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Faust (Fabian Stromberger), Helena (Anna von Haebler) und Mephisto (Christopher Nell).
© DAVIDS

Robert Wilson inszeniert "Faust" am Berliner Ensemble: Goethemeyers Greatest Hits

Robert Wilson versucht am Berliner Ensemble wieder einen Klassiker: „Faust I und II“ - in viereinhalb flink durcheilten und doch langen Stunden. Mit Musik von Herbert Grönemeyer. Und einem tollen Teufel.

Am Ende sieht es so aus, als habe der Teufel die Wette gewonnen. Die zwei Gesellen ruhen aus auf einer Bank, nach all ihren seltsam lahmen Exzessen und Exkursionen, und Faust fragt: „Wohin soll es nun gehen?“ Mephisto antwortet: „Wohin es dir gefällt –.“ The show must go on. Nichts mit Himmelfahrt und Seelenreinigung des Sünders. Gott kann warten. Das wäre eine klare Ansage. Aber so klar ist bei diesem „Faust“ nichts. Oder: alles zu klar und viel zu einfach.

Der Teufel hat das Sagen. Beim „Prolog im Himmel“ kündigt sich das schon an. Das Bild verbreitet kitschigen Barock, Mephisto ist zu einem Routinebesuch oben, der „Herr“ ist weiblich und spricht mit Süffisanz, und den Erzengeln sitzt der Schalk im Nacken. Der Teufel führt.

Nichts ist im Leben endgültig, nur der Tod. Aber der fällt hier ja aus. Und mit ihm auch das Lebendige, das Pulsierende, wo ist die Story, was treibt den Charakter Faust?

Was war das - ein nicht enden wollendes Musical?

Viereinviertel Stunden sind vorüber, und man fragt sich: Was war das? Für „Faust I und II“ ist das eine rasend kurze Spieldauer; bei Peter Steins komplettem Goethe ging es damals über zwei Tage. Bei einem Musical würde man wiederum sagen: über vier Stunden, das ist viel zu lang. Und wie hieße dieses Goethe-Musical? Vielleicht: Ich war noch niemals in Weimar, frei nach Udo Jürgens. Allerdings war Robert Wilson letzten Sommer in der Klassikstadt und wurde mit der Goethe-Medaille geehrt. Oder nennen wir das neue Ding „Black Rider reloaded“? Bei der unvergesslichen Hamburger „Freischütz“-Version von Wilson, William S. Burroughs, Wolfgang Wiens und Tom Waits war die Welt voller Teufel – und unsterblicher Reime. Und einmal auch, vor langer Zeit am Hebbel-Theater, als es noch nicht HAU hieß, hat Wilson nach einer Dichtung von Gertrude Stein und mit der Musik von Hans-Peter Kuhn „Dr. Faustus Lights the Light“ in Szene gesetzt.

Es gibt jede Menge Fäustlinge in Robert Wilsons immensem Werkverzeichnis, und als er selbst, auch das liegt weit zurück, als Hamlet-Prinz solo auf der Bühne stand, sah er aus wie der perfekte Mephistopheles. Aber es hilft wenig.

Ein diffuses Gefühl verbreitet Wilsons „Faust“-Inszenierung am Berliner Ensemble, in einer Textstraffung von Jutta Ferbers. Irgendwie sitzt das zwischen den Stühlen, die er so gern auf der Bühne hat. „Zueignung“, Osterspaziergang, Hexenküche: alles da. Angespielt, abgehakt. Schnell weiter! Und das bei Robert Wilson, dem Zen-Meister der Bühne. Wie schon bei der schlanken, eleganten Produktion von Georg Büchners „Leonce und Lena“ vor zwölf Jahren am BE hat Herbert Grönemeyer die Musik geschrieben. Und für die Songs auch ein bisschen an Goethes Versen gedreht. So gibt’s die Greatest Hits von Goethemeyer.

Die Leimspur des Herbert Grönemeyer

Es wird lustig marschiert und feierlich georgelt, der „Mensch“ unseres Liedermachers, der ja vom Theater kommt, klingt durch, und breit und süß wird der Soundtrack ausgestrichen von den acht Musikern im engen Orchestergraben. Grönemeyers Kompositionen legen eine Leimspur auf die uralte Geschichte vom Gelehrten Doktor F., der sich wohlfühlt in diesem Nachtclub-Ambiente.

Wilsons Lichtwechsel sind wieder Legion, da kommt selbst der Top-Teufel kaum mit. Fünf Fäuste teilen sich den „Habe nun, ach“-Monolog im Studierzimmer, nachher sind es nur noch vier, wenn es zu Gretchens Halleluja geht, vier Fäuste und dreifach Margarete, Bruder Valentin stapft in zweifacher Gestalt daher. Welche Drogen die hier wohl nehmen? Mephisto raucht Wasserpfeife, und bei der Hexe gibt’s einen Schluck aus der Pulle. Ein Horrortrip entwickelt sich jedenfalls nicht. Gretchen wird locker verabschiedet, wie nachher auch die lieben Alten, Philemon und Baucis, die dem Grundbesitzer Faust ein Dorn im Auge sind.

All diese Geschichten könnte ein Regisseur erzählen. Aber Robert Wilson schaut sich das Ganze aus der Ferne an, mit mildem Blick. Die inneren Konflikte, die äußere Handlung – in Chiffren verwandelt. Ein Märchen? Der Grundton hat etwas Besinnliches, Getragenes. Aber Märchen sind nicht harmlos. Und die Mythen, die Goethe mit dem Füllhorn ausschüttet, ebenso wenig. Wilsons Mythen, Monster, Mutationen zeigen eine gewisse Materialermüdung.

Wilsons Strategie für den Faust: Ordnung und Magie.

Ein klassisches Drama hat Goethe sowieso nicht geschrieben. Der „Faust“, zumal im zweiten Teil, explodiert auf multiplen Schauplätzen, keiner blickt mehr durch beim Pandämonium des Olympiers. Wilson räumt sauber auf. Das ist seine Natur: Ordnung und Magie, wie in seinem Spektakel „Einstein on the Beach“ von 1976. Die Wiederaufführung vor zwei Jahren bei den Berliner Festspielen war ein Triumph. Einstein, Physik, Atombombe, all das könnte man faustisch verstehen, so wie es im „Vorspiel auf dem Theater heißt: „Schreitet in dem engen Bretterhaus/Vom Himmel durch die Welt zur Hölle/Den ganzen Kreis der Schöpfung aus.“ Und der Zerstörung.

Das Systematische killt den Zauber

Robert Wilson aber legt mit seiner Systematik, der das Zauberische verloren geht, das Skelett des Textes frei. „Faust“, eine Nummernrevue. Es gibt in diesem zahmen Bestiarium eine Wilson’sche Erfindung, die einem den Atem raubt: Homunkulus, der künstliche Mensch. Er hat einen Körper aus Zahnrädern. Sein Gesicht ist weiß geschminkt, wie bei den anderen, aber er ist eine Maschine – aus der die Stimme Angela Winklers spricht. Eine Maschine mit Seele und Empfindung. Eine Wilson-Kreatur in Vollendung. Und Auflösung: Das expressive Raunen, Zischen, Zappeln hat er abgelegt. Darauf ist Homunkulus nicht programmiert. Man schließt ihn sofort ins Herz, sorgt sich um den Kleinen. Möge es ihm doch gut ergehen in dieser kühlen Hölle.

Für den Herrn Faust ist nichts zu befürchten. Einer also bleibt übrig, ein netter, zarter Kerl. Fabian Stromberger nimmt brav die teuflischen Angebote an, fordert nicht zu viel und überlässt seinem Reiseführer die Initiative. Damit sind wir endlich bei Christopher Nell. Er ist die große Schau, eine souveräne und überaus sympathische Titelfigur, ohne ihn läuft hier nichts. Wenn „Faust“ einigermaßen funktioniert, hieß das Stück schon immer „Mephisto“. Bei Wilson umso mehr.

Christopher Nell dirigiert das junge Ensemble, in dem viele Schauspielstudenten von „Ernst Busch“ stehen, mit unerschütterlich guter Laune. Fantastisch, wie er mit schiefem Gang und feinem Lächeln die Bühne in Besitz nimmt. Er hat am BE schon den Hamlet gespielt und die Fee Tinkerbell in Wilsons „Peter Pan“.

Auch Faust und Mephisto fliegen viel. Doch hier hebt niemand ab. Bevor jetzt die Enttäuschung zu groß wird, verabschieden wir uns mit einem Klassiker, allerdings nicht von Goethe oder Grönemeyer: Sympathy for the Devil!

Wieder vom 17. bis 20. Mai

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