Im Kino: "Foto: Ostkreuz": Äußerer Druck und innere Freiheit
Der Film „Foto: Ostkreuz“ porträtiert die Agentur, die den Bildkosmos der DDR ins Heute rettet.
Viele Errungenschaften der DDR, wie etwa die quasi flächendeckende Kinderbetreuung, haben die Wende nicht überlebt. Die Fotografie des Landes war jedoch nie weg. Im Gegenteil, großartige Bilder zeigten dem staunenden Westen den Osten und den Alltag der Menschen, weil Fotografen wie Harald Hauswald, Sibylle Bergemann, Arno Fischer, Ute und Werner Mahler jahrelang mit großer innerer Freiheit auf ihrer eigenen Wahrheit, ihrer Sicht auf die DDR bestanden hatten.
Die sieben Fotografen, die sich am 7. April 1990 zu der Agentur mit dem griffigen Namen „Ostkreuz“ zusammentaten, waren keine Anfänger. Sie hatten nicht nur eine Absicht, sondern auch ein Archiv: Die DDR-Fotografie als soeben abgeschlossenes Sammelgebiet. Tausende Negative taugten als Fundament für eine Agentur – wenn nicht sogar als Sockel für ein Denkmal. Sie würden weiter Spezialisten für das Gesellschaftstheater sein, das sich Deutschland nannte, und noch im gleichen Jahr wiedervereinigt wurde. „Ostkreuz“ wurde die profilierteste Fotoagentur des Landes, sieben ihrer Fotografen sieht Maik Reichert nun in seinem Film bei der Arbeit zu.
Wir werden also Zeugen, wie Ute und Werner Mahler hinter ihrer Ziehharmonika-Plattenkamera Lars Eidinger einen Totenkopf ausreden, den dieser mit auf das Bild haben will. „Dann guckt keiner mehr auf dein Gesicht.“ Wir sehen, wie die beiden Nina Hoss „ein kleines Lächeln, nur so mit den Augen“ entlocken, ihr Kopf an eine unbequeme Holzstütze gelehnt. Wir sehen Annette Hauschild in Rumänien in einem wilden Rudel von Roma-Kindern auf der Suche nach einer Perspektive. Und wir sehen Maurice Weiss in einer Herde von Hauptstadt-Fotografen an der Gleichförmigkeit der Bilder im Politikbetrieb verzweifeln.
Kritik in Schlachtgemälden und Sarkasmus
Vermutlich ist „Ostkreuz“ die einzige Agentur, die von ihren Mitgliedern eine „Haltung“ einfordert, Ute Mahler nennt sie „humanistisch“. Sie müssen sich für Menschen interessieren, aber ihre Bilder nicht auf deren Kosten machen. Magazin-Aufträge sollen freie, eigene Projekte der Fotografen finanzieren, schon Erfolgreiche sollen Jüngere mitziehen.
„Unser Magnum“, sagt Annette Hauschild einmal liebevoll. Tatsächlich ist viel Straßenfotografie vertreten. Harald Hauswald begann als Telegrammbote in Prenzlauer Berg, wo er so viel sah, dass er es festhalten musste. Und weil die DDR eine Diktatur war, musste er die Kritik über Bande formulieren: Ein Schild „Wohnkultur“ vor einer Altbau-Ruine war ein sarkastischer Kommentar. Die Ladenwerbung „Reparatur aller Systeme“ ein echter Lacher. Unterdrückende Systeme rufen oft die schönsten Metaphern und Bilder hervor, weil nur mit ihrer Hilfe die Wahrheit benannt werden kann.
Auf Protest an der globalisierten Gesellschaft hat sich Julian Röder spezialisiert. Wir sehen ihn am Rande von Occupy-Aktionen in Frankfurt und bei Protesten in Korea. Ein großformatiges Bild, das den Widerstand zu einem politischen Gipfel zeigt, beschreibt er als detailreiches Schlachtengemälde, inklusive Eichenrahmen mit Schattenkante. Röder mag „das Farbbeutelrot“.
18 Mitglieder der Agentur sind heute ein bisschen miteinander verheiratet, jedenfalls in Sachen Sympathie, finanzieller Verstrickung und juristisch einklagbarer Verträge. Klar, dass es auch Konflikte gibt: „Das Wir ist immer groß bei Gruppenausstellungen, das Ich ist groß im Finanziellen“, sagt Maurice Weiss.
Haltung zeigen, jetzt erst recht
Früher haben die DDR-Fotografen ihre fotografische Unabhängigkeit gegen eine Zensur verteidigt, heute müssen sie sie vor finanziellen Zwängen bewahren. Ihr Geschäftsmodell macht sie in der Print-Krise verwundbar. Lange Reportage-Projekte sind durch Magazin-Aufträge kaum noch gegenzufinanzieren. Zeitdruck, sagt Ute Mahler, hätten sie früher gar nicht gekannt: Aufträge für die Modezeitschrift „Sibylle“ hatten eine Vorlaufzeit von einem Dreivierteljahr. Aktualität? Unnötig. Die Kleider gab es ja ohnehin nirgendwo zu kaufen. Dass diese Zeiten vorbei sind, ist allen klar, und so gewinnt der Film zunehmend den Ton einer Retrospektive.
Da sitzen die Fotografen zusammen, integre Leute, die bereit sind, für ihre Qualitätsansprüche einen Preis zu zahlen. Sie müssen sich gegenseitig vergewissern, dass es auch in Zeiten der Beschleunigung auf Haltung ankommt. Ankommen muss. „Sonst können wir gleich zumachen“, sagt Annette Hauschild. Dann zeigt der Filmemacher Maik Reichert, der selbst an der Ostkreuz-Schule unterrichtet, das Bild von einem Berliner Straßenhändler, der im Regen eine Plane schützend über die letzten Relikte der DDR breitet.
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