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Porträt der Schriftstellerin Kathrin Röggla.
© dpa

Symposium „Schriftsteller – Kapitalismus – Kritik“: Gute Literatur findet ihr Publikum

Ist aktuelle Literatur noch ein Erkenntnismedium? Wie politisch kann Gegenwartsliteratur sein? Darüber wurde bei einem Symposium im Brecht-Haus diskutiert.

Die Nachrufe, in denen nicht nur der bekannteste Schriftsteller der deutschen Nachkriegszeit, sondern mit ihm ein längst als lästig und anachronistisch empfundenes Literaturverständnis verabschiedet wurde, sind kaum verhallt, da wollen Autoren und Wissenschaftler das vermeintlich altmodische Engagement der Literatur rehabilitieren.

Man trage damit einem gesamtgesellschaftlichen Bedürfnis Rechnung, „wieder kollektiv j’accuse zu sagen“ – davon sind der Autor Enno Stahl und der Politikwissenschaftler und „Das Argument“-Redakteur Ingar Solty überzeugt. Sie beide haben das Symposium „Schriftsteller – Kapitalismus – Kritik“ initiiert, das am Freitag und am Samstag im Berliner Brecht-Haus stattfand. Eine regelmäßige Zusammenkunft wechselnder Autoren und Wissenschaftler, eine Mischung aus geschlossenen Werkstattgesprächen und öffentlichen Podiumsdiskussionen und Lesungen soll daraus werden. Klingt irgendwie bekannt, oder?

Politik ist in der Gegenwartsliteratur ein Thema

Globalisierung, Digitalisierung, veränderte Arbeitswelten, exponentielles Bevölkerungswachstum, weltweit ungleiche Ressourcen- und Kapitalverteilung, Terror, neue Terrorformen und neu entbrannte Kriege – all das sind Themenfelder, zu denen Literatur sich heute kritisch verhalten könnte. Nun bleiben Veranstaltungen wie diese im Brecht-Haus, wenn sie – zu Recht – im Verdacht einer allzu einseitigen politischen, in diesem Fall marxistisch geschulten Perspektive stehen, oft unbeachtet.

Doch gehören die Themen in einen überparteilichen, öffentlichen Diskursraum. Ein Blick auf die deutsche Gegenwartsliteratur zeigt: Politik ist keineswegs nur in einer sich als dezidiert marxistisch verstehenden Gegenwartsliteratur ein Thema, sondern allgegenwärtig.

Die Autoren und Autorinnen auf dem Symposium, darunter Ann Cotten, Thomas Meinecke, Norbert Niemann, Monika Rinck, Kathrin Röggla, Ingo Schulze, Michael Wildenhain und Raul Zelik, aber auch weitere wie Rainald Goetz, Katharina Hacker, Juli Zeh, deren Texte als Referenz in den Diskussionen dienten, widersprechen einem Literatur-Bashing unter Schlagworten wie „Nabelschau“ oder „Neues Biedermeier“. Sie eint ein emphatischer Begriff von Literatur als Erkenntnismedium zum einen – und als Schauplatz individueller und kollektiver Handlungsweisen in einem gesellschaftlichen, politischen Rahmen zum anderen. Realismuskonzepte werden wieder verstärkt diskutiert: noch so ein Déjà-vu?

Was kann kritische Literatur heute sein?

Was die ästhetischen Mittel solcher Weltabbildung betrifft, sind die Positionen disparat, der Begriff der „Sprachkritik“ wird dabei zum kleinsten gemeinsamen Nenner. Formal-ästhetische Vorgaben, wie sie Enno Stahl in seinem Beitrag formuliert, lehnen die Autoren unisono als zu normativ ab. Es gibt keine verbindlichen Theorien und Traditionen, denen sich die Autoren verpflichtet fühlen.

So sieht der Potsdamer Literaturwissenschaftler Helmut Peitsch in den poetologischen Selbstauskünften keine der zentralen Wegmarken der politisch-ästhetischen Literaturkontroversen im vergangenen Jahrhundert überhaupt erwähnt. Und gerade hier tritt eine Schieflage zutage: Im Reden über die Literatur fungieren noch immer die Engagementkonzepte der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit als Referenzgröße, während die Autoren heute selbst viel freier und eklektisch kombinieren. Von einer „Illusion von der Wichtigkeit“ spricht die Schriftstellerin Ann Cotten.

Nun braucht Literatur aber auch, um ein weiteres zentrales Thema des Symposiums zu benennen, einen Resonanzraum. Sie kann politisch intendiert sein, zum gesellschaftskritischen Kommentar wird sie aber erst in ihrem Rezeptionszusammenhang. Eine polemische Generalabrechnung mit dem ökonomisierten, auf Mainstream getrimmten Literaturbetrieb und der Ignoranz des Großfeuilletons, wie sie der Autor Norbert Niemann formuliert, gehört zum Spiel und Selbstverständnis des Nonkonformisten, eröffnet aber kaum eine Debatte.

Gute Literatur findet ihr Publikum

Es besteht durchaus ein Bedürfnis nach kritischen und politischen Stoffen – auch und vor allem in der Literaturkritik. Das aber entbindet die Literaten nicht von ihrer Aufgabe der ästhetischen Einbindung ihrer Stoffe. Gute Literatur – so simpel das klingen mag – findet ihr Publikum, trägt zur differenzierten Auseinandersetzung mit ihr selbst genauso wie mit den darin verhandelten Sujets bei.

Der brechend volle Zuschauerraum bei den öffentlichen Podiumsdiskussionen und Lesungen an diesem Wochenende ist ein Indiz dafür, dass nach wie vor hohe Erwartungen an die Literatur und ihre Autoren gestellt werden. Im besten Fall könnte das wiederholt formulierte Epochengefühl – Ingar Solty spricht von einem „Debut de siècle“ – einen Raum schaffen, die Traditionen einer kritischen Literatur erneut und offen auf ihre Gegenwartstauglichkeit hin zu befragen, um sie auf diese Weise wieder stärker in einen breit rezipierten Debattenzusammenhang zu tragen.

Sabrina Wagner

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