Trend in der Popkultur: Das ist die Härte
Verzerrte Gitarren, niederschmetternde Bässe: Spätestens seit den 60ern loten Musiker die Extreme aus. Woher kommt die Sehnsucht nach dem archaischen Lärm?
Er ist als Gitarrist nur zweite Wahl, ein Studiomusiker in „Swinging London“ mit einer Telefonnummer, die man anruft, wenn die Kinks, The Who, Them, Pretty Things oder Donovan Unterstützung benötigen. Langweiliger Job. Und Jimmy Page will nichts dringender, als die Sessions hinter sich lassen. Trotzdem hat er seinen Stolz. Wenn schon eine eigene Band, dann soll die es anders machen, nicht diesen Singles-Kram, der Mitte der 60er Jahre für Beat-Gruppen obligatorisch ist. A-Seite der Hit. B-Seite das interessante Zeug. Page hat einen Vorsatz: „Ich halte mich nicht mit Nebensächlichkeiten auf.“
Als er den geeigneten Sänger gefunden zu haben glaubt, spielt er ihm einen Song von Joan Baez vor. Der beginnt mit einem langgezogenen sirenenhaften Schrei: "Baaaaby", dem Schrei einer zutiefst verletzten Frau, die sagt: "Baby I'm Gonna Leave You". Und Page erklärt seinem neuen Kompagnon, dass er einen Folksong wie diesen in einen neuen Kontext übersetzen wolle. Ihm gehe es darum, die Widersprüche zu verschärfen, den Gegensatz von Dunkel und Hell stärker herauszuarbeiten. Da willigt Robert Plant ein.
So entsteht vor 50 Jahren die „Heaviest Band of all Time“, wie der „Rolling Stone“ den Zusammenschluss von Page als Gitarrist, Plant als Sänger, John Paul Jones am Bass sowie John Bonham am Schlagzeug rückblickend nennt. Am 25. Oktober treten sie zum ersten Mal unter dem Namen Led Zeppelin auf, was bloß eine historische Fußnote wäre, wenn sich mit dem sagenhaften Aufstieg des britischen Quartetts nicht auch ein Prinzip Bahn brechen würde, das in der westlichen Zivilisationsgeschichte immer wieder anzutreffen ist: eine Verherrlichung der Härte und körperlichen Aggression.
Durch Led Zeppelin wird Härte zu einem Ideal in der Rockmusik, das ganze Genres wie Hardrock und Heavy Metal prägt und von einer Randerscheinung der Kultur zu einem Massenphänomen wird. Je härter, desto besser – mit dieser Losung geht eine Kehrtwende in der Jugendkultur einher, die sich mit den Halbstarken der ersten Rock ’n’ Roll-Generation angekündigt hatte, sich aber erst im Schatten der 68er-Revolte voll entfaltet. Es ist ein kalkulierter Bruch mit dem Fortschrittsparadigma der Moderne, das Glück davon abhängig macht, archaische Verhaltensmuster zu überwinden. Stattdessen holt die Kultur der Härte das Archaische zurück, zelebriert es als Lebensqualität.
Man findet diese Entwicklung in der bildenden Kunst ebenso wie in der Literatur. In der Musik ist sie am deutlichsten ausgeprägt. Denn Musik, zumal elektrisch verstärkte, ist schon an sich ein physischer Akt. Der brachiale Lärm, der sich in Vergnügungstempeln wie dem Berghain und bei Konzerten von Heavy-Metal-Bands jenseits der Schmerzgrenze entfaltet, bildet Gewalterfahrungen nach, die eine postmoderne Gesellschaft eigentlich hinter sich zu haben glaubt.
Der Triumph des Klangs
Warum stellt sich dennoch immer wieder das Bedürfnis nach Härte ein? Warum suchen so viele Menschen nach körperlichen Grenzerfahrungen, die niederschmetternd und erhebend sind? Haben der Gang in die Härte bei den Hardcore-Bewegungen des Punk und die fortgesetzten Angriffe auf den Körper in der elektronische Tanzmusik nicht sogar ein Erstarken autoritärer Ideen begünstigt?
Led Zeppelin besitzen von Anfang an eine genaue Vorstellung von Macht, die Band will überwältigend sein. Sie wendet sich an eine Generation, die Page zuvor bei seinen Reisen durch die USA mit den Yardbirds ausgemacht hat. Es sei eine Jugend, die „zuhört“, wie er meint, die Antworten von der Musik erwartet, denn sie ist verunsichert angesichts des eskalierenden Vietnamkrieges und der sich verschärfenden Bürgerrechtsproteste, und sie ist frustriert über den Mangel an gesellschaftlichem Einfluss, der ihr nur umso erbärmlicher vorkommt, je mehr man sie als Konsumenten umwirbt.
„Sie haben Metal erfunden so wie Hendrix die E-Gitarre erfunden hat“, sagt Kritiker Robert Christgau über Led Zeppelin. „Ihr Triumph war einer des Klangs.“ Die Band knüpft an die verblassende Flower-Power-Erfahrungen der psychedelischen Kultur von San Francisco an und übersetzt sie in einen grandiosen Mystizismus. „Sie waren nicht bloß grob, ihre Grobheit war genial“, sagt Christgau. Ihr triumphaler Krach spricht Halbwüchsige und junge Männer an, die unter zu wenig Selbstbewusstsein leiden und verzweifelt cool und hart sein wollen.
Cool und hart. Obwohl es Frauen gibt, die einer Ästhetik der Härte anhängen, wie Patti Smith, Kim Gordon oder die Rrrriot Girls, handelt es sich um ein männliches Phänomen. In dem Moment, da die phallische Sexualität durch das Aufkommen der Frauenbewegung in die Krise gerät, wird sie von „Göttersöhnen“ wie Robert Plant in den Exzess getrieben. Mit wallendem Blondschopf und dem makellosen Gesicht eines Engels wird der 20-Jährige umgehend zum Sexsymbol. Auf dem Led-Zeppelin-Debüt von 1969 singt er davon, verwirrt und durcheinander zu sein („dazed and confused“), weil alles, worauf man ihn in seiner Jugend vorbereitet hat, nun, da er ein Mann ist, nicht mehr gelte. Meistens weiß er sich nicht anders zu helfen, als einer Frau „die Quittung zu präsentieren“ und seinen inneren Dämonen zu folgen. Liebe ist Tyrannei, und Sex stellt er sich als gewalttätigen Akt vor.
Auch für den Musikwissenschaftler Tibor Kneif steht Led Zeppelin exemplarisch für etwas, das er als „ästhetisch verklärten Terror“ bezeichnet, ein Schrecken, „der sein Opfer mit der Seelenkenntnis des behandelnden Psychiaters immer wieder in Schaudern zu versetzen weiß.“ Weshalb es zu einfach ist, den Terror bloß auf Abhärtungseffekte zu reduzieren, die sich an schwache Personen richten. Es hat stets Rocker und Schlägertypen gegeben, die sich in dieser Musik wiederfinden, daneben aber auch ausgesprochen sensible Gestalten, denen Gewalt ein Graus ist. In dieser Polarisierung liegt das Erfolgsgeheimnis des Metal-Genres, das seit einem halben Jahrhundert eine wachsende Anhängerschaft hat. Sie sei, schreibt Kneif, "überdurchschnittlich erlebnisfähig" und könne "Gegensätze im eigenen Inneren wie in der Außenwelt stärker nachvollziehen". Mit anderen Worten: Der Metal-Fan und -Musiker erlebt Widersprüche als Genuss, die zuvor noch unbedingt beseitigt, "aufgehoben" oder gelöst werden sollten. So wird die bürgerliche Ambivalenzkultur, die gesellschaftliche Widersprüche als Problem definiert, zu einer Quelle fortgesetzten Vergnügens und Indifferenz. Die Identifikation mit dem Aggressor wird zum Prinzip.
Metallisierung der Körper im Krieg
Die kulturellen Ursprünge der Härte reichen weit zurück. Als ein erster Vertreter wird Achilles besungen, griechischer Kriegsheld, dessen Zorn vor Troja unerbittlich und blutrünstig ist. Aber das Schicksal dieses launenhaften Wüstlings zeigt bereits, dass so einer vor allem eines nicht kann: sich selbst schützen. Auch François Villon macht einen guten Anfang mit seiner Charakterisierung des harten Typs in der „Ballade du concours de blois“. Darin heißt es: „In meinem eignen Land bin ich weit außer Landes / Ich bin stark, hab weder Kraft noch Macht / Obwohl ich siege, bleibe ich Verlierer / Bei Tagesanbruch sage ich Gut’ Nacht.“
Einen Schlüsselmoment erlebt die Kulturtechnik der Härte mit den italienischen Futuristen. Die propagieren 1909 eine Kunst der Heftigkeit und Schonungslosigkeit, die aus den Kunstzirkeln ausbrechen und mit dem „wirklichen“ Leben zu tun haben soll. Sie haben ein Leben zwischen Maschinen vor Augen, ein dynamisches, lärmendes Dasein, das sie vom Makel des sozialen Elends befreien wollen. Der Gedanke wird sich auch in Musique concrète und Art brut, im Brutalismus sowie in Antonin Artauds Idee von einem „Theater der Grausamkeit“ wiederfinden. Wie überhaupt radikale Erneuerer immer wieder auf die akademische Weltferne einer Kunstform mit Attributen der Härte reagieren. So antwortet der Hard Bop in den 50er Jahren mit seinen aggressiven, treibenden Polyrhythmen auf die arrivierte Blasiertheit des Cool Jazz. Und als Punk sich Anfang der 80er seiner selbst zu sicher geworden ist, kommt Hardcore auf. Noch schneller, noch gemeiner, noch rauffreudiger.
Zum Held steigt mit Henry Rollins ein Kraftpaket mit großen Ängsten auf, der sich bei jedem Auftritt seiner Band Black Flag fast selbst zerstört. Zu dieser Radikalisierung gehört, dass sich die Attacken der weißen Punk-Kids in New York nicht nur gegen gegen Puerto Ricaner richten, mit denen man dieselben heruntergekommenen Viertel teilt, sondern auch gegen „Artsy-Fartsy-Schwuchteln“, wie Szenegröße Harley Flanagan die Leute nennt, die ihn aus der Lower East Side zu verdrängen drohen. Und für die Band Youth of Today kommt ihr eigener Schlachtruf „standing hard“ einer Lizenz zum Prügeln gleich. Sei es, dass sie einen Grund finden oder nicht.
Dass dieser Mechanismus einer Selbstbehauptung durch Härte auch für die elektronische Underground-Musik der 90er Jahre gilt, beschreibt Simon Raynolds in seiner Essay-Reihe „Hardcore Continuum“. Danach werden Gewöhnungseffekte und kommerzielle Tendenzen in der britischen Rave-Szene durch ohrenbetäubende, dreckige Sounds, Tempowechsel und eine Ziellosigkeit kompensiert, die den Panik-Modus ständig aufrechterhalten.
Sogar hierzulande gibt es in den 90er Jahren das Phänomen der "neuen Deutschen Härte". Vor allem Rammstein stehen dafür mit ihrer brachialen Version des romantischen Schauermärchens und der "schwarzen Pädagogik". Die ostdeutsche Band lebt Bestrafungs- und Gewaltfantasien aus, in die Kritiker eine starke Sehnsucht nach Autorität hineinlesen.
Liebe ist eine schlechte Überlebensstrategie
Harte Musik ist Identitätsmusik. Denn sie definiert die soziale Gemeinschaft neu, zu der sich nicht mehr beliebig viele Leute zugehörig fühlen sollen, sondern nur noch die richtigen. Das bedeutet auch, dass der Prozess der inneren Abhärtung immer auch einer der Abgrenzung ist. Härte wird durch den Widerstand gegen alles legitimiert, was einen in die Härte treibt und kann nur von noch mehr Härte abgelöst werden. Ein ziemlicher Teufelskreis.
Wohin diese Überbietungen führen, zeigt der Futurismus: auf die Schlachtfelder. „Schönheit gibt es nur im Kampf“, verspricht Filippo Tommaso Marinetti, und er sieht sein ästhetisches Ideal in den Kriegen seines Freundes Mussolini bestätigt, weil sie „die erträumte Metallisierung des menschlichen Körpers“ vollzögen.
Zu selben Zeit, 1937, kommt der Bluesmusiker Robert Johnson auf einen ähnlichen Gedanken, darauf weist Lars Brinkmann in einem Essay über die "Mythen der Kraft" hin. Zwar wünscht Johnson nicht, dass sein schwarzer Körper aushärtet, aber er berichtet in „Me and the Devil Blues“ doch von einer Veränderung seines Wesens. Dass der Satan an seine Tür geklopft und ihn abgeholt habe. Von da an seien sie unzertrennlich gewesen. „I'm going to beat up my woman / Until I get satisfied“, heißt es weiter, da hat sich der Mann in einen sadistischen Schläger verwandelt. Was aus ihm werden soll, weiß er: „You may bury my body / Down by the highway side / So my old evil spirit / Can get a Greyhound bus and ride.“ Der Teufel solle ihn in einem Graben an der Straße begraben, damit sein „böser Geist“ mit dem nächsten Bus in die Welt hinaus gelange.
30 Jahre später inspiriert der "böse Geist" dieses Songs weiße Vorstadtkinder wie Mick Jagger und Keith Richards, sich der Barbarei ihrer adoleszenten Bedürfnisse zu überlassen. Der böse Geist, den die Rolling Stones in „Sympathy For The Devil“ beschwören, sieht in der Härte von bolschewistischen Revolutionären, deutschen Panzergenerälen und dem Kennedy-Attentäter eine Tugend. Er ist auch in Altamont anwesend, wo die Band 1969 ein „free concert“ veranstaltet, sich die Mörderbande der Hell’s Angels als Schutztruppe auf die Bühne holt, so dass ein 18-jähriger Schwarzer vor ihren Augen von einem Rocker abgestochen wird.
Die Nachkriegsgeneration muss einsehen, dass Liebe eine schlechte Überlebensstrategie ist und sie sich innerlich stählen muss, um ihre Freiheit zu erhalten. Die Musik der Jugend wird härter, je deutlicher sich das zeigt. Sie ist in den USA zunächst dort am gewalttätigsten, wo Arbeiterkinder zur Welt kommen, um an denselben Fließbändern zu landen wie ihre Eltern oder, noch schlimmer, zwischen geschlossenen Fabriken aufzuwachsen. In Detroit etwa, wo die Stooges und MC5 einen markerschütternden Brachialsound pflegen. Es tauchen Sänger eines Typs auf, die sich nicht mehr am Blues orientieren, sondern ihre Stimmen wie kreischende, seelenlose E-Gitarren klingen lassen. Rock ist dadurch nicht mehr nur „hard“, sondern entspricht der von Marinetti gefeierten „Metallisierung des Körpers“.
Teenager werden gequält, Leute zusammengeschlagen
Für diese Entwicklung stehen zwei Bands, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Da ist Led Zeppelin. Und da ist Black Sabbath, die Rockgruppe eines Kleinkriminellen aus Birmingham, der Milchflaschen und Zeitungen ausgetragen, Kohlen geschleppt und Rinderhälften zerteilt hat und auf seine Chance hofft. Welche das auch immer sein könnte. Ozzy Osbourne betrachtet sein Dasein als eine Horror-Show, in der die anderen die Monster sind. Aus dieser psychopathischen Perspektive entwickelt er den Horror-Soundtrack seiner Band Black Sabbath. „Happiness is so unreal“, heißt es in ihrem größten Hit „Paranoid“.
“Sabbath verkörperten alles, was die Sechziger nicht waren", sagt James Hetfield. "Ihre Musik war cool, weil sie total anti-hippie war. Ich hasste die Beatles, Jethro Tull, Love und all das fröhliche Zeugs.“ Hetfield, der mit seiner Band Metallica in den 80er Jahren neue Maßstäbe setzen wird, leidet als Junge unter der strengen Religiosität seiner Eltern, er leidet unter ihrer Scheidung und daran, dass seine Mutter an Krebs sirbt, weil sie keine Medikamente nimmt. Da kommt ihm eine Musik gerade recht, der alles Gute egal ist, um stattdessen Gewalterfahrungen gleichzeitig zu erdulden und auszuleben als Opfer und Täter in einer Person.
Aber Black Sabbath haben bei aller Übertreibung einen ausgeprägten Sinn für Ironie. Die Klagen Osbournes, des hässlichen Winzlings, dass die Frauen ihn ignorieren und er bei aller Schufterei leer ausgehe, sind nur so ernst gemeint, dass sie ihren Zweck erfüllen: nämlich jemandes Aufmerksamkeit zu erregen. Dieser kindische Umgang mit dem Ego fehlt Led Zeppelin.
Als die Band Mitte der 70er auf dem Höhepunkt ihres Ruhms steht, zerfällt sie in neurotische Exzesse. Jede ihrer Platten verkauft sich millionenfach. Märchenhafter Reichtum umgibt sie. Zu Konzerten reisen die Musiker mit eigenem Flugzeug an, das sie „Starship“ nennen, begleitet von einem Tross an Helfern, der sich wie ein Haufen Gangster benimmt. Es gibt Gerüchte über minderjährige Groupies, die arglos in ihre Fänge geraten und furchtbar gequält werden, Leute, die ihnen in die Quere kommen, werden zusammengeschlagen. "Wir machten unsere eigenen Gesetze", wird Tour-Manager Richard Cole in der Led-Zeppelin-Biografie "Hammer of the Gods" zitiert. "Wer sich ihnen nicht unterwerfen wollte, sollte uns besser aus dem Weg gehen."
Auch mit ihrem exzessiven Lebensstil steckten Led Zeppelin die Grenzen neu ab. Als Robert Plant bei einem Autounfall in Griechenland schwer verletzt wird, verarbeitet er das Trauma in dem Song „Achilles Last Stand“. Dann sterben Plants fünfjähriger Sohn und Drummer John Bonham. Und etwas Härteres als den Tod findet man nicht.
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