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Guntram Vesper, 74, gewinnt den Preis der Leipziger Buchmesse 2016, für "Frohburg" in der Kategorie Belletristik .
© Jan Woitas/dpa

Preis der Leipziger Buchmesse: Guntram Vesper gewinnt mit "Frohburg"

Lesen für’s Leben: Guntram Vesper gewinnt bei der Belletristik mit seinem Mammutroman „Frohburg“.

Es ist genau 16 Uhr an diesem Messedonnerstag. Gleich beginnt die Verleihung der Preise der Leipziger Buchmesse in den Kategorien Belletristik, Sachbuch und Übersetzung. Und so herrlich und kraftvoll wie den ganzen Tag schon strahlt auch jetzt die Sonne in die Glashalle des Messegeländes. Doch bevor sich Brigitte Döbert, Jürgen Goldstein und Guntram Vesper über ihre Preise freuen können, mit der Sonne im Antlitz, muss doch ein wenig Düsternis Einzug halten, muss ein gar nicht mal so leises Klagelied bei dieser Verleihung gesungen werden. Dafür sorgt die Jury-Vorsitzende Kristina Maidt-Zinke. Sie beklagt in ihrer einleitenden Rede die Bedrängnisse der Literaturkritik, dass deren „Fundament ins Wanken geraten“ sei, Stichworte Zeitungskrise, Allmacht der Finanzmärkte, digitaler Kapitalismus. Maidt-Zinke erklärt noch einmal, was das Fundament ist: die Errungenschaften der Aufklärung, die bis heute reichen, die Urteilskraft der Fachleute, ihr hohes stilistisches Können, ihr Vermögen, aus der Flut der Neuerscheinungen die Kunstwerke „herauszufischen“. Und sie ruft aus, wider „das positive Denken des Marktes“, auch in dem Bewusstsein, dass womöglich sie und ihre Kollegen und Kolleginnen „die letzten Mohikaner“ seien: „Wir sind keine Kaufberater, keine Trendscouts!“ Wow! Gut gebrüllt, möchte man meinen, fragt sich aber: Wem erzählt sie das? Was bezweckt sie damit? Was sagen die Kapitalmärkte dazu? Christine Westermann? Man mag es nicht immer wieder hören, dieses Gejammer, man steckt ja selbst mit drin. Zumal so viel literaturkritische Gesumme auf allen Kanälen ist und eben nicht nur Empfehlung und Kaufberatung. Don’t cry, work!, das ist jedenfalls die bessere Devise.

Und alle drei Gewinner des Preises der Leipziger Buchmesse: Sachbuchautor Jürgen Goldstein. Übersetzerin Brigitte Döbert und Belletristik-Sieger Guntram Vesper.
Und alle drei Gewinner des Preises der Leipziger Buchmesse: Sachbuchautor Jürgen Goldstein. Übersetzerin Brigitte Döbert und Belletristik-Sieger Guntram Vesper.
© Jan Woitas/dpa

Die Entscheidungen der Jury passen zum Ton dieser Rede. Sie können, so man denn will, als Trotz verstanden werden: Hier ihr Marktgläubigen, ihr Lesefutterliebhaber- und verbreiter, nehmt dies! Nehmt nicht den Strunk, der liegt schon in so vielen Schränken, nicht das Klimawandelbuch von Hans Joachim Schellnhuber, das ist so zeitgemäß, und nicht die Heibert-Übersetzung von Richards Ford „Frank“, der Ford hat doch eine riesige Gemeinde! Und nehmt Bücher von kleineren Verlagen, in diesem Fall von Matthes & Seitz und gleich zweimal von Schöffling, nicht immer Hanser-Suhrkamp-Rowohlt-und-Co.!
Gerade mit der Übersetzung von Bora Ćosić’ Roman „Die Tutoren“ durch Brigitte Döbert und dem Belletristik-Preis für Guntram Vesper und sein monumentales Geschichts- und Geschichten- und Erinnerungsbuch „Frohburg“ hat die Jury zwei genauso großartige wie zum Teil durchaus unzugängliche Werke ausgewählt. Sie verlangen dem Leser viel Fleiß ab und die Bereitschaft, sich zu quälen – und sicher mal die zwischenzeitige Frage bei der Lektüre: Soll ich wirklich?

Die Übersetzung von Ćosić' Großbuch ist eine wahrhaft preiswürdige Arbeit

Das avantgardistische Großbuch von Ćosić mit seiner Fabulier- und Experimentierlust zu übersetzen, mit seinen Sprachspielereien, seinen Reimen und Wortspielen, seinem Drang, 150 Jahre Jahre mitteleuropäischer Geschichte in einer Familienchronik zu spiegeln, das ist eine herkulische, unbedingt preiswürdige Arbeit gewesen. Und auch Vespers „Frohburg“ sticht heraus in seiner Monumentalität, seiner Weltumspanntheit, seiner Obsession, auch seiner mitunter formalen Ambitioniertheit. Das könnte selbst einmal ein Buch für den Geschichtsunterricht werden (die armen Schüler, ist aber was für’s Leben!). Schön, dass Vesper sich beim Empfang seines Preises ganz, ganz kurz hält: „Herzlichen Dank, mehr kann ich nicht sagen.“
Der Preis an Jürgen Goldstein für sein Buch über den Entdeckungsreisenden, Naturkundler und Revolutionär Georg Forster aus dem 18. Jahrhundert ist da im Vergleich schon ein Zugeständnis, so anschaulich und unaufgeregt ist Goldsteins Prosa, so angenehm tritt der Philosophie-Professor aus Koblenz hinter seinen Gegenstand zurück, so wohltuend verschafft er Forster die Bühne seines Buches.
Ach, nein, wer will da klagen? Das passt schon mit diesen Preisen. Die hätte auch der eine oder die andere der anderen Nominierten bekommen können, das wurde natürlich wieder betont, aber je nu. Nächstes Jahr gibt es wieder einen Preis der Leipziger Buchmesse. Und vielleicht strahlt dann auch die Literaturkritik wieder.

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