Julian Röder im Haus am Waldsee: Grenzen der Wohlstandszone
Macht und Wahnsinn des Kapitals: Der Fotograf Julian Röder betreibt Aufklärung als Zivilisationskritik. Seine Werke sind im Berliner Haus am Waldsee zu sehen.
Drei Fotografien beschreiben eine Mission: In einem Zeppelin über dem Mittelmeer sitzt ein Mann, der mit dem Joystick eine komplizierte optische Apparatur bedient. In der Serie „Mission and Task“ geht es um die Überwachung und Sicherung der europäischen Außengrenzen. Von den Menschen, die diese Grenzen passieren wollen, existieren dramatische, kaum erträgliche Bilder: überladene Boote, die Geretteten, die Toten. Der Fotograf Julian Röder zeigt eine andere, nüchterne Seite der Problematik.
Bei der Apparatur handelt es sich um eine Radarkamera, der Mann am Joystick ist ein hochspezialisierter Fotograf. „Ein Kollege“, so Röder. Beide arbeiten daran, Verborgenes sichtbar zu machen. Röder allerdings betreibt Aufklärung als Zivilisationskritik. Sich selbst nimmt er nicht aus, wenn er die Überwachungsspezialisten als seine „Stellvertreter“ bezeichnet: „Es ist ja auch mein Wohlstandsraum, den diese Leute abgrenzen.“ Kapitalismus heute: Es ist schwierig, Position zu beziehen. Die Fronten sind unklar, die Lage kompliziert. Ein Fall für Künstler.
Vier zwischen 2001 und 2013 entstandene Fotoserien sind in Röders Werkschau im Haus am Waldsee zu sehen. Hinzu kommt als neuer Zyklus „Licht und Angst“ zu esoterischem Denken und Verschwörungstheorien. Er entstand 2014 im Rahmen des Ellen-Auerbach-Stipendiums der Akademie der Künste.
Wie Szenenfotos einer Sci-Fi-Serie
Fotografie ist ein flexibles Medium, das journalistischen wie künstlerischen Zwecken dienen kann. Julian Röder, 1981 in Erfurt geboren, später bei Ostkreuz und Timm Rautert in Leipzig ausgebildet, bewegt sich zwischen beiden Polen. Die Ausstellung zeigt Aufnahmen, die er zwischen 2001 und 2008 während der G8-Gipfel von Genua bis Hokkaido machte. Röder nahm an den Protesten der Globalisierungsgegner teil, aber die Kamera hielt ihn auf Distanz.
Der Künstler deutet auf eine Aufnahme von den tränengasumwölkten Protesten in Genua. Damals, 2001, habe er begriffen, dass solche Dokumente auch als Bild – und damit im Kunstkontext – funktionieren. Heute wirken seine G8-Fotos wie moderne Historienbilder. An ihnen lässt sich die Verlagerung der Gipfeltreffen von urbanen in ländliche Räume ablesen. Die Sicherheitskräfte hatten dazugelernt: auf dem Land ließen sich die Gegner besser in Schach halten.
Röder fand weitere Schauplätze, an denen sich die Macht zeigte. Immer wieder geht es in seinen Werken um die Macht des Kapitals. Zwischen 2007 und 2009 fotografierte er auf Konsum-Messen. Seine Serie „Human Resources“ richtet das Augenmerk auf die genormte Körpersprache von Fachkunden und Verkäufern. Die Bilder wirken wie Szenenfotos einer Sci-Fi-Serie, zumal der Fotograf sämtliche Logos und Namen digital löschte. Blicke in die Zukunft? Der Turbokapitalismus ist längst im Gange, wovon die Normalkonsumenten indes ziemlich wenig mitbekommen. Man wüsste wenig über die „World of Warfare“ (Serientitel von 2011), hätte Julian Röder die größte Waffenmesse der Welt in Abu Dhabi nicht dokumentiert. Panzer, Luftraketen und Maschinengewehre werden feilgeboten wie Küchengeräte. Eine Wand mit Kleinformaten zeigt den Wahnsinn des Waffenhandels mit beißender Komik: Kinder posieren in Kampfhubschraubern, vor einer Landschaftstapete mit Panzern werden Häppchen gereicht.
Wie sieht Wahn aus?
Röder zeigt in allen seinen Serien spezifische Gruppen oder das Aufeinandertreffen solcher Parteien. Die Gruppen stabilisieren sich in der Regel durch Feindbilder. Diese Kultur der Abgrenzung wird in den neuen Arbeiten noch gesteigert. Die vier Kapitel der Reihe „Licht und Angst“ kreisen um enge Weltbilder, die in ihrer Festigkeit kaum zu erschüttern sind. Das Thema ist hochaktuell. Die Zahl derer, denen Glauben vor Wissen geht, wächst. Populisten wie Trump, Wilders, Le Pen oder Petry nutzen das Desinteresse ihrer Klientel an Fakten aus. Was dem „postfaktischen“ Menschen nicht in den Kram passt, blendet er aus oder diffamiert es als Lüge.
Wie sieht Wahn aus? Julian Röder hat einen Selbstversuch gestartet. Für eine experimentelle Reihe hat er rechtslastige historische Bücher wie Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ (1918) und Julius Evolas „Revolte gegen die moderne Welt“ (1935) gelesen und sich während der Lektüre ein Stück Rohfilmmaterial auf die Stirn geklebt. Die großformatig ausgestellten Ergebnisse der, naja, Gedankenfotografie sind erstaunlich divers und farbenfroh geraten. Aus Schweiß und Wärme haben sich abstrakte, nebulöse Landschaften gebildet.
Idyll in einer Blase
In einer Fotoreportage widmet sich Röder Gemeinschaften in der russischen Krasnodar-Region, die der Anastasia-Bewegung angehören: Familien, die weitgehend auf moderne Technik verzichten und sich um Wiederbelebung der vedisch-slawischen Ahnenkultur bemühen. Trachtenträger, Tänze zur Sommersonnenwende, Feuerschein, Blättersammeln im Birkenwald. Sieht das nicht friedlich aus? Idyll in einer Blase.
Für eine weitere Reihe fotografierte Röder Kondensstreifen am blauen Himmel. Manche sprechen von „Chemtrails“, Chemikalien, mit denen uns die USA vergiften wollen. Auf die Verschwörungstheorie hat sich Röder spielerisch eingelassen. Im Haus am Waldsee steht eine zwei Meter hohe Plexiglassäule voller Halbedelsteine und Metallspäne, ein Nachbau nach Plänen aus dem Internet. Sie soll gegen das Gift aus dem Himmel helfen, erklärt Röder, der die Gegenzauber-Skulptur auch in Landschaftsfotos auf Rügen oder an der Wevelsburg bei Paderborn hineinkopiert hat. Fotomontagen! Da sieht man es wieder! Alles Lüge! Diesen Julian Röder muss man im Auge behalten.
Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, bis 12. 2.; Di-So 11-18 Uhr. Katalog 18 €
Jens Hinrichsen