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Auch Frank Bascombes ehemalige Strandvilla wurde zerstört. In einer Erzählung trifft er den jetzigen Besitzer. Unser Bild zeigt Union Beach in New Jersey, November 2012.
© REUTERS

Roman "Frank" von Richard Ford: Die starke Hand des Hurrikans

Richard Ford lässt seinen Held Frank Bascombe wieder auferstehen. In "Frank" geht es um Wirbelsturm Sandy und die Verwirbelungen der Sprache.

Es hat mal wieder eine Katastrophe gegeben im Leben von Richard Fords Lieblingsheld Frank Bascombe; eine Katastrophe, die anders als in den Bascombe-Büchern „Sportreporter“, „Unabhängigkeitstag“ und „Die Lage des Landes“ keine ausschließlich private ist, ja die Bascombe sogar einigermaßen verschont hat. Wirbelsturm Sandy ist über das Land gezogen, er hat mehr noch als im Landesinneren New Jerseys, wo Bascombe wieder wohnt, in den Küstenregionen gewütet. Der nun 68-jährige pensionierte Immobilienmakler trifft sich hier, im fiktiven Örtchen Sea Clift, mit einem Mann, der vor Jahren seine Strandvilla erworben hatte – sie ist nun komplett zerstört. Bascombe ahnt, dass er diesem Arnie Urquhart kaum wird helfen können, außer vielleicht „da zu sein – Arnies Zeuge zu sein“. Und er weiß: „Die starke Hand eines ordentlichen Hurrikans hat etwas für sich, sie macht dem Leben unsanft klar, wie relativ alles ist. Wann immer wir ein bisschen anders auf etwas reagieren, als wir eigentlich erwartet hatten, lohnt es sich genauer hinzuschauen. Was natürlich leicht gesagt ist, ich wohne ja nicht mehr hier.“

Eigentlich hatte der mittlerweile 71-jährige Richard Ford mit Frank Bascombe schon abgeschlossen. Es war dann der Wirbelsturm im Herbst 2012, der ihn wieder auf die Figur zurückkommen ließ. Es sei die Stimme Bascombes gewesen, so Ford in einem Interview, die ihm durch den Kopf ging, als er die Schäden sah, die Sandy angerichtet hatte. Diese Stimme sei für ihn die einzig angemessene gewesen, um all das beschreiben zu können. So entstand zunächst „Ich bin da“, die erste von vier jeweils fünfzig bis sechzig Seiten zählenden Erzählungen, aus denen dieses Frank-Bascombe-Buch besteht. Im Original heißt es vieldeutig „Let Me Be Frank With You“, auf Deutsch lediglich „Frank“. Es sind einerseits jeweils abgeschlossene Geschichten, andererseits erzählt Frank Bascombe fortlaufend von seinem Leben in den Wochen nach Sandy bis zu den Tagen kurz vor Weihnachten, als er sich eigentlich mit seinem Sohn Paul in San Antonio treffen will.

Romanheld im Ruhestand

Viel passiert nicht in diesem Buch, ähnlich wie in den anderen Bascombe-Romanen. Und auch nicht im Leben dieses älteren Herren, der seinen Prostatakrebs zu überwunden haben scheint. Einmal die Woche fährt er zum Flughafen Newark Liberty, um hier aus Afghanistan oder Irak zurückkehrende US-Soldaten willkommen zu heißen; er schreibt eine Kolumne für ein sogenanntes „Salut!“-Magazin, das Infos und Tipps für eben jene Kriegsheimkehrer enthält; und ebenfalls einmal die Woche liest er im Radio für Blinde aus einem Naipaul-Roman vor. „Jedenfalls habe ich meine persönlichen Fühler ausgestreckt“, so nennt er das einmal, „um etwas zu finden, das ich tun kann, und zwar vereinbar mit der Ende-meiner-Tage-Phase – die sonst unter ,Ruhestand‘ läuft.“

Im Zentrum der vier Geschichten stehen Begegnungen Bascombes: mit eben jenem Arnie Urquhart. Mit einer schwarzen Frau, die früher mit ihrer Familie das Haus in dem (ebenfalls fiktiven) New-Jersey-Örtchen Haddam bewohnte, in dem Frank nun mit seiner zweiten Frau Sally lebt; sie erzählt ihm von einer Familienkatastrophe, die nicht zuletzt damit zu tun hat, dass eine schwarze Aufsteigerfamilie in einem größtenteils vom weißen Mittelstand bewohnten Viertel nicht zurechtgekommen ist; dann mit seiner Ex-Frau Ann, die jetzt, Parkinsonkrank wie sie ist, nicht weit von Haddam in einem Feng-Shui-High-Tech-LuxusPflegeheim lebt. Und schließlich mit einem alten Bekannten, der an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt ist, nur noch wenige Wochen zu leben hat und ihm eine überraschende Beichte macht.

Jede dieser Begegnungen ist für Bascombe Anlass, die amerikanische Gegenwart mitsamt ihren medialen Sprachneuerungen, Sprachverwirrungen und Sprachverhunzungen in den Blick zu nehmen. Und auch die eigene Vergangenheit, in der er den frühen Tod eines Sohnes bewältigen musste, sich – damit durchaus in Zusammenhang stehend – von seiner Frau scheiden ließ oder als er vom wenig talentierten, erfolglosen Schriftsteller zum Sportreporter und schließlich Immobilienmakler wurde.

Die Vorstädte haben Modellcharakter für die "wirkliche Wirklichkeit"

Die Worte scheinen neben den Häusern nach wie vor die größte von Franks Passionen zu sein, die Sprache an sich. Da stellt er sich dann ein „reduziertes Reservoir an besseren Wörtern“ vor, „als Modell für klareres Denken“, gerade auch im Angesicht einer Katastrophe wie Sandy. Fords vier Geschichten stecken nicht zuletzt deshalb voller Wortspiele und Wendungen aus der Alltags- und Umgangssprache, was der Ford-Übersetzer Frank Heibert mitunter bravourös gelöst hat. Störend dagegen ist der dauernde Gebrauch des Wörtchens „wo“ für „where“, das gerade im zweiten Kapitel inflationär auftaucht, wo, nein, besser: in dem es von Formulierungen nur so wimmelt wie „das Haus, wo du immer gewohnt hast“, „es gibt wahrscheinlich Orte, wo man lieber nicht hinsollte oder „angeblich sind ja die Vorstädte der Ort, wo nichts passiert“.

Na ja, es passiert doch einiges in den Vorstädten, das zeigt Ford mit seiner Bascombe-Reihe sehr schön. Sie besitzen durchaus Modellcharakter für die „wirkliche Wirklichkeit“, jenseits von Ereignissen wie dem Amoklauf in Columbine, dem Terroranschlag in Oklahoma City oder eben Sandy. Das zeigen die Schönheits-OPs von Arnie, dessen „Neutapezierungen“ und „Umfräsungen“, das zeigt die digitale Totalüberwachung in Anns Alten-und Krankenheim, in denen die Schritte jedes Besuchers bis hin zu den Körperfunktionen der Bewohner registriert werden. Und das zeigen insbesondere die Veränderungen, die ein Ort wie Haddam gerade durchmacht: „Eine Sondergenehmigung für einen Chiropraktiker. Der Umbau einer Wohnung, wo bis vor kurzem eine Witwe gelebt hat und nun gestorben ist, in eine Anwaltskanzlei. Ein holistisches Wellnesscenter mit Pilates- und Reiki-Gurus, ein Online-Reiseagent und ein Kopierladen. (...) Gemischte Nutzung – das Ende des Lebens, wie wir es kennen.“

Er hat mitunter etwas Elegisches, dieser Ton, in dem Richard Ford seinen Helden über das „neue Normale“, das moderne Leben räsonieren lässt, über das Alter, die Zeit, den Tod. Und doch steckt in diesen Lebens- und Amerika-Betrachtungen auch viel Komik und eine selbstironische Distanz, die paradoxerweise eine erstaunliche Nähe zu Bascombe herstellt. Diese Stimme bekommt man auch nach der Lektüre kaum aus seinem Kopf.

Auf der Suche nach der Essenz des Lebens

Das liegt unter anderem an dem ständigen Wechsel aus innerem Monolog und Ich-Erzählung, daran, dass Bascombe scheinbar einfach drauflos erzählt, aber immer wieder zu überaus klugen Reflexionen in der Lage ist, die man ihm kaum zutraut. Vom Herbeizitieren eines Ben Jonson, eines Henry James oder eines Ralph Waldo Emerson über das Unterschreiben seiner Kolumne mit den Initialen HLM als Hommage an den Schriftsteller H.L. Mencken bis hin zu der Konstruktion eines „Elementar-Ichs“ für seine Ex-Frau. Allerdings wirkt dieses Elementar-Ich mehr wie ein Ideal-Ich, eines, „das ich am liebsten in der Wahrnehmung anderer wäre und tief innen auch zu sein glaube: ein Mann der nicht lügt (oder selten), der nichts aus der Vergangenheit ableitet (...), der sich die Zukunft nicht ausmalt, der seine Äußerungen optimiert (keine Ausschmückungen) und in jeder Situation freundlich bleibt“. 

Kurzum: fast alles, was auf Frank Bascombe nicht zutrifft, zum Glück für den Leser. Er mag zwar ständig auf der (vergeblichen) Suche nach einer Essenz des Lebens sein, gerade mit zunehmenden Alter, glaubt aber nicht an so etwas wie einen immer gleich bleibenden Kern, eine Substanz. Das Leben, heißt es einmal, ist vor allem „etwas Wimmelndes, Verwirrendes, gefolgt vom Ende“. Das aber steht für Frank Bascombe noch nicht an, vielleicht bleibt Richard Ford ihm ja ein weiteres Mal treu. An Katastrophen herrscht in den USA und anderswo schließlich kein Mangel.

Richard Ford: Frank. Aus dem amerikanischen Englisch von Frank Heibert. Hanser Berlin, Berlin 2015. 220 Seiten, 19, 90 €.

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