Literatur: Flexibel in den Bankrott
Enno Stahl leuchtet mit seinem Roman „Winkler, Werber“ das Milieu der Werbeagenturen aus.
Der Berufsstand des Werbers erfreut sich nicht gerade großer Beliebtheit außerhalb von Agenturräumen. Denn Werber tragen die Schuld an vielen kleinen und großen unbequemen gesellschaftlichen Veränderungen. Sie ziehen sich zum Beispiel nicht wie das sogenannte alte Geld in die Vororte zurück, sondern besetzen die hippen, ursprünglichen Kieze, Stichwort Gentrifizierung. Als Scharnierwesen zwischen Wirtschaft und Konsument wecken sie Bedürfnisse, von denen viele bislang nichts wussten. Und so jung, flexibel und stylish wie sie zumeist sind, verzichten Werber zu allem Überfluss noch auf hart erkämpfte Arbeitnehmerrechte.
Jo Winkler, Protagonist von Enno Stahls drittem Roman „Winkler, Werber“, ist in jeglicher Hinsicht Werber. Der Art-Director-Text ist rücksichtslos, chauvinistisch, manipulativ – eine Kreatur wie aus den Versuchslaboren der Naumann-Stiftung. Dieser Personifikation des werbenden Kreativwirtschaftlers lässt Enno Stahl die eigene Freiheit schmerzhaft auf die Füße fallen. Mutig bedient er sich dafür der unkonventionellen Erzählform des inneren Monologs. Mutig deswegen, weil das Treiben in den Bewusstseinsströmen eines solchen Ekelpakets keineswegs immer angenehm ist. Auch der an Mündlichkeit angelehnte Sprachduktus mit vielen Unterbrechungen und Gedankensprüngen fordert den Leser. Enno Stahl legt so die hohle und selbstgerechte Selbstwahrnehmung Winklers offen. Am Ende ist Jo Winkler ökonomisch und weltanschaulich bankrott.
Ein Betriebsausflug nach Bad Neuenahr samt Bootsfahrt auf dem Rhein, Kegeln und Kasinobesuch bildet den Rahmen für Winklers Demontage. Die kleine Belegschaft um Agenturchef Werner, der fleißigen Texterin Aggi, Design-Trainee Josh und Praktikantin Vanessa hat mit schlechten Restaurants, dem obligatorischen Rhein-Sauftourismus und allerlei anderen Widrigkeiten zu kämpfen. Die eigentliche Handlung aber spielt sich in Winklers Kopf ab. Dort nämlich wird in ungefilterter Selbstherrlichkeit auf Kollegen und Mitreisende herabgeschaut sowie die letztgültige Deutung über die Welt und ihre Bewohner getroffen: „So ein kleiner Penner, sieht aus wie Scheiße, picklig, verschüchtert, schwindsüchtig, trotzdem zwei auf einmal am Start.“ Als Winkler die Spannungen zwischen Werner und Aggi, deren permanente Telefoniererei sowie die Aufmüpfigkeit des Trainees zwar registriert, aber nicht die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen vermag, bildet sich ein Riss zwischen seiner Eigen- und Fremdwahrnehmung.
Enno Stahl kuriert die weltanschauliche Indisposition seines Helden mit einem großen Schluck der eigenen Medizin. Er lässt Winkler die Kehrseite von Sozialdarwinismus und flexibler Arbeit erleben. Der Leser verfolgt diese Wandlung sowohl mit klammheimlicher Freude als auch mit einem mehr als dezentem Magengrummeln. Zwar hat Jo Winkler als Figur seinen Niedergang wirklich verdient. Allerdings sind die Praktiken von Abwicklung und Entlassung, wie Stahl sie schildert, keine Stationen eines Bildungsromans, sondern marktwirtschaftliche Wirklichkeit.
„Winkler, Werber“ ist in einer flapsigen Sprache gehalten, die Kölner Bucht als Spielort entspricht dem ganz gut. Die Auseinandersetzung mit der Arbeitswelt in diesem Roman erinnert daran, dass der Schriftsteller Enno Stahl in Essays und Artikeln gern die realitätsvergessene Schreibschulprosa aus Leipzig und Hildesheim anprangert. Wenn diese „arbeiten“ sagt, so Stahl, meint sie „kellnern“. Ihre Figuren seien „mehrheitlich dem fast zum Klischee geronnenen Bermudadreieck zwischen Kastanienallee, Volksbühne und Kollwitzplatz“ entnommen. In gewisser Hinsicht liefert „Winkler, Werber“ nicht nur ein Gegenstück zu diesen Figuren der Gegenwartsliteratur, sondern zeigt auch auf, was diese als Kreative in 25 Jahren erwartet.
Wer jedoch eine Prosa des mahnenden Zeigefingers erwartet, wird von Stahl immer positiv überrascht. Bierernst ist in Köln generell keine Primärtugend – und so kontrastiert Stahl in „Winkler, Werber“ seine ernsten Sujets mit lebenslustigen Figuren und humorvollen Sentenzen.
Enno Stahl:Winkler, Werber. Roman. Verbrecher Verlag, Berlin 2012. 317 S., 22 €.
Moritz Scheper
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