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Das „Literarische Quartett“ ging am 25. März 1988 auf Sendung. Über 13 Jahre lobte und verriss die Kritikerrunde um Marcel Reich-Ranicki.
© dpa

Literarisches Quartett: Stunde der Debütanten

Das ZDF will in der Nachfolge des "Blauen Sofas" das „Literarische Quartett“ wieder aufleben lassen. Harald Schmidt ist im Gespräch. Braucht es das wirklich?

Die Idee ist nicht neu, aber auch nicht schlecht: Das ZDF möchte, so hieß es in dieser Woche aus Senderkreisen, das „Literarische Quartett“ wieder auflegen, als Nachfolge für die Literatursendung „Das blaue Sofa“, dessen Moderator Wolfgang Herles demnächst in den Ruhestand verabschiedet wird. Und die Welt, insbesondere die Fernseh- und die Literaturwelt, dürfte bereit sein für diese Neuauflage. Wenngleich die Bedingungen natürlich völlig andere sind als 1988, als das erste „Literarische Quartett“ mit Marcel Reich-Ranicki, Hellmuth Karasek, Sigrid Löffler und einem ständig wechselnden vierten literaturkritischen Gast an den Start ging.

Obwohl das Fernsehen damals bei Weitem noch nicht so bunt und boulevardisiert war wie heute, wurde der Sendung nur wenig zugetraut, auch nicht, dass es sie besonders lange geben würde, geschweige denn 13 lange und unterhaltsame Jahre. Und wie zurückhaltend geradezu formulierte Marcel Reich-Ranicki seine Einleitung in der Debüt-Sendung am 25. März 1988: „Meine Damen und Herren, dies ist keine Talkshow. Was wir ihnen zu bieten haben, ist nichts anderes als Worte, Worte, Worte, 75 Minuten lang Worte, und wenn es gutgeht, es ist ein Ziel, auf das Innigste zu wünschen, vielleicht auch Gedanken.“

Ein weitestgehend neues Medium

Zudem wurden dem Publikum keine Fernsehgesichter geboten, keine Fernsehpromis, sondern Literaturkritiker, die bislang für Zeitungen und für das Radio gearbeitet hatten, bekannte zwar, aber das Fernsehen war für sie ein weitestgehend neues Medium. 77 Ausgaben sollte es dann vom „Literarischen Quartett“ im ZDF am späten Donnerstagabend geben. Es wurde zu einer einzigen Erfolgsgeschichte, legte sich nach dem Ende im Jahr 2001 jedoch wie ein langer Schatten auf die nachfolgenden Literatursendungen. Denn wenn das ZDF jetzt wieder an eine Neuauflage denkt, Pilotsendungen dreht und mit Harald Schmidt einen prominenten Namen ins Literatur-Quartettspiel gebracht hat, ist das auch das Eingeständnis, dass die Vorgänger keine Hits waren, Quotenhits sowieso nicht: nicht „Das blaue Sofa“. Und nicht „Die Vorleser“ mit Ijoma Mangold und Amelie Fried als Moderatoren, die schon nach anderthalb Jahren und wenigen Ausgaben wieder eingestellt wurden.

Literatur im Fernsehen zu präsentieren, das ist ein seit jeher schwieriges Unterfangen: ein sperriges Medium in ein Medium zu integrieren, das glaubt, gerade Sperrigkeit überhaupt nicht vertragen zu können. Das Erfolgsrezept von Marcel Reich-Ranicki und den Seinen war, genau das zu ignorieren: Worte, Worte, Worte eben, ja, auch einige Gedanken, dazu die Lust auf Streitereien und ein bisschen hintergründiges Komödiantentum, was sich freilich erst mit den Jahren einstellte. Aber bloß keine Autoren vor den Kulissen ihrer Bücher, keine Einspieler, keine Musik, wie das sonst so im Fernsehen üblich war und ist.

„Lesen!“ war kongenial - einerseits

Auch Elke Heidenreich zeigte sich im Übrigen mit ihrer nachfolgenden Sendung „Lesen!“, die ähnlich erfolgreich war wie das „Quartett“, ignorant gegenüber den Gesetzmäßigkeiten des Mediums. Wie die Reich-Ranicki-Runde vertraute sie auf die Kraft ihrer Worte. „Lesen!“ war einerseits kongenial, andererseits das komplette Gegenprogramm zum Quartett: nur eine Autorität, statt Gedanken viele Empfehlungen, dazu Tempo, Tempo, Tempo. An die Persönlichkeit einer Heidenreich reichten Amelie Fried und Ijoma Mangold nicht heran, der spröde Wolfgang Herles sowieso nicht, und das Konzept der Zwei- und womöglich Gegenstimmigkeit war bei den „Vorlesern“ leider nur ein müder Quartett-Verschnitt. Also entdeckte man mit dem „Blauen Sofa“ wieder das alte Format, die Präsentation von Autoren und Büchern vor mitunter exotischen Kulissen, ein „Druckfrisch“-Aufguss, nur dass Denis Scheck in der ARD um ein Vielfaches lebendiger als Herles agiert. Das „Blaue Sofa“ wirkt im Nachhinein wie eine Verlegenheitslösung, wie üppig illustrierte Ratlosigkeit.

Denn natürlich lässt sich über Bücher besser reden und streiten, wenn ihre Urheber nicht dabei sind, und deswegen ist die Idee des „Literarischen Quartetts“ ja so unschlagbar. Nach Lust, Laune und literaturkritischen Maßstäben kann da gelobt oder verrissen werden, was im schlechteren Fall sicher böse und verletzend ist, aber höchst unterhaltsam sein kann. Dafür braucht es Kompetenz, literaturkritische sowieso, aber auch mediale, dem Fernsehen entsprechende.

Dann ist man schnurstracks bei Roger Willemsen

Das dürfte das Problem der Planungen für das mögliche „Literarische Quartett 2.0“ werden. Das Risiko, vier unbekannte Gesichter, im Fernsehen unbeschriebene Blätter zu präsentieren, ist dem ZDF mutmaßlich zu groß. Allein der Name Harald Schmidt ruft ja ein gewisses Gähnen hervor: natürlich Harald Schmidt, wer denn sonst? Ein Fernsehentertainer, belesen zwar, aber kein Literaturkritiker. Angeblich soll Schmidt schon abgesagt haben. Er freue sich sehr auf das „Literarische Quartett“, allerdings nur als Zuschauer, ließ Schmidts Managerin laut „Bild“ mitteilen. Ja, und dann ist man schnurstracks bei Roger Willemsen, bei Barbara Schöneberger (liest die nicht hin und wieder mal ein Buch?), bei Max Moor (oje!), bei Anke Engelke (nun denn). Oder beim guten alten Hellmuth Karasek. Machte der nicht erst am Todestag von Günter Grass bei Claus Kleber im ZDF-„heute journal“ wieder eine gute Figur? Selbst wenn er zunächst nicht in die Kamera schaute. Fernsehpromis halt.

Klar, wenn man an die 3sat-Übertragungen vom Ingeborg-Bachmann-Preis denkt, an Burkhard Spinnen oder Hubert Winkels mit ihren manchmal komplizierten Gedankengängen zu der gerade vorgelesenen Literatur, an Daniela Strigl mit ihrem vor allem subtilen Witz, dann weiß man: Literaturkritik rockt nicht auf Anhieb. Man muss sich auf sie einlassen, sie muss sich entwickeln können. Das hat sie mit ihrem Gegenstand gemein: Auch für gute Literatur braucht es einen langen Atem, auch Bücher brauchen ihren Platz und ihren Raum, bis man sie, ihren Stoff, ihren Sound, ihren Stil begriffen hat und womöglich begeistert aufnehmen kann. Um Zeit geht es, und diese Zeit hat das Fernsehen heute noch viel weniger als damals, um eine Sendung und ihre Protagonisten sich entwickeln zu lassen, um Quoten zu erzielen, die man sich so vorstellt.

Harald Schmidt hat übrigens schon einmal lächelnd abgewinkt, 2001, als er von dem damaligen Hanser-Verleger Michael Krüger als Reich-Ranicki-Nachfolger für ein sogenanntes Literarisches Café vorgeschlagen wurde: „Meine Erfahrung ist, dass man keine einzige Sendung vermisst, die eingestellt wird. Was weg ist, ist weg.“ Da hat er sich wohl getäuscht.

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