanenten Sexismus der Branche beschäftigt, wird die Beschwerdestelle zu einer dauerhaften Einrichtung werden. Sie wird es vor allem werden, weil Ihr euch nicht traut, den Blick nach innen zu richten und diejenigen, die über informelle Macht verfügen, zu fragen, wie sie es mit MeToo halten.

Spätestens mit der Causa Dieter Wedel hatte Deutschland seinen Harvey-Weinstein-Moment.
Spätestens mit der Causa Dieter Wedel hatte Deutschland seinen Harvey-Weinstein-Moment.
© Swen Pförtner/dpa

Zum Beispiel all diejenigen, die sich für Roman Polanski verwendet haben, als er 2009 in der Schweiz verhaftet wurde, darunter Fatih Akin, Tom Tykwer, Wim Wenders, Volker Schlöndorff und die ehemaligen Akademie-Präsidenten Günter Rohrbach und Senta Berger. Selbstkritische Äußerungen waren im Zuge von MeToo nicht von ihnen zu hören. Dabei reden wir hier von einem Mann, der des sexuellen Missbrauchs bezichtigt wird und dessen Opfer zum Zeitpunkt der Tat 13 Jahre alt war. Was ist mit Michael Haneke, ein großartiger, auch hierzulande preisgekrönter Regisseur, der jetzt von „Hexenjagd“ spricht und vom männerhassenden Puritanismus der MeToo-Bewegung?

Die Angst und das Schweigen der Opfer geht weiter

Es gab in Deutschland 2016 etwa 47.000 polizeilich erfasste Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Laut LKA ist das nur ein geringer Teil der tatsächlich begangenen Straftaten. Warum ist das so? Weil die Opfer Erniedrigung, Scham und Schuld empfinden, Ablehnung und den Verlust des Arbeitsplatzes fürchten und daher auf eine Anzeige verzichten. Das gilt auch für die Filmbranche.

MeToo ist eine Chance, etwas zur Veränderung unserer Gesellschaft beizutragen. Bisher habt Ihr sie nicht genutzt. Vielleicht, weil Ihr es Euch nicht mit prominenten Männern verscherzen wollt. Vielleicht, weil Ihr die Akademie nicht in ein schlechtes Licht rücken wollt. Aber die Übergriffe gehen weiter. Nahezu jeden Tag – und das auch an Filmsets. Die Angst geht auch weiter und folglich das Schweigen der Opfer. Aber diese brauchen dringend die engagierte Stimme einer Akademie, die sich mutig und nachhaltig mit Sexismus und Machtmissbrauch in der Branche auseinandersetzt.

Uwe Wilhelm ist Mitglied der Deutschen Filmakademie und lebt als Drehbuch- und Krimiautor in Berlin.

Uwe Wilhelm

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