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Dancing in my mind: Der Tanz im Geiste

Robert Wilsons Hommage an Suzushi Hanayagi in der Akademie der Künste zeigt sein Gespür für die Würde und Schönheit alter Menschen.

Zwei Dinge, die Robert Wilson – unter anderen – zu einem außergewöhnlichen Künstler machen: Er liebt es, seine Arbeit bis ins Detail zu erklären, was jedoch nichts wegnimmt von ihrer Magie und Eindringlichkeit. Und er kann anderen Künstlern unendlich treu sein. In fünfzehn Produktionen hat er mit der japanischen Choreografin Suzushi Hanayagi zusammengearbeitet, darunter das weltumspannende Großprojekt „The Civil WarS“, die legendäre „Hamletmaschine“ und – in Berlin – „The Forest“ und „Dr. Faustus Lights the Light“. Nun richtet er ihr in der Berliner Akademie der Künste eine anrührende Hommage aus; und das schließt bei Wilson dann immer auch eine Selbstfeier ein.

Suzushi Hanayagi, geboren 1928 in Osaka, wurde im klassischen japanischen Theater ausgebildet. In den sechziger Jahren ging sie nach New York und gehörte zu den Initiatoren der Judson-Church-Bewegung, einer Keimzelle des Modern Dance. Sie personifiziert, was Wilson geprägt hat: die Abstraktion der Avantgarde und die Strenge asiatischer Ästhetik. Sie waren füreinander geschaffen.

Vor zwei Jahren traf er sie in Japan wieder, in einem Heim für Demenzkranke. Sie spricht nicht mehr und kann sich nicht mehr bewegen. Viele Stunden hat Wilson bei ihr verbracht, für sie getanzt und von früher erzählt. Ein Wunder geschah: Suzushi Hanayagi sucht die Kommunikation. Ihre Finger lösen sich aus der Erstarrung. Ihr Gesicht erwacht. Robert Wilson hat aus dieser erschütternden Begegnung ein Videoporträt geschaffen: Hanayagis Mienenspiel, die feinen Bewegungen der Hand, ein menschliches Stillleben auf vierzig Monitoren, im Ausstellungssaal 3 der Akademie am Pariser Platz. „Dancing in my mind“: Sie tanzt im Geiste. Und dieser Geist erfüllt den Raum, Hanayagis Hand wie zartes Wurzelwerk, ihr Kopf wie eine weiße Maske des No-Theaters. Sie taucht aus dem Vergessen auf. Ein elektronisches Mosaik aus Fragmenten und Sequenzen. Robert Wilsons Gespür für die Würde und Schönheit alter Menschen – man erinnert sich an seine Inszenierungen mit Marianne Hoppe oder Bernhard Minetti – zeigt wahre Größe.

Dazu läuft ein Dokumentarfilm von Robert Wilson und Richard Rutkowski. Wilson in Japan, auf dem Weg zu Hanayagi. Ausschnitte aus dem gemeinsamen Werk, und wieder einmal kann man Wilson als poetischen Erzähler erleben. Im Oktober feiert der Amerikaner seinen 69. Geburtstag, und es liegt eine stille Spannung in diesem Doppelporträt eines Mannes, der ein ungeheuer präzises Gedächtnis besitzt, und einer Künstlerin, der die Krankheit fast alles genommen hat. Die Videos, die Filmdokumentation und schließlich das Tanzstück „KOOL“ – es wird in der alten Akademie der Künste am Hanseatenweg gezeigt – bilden ein Triptychon. Sechs Tänzer aus New York und Djakarta lassen Choreografien von Suzushi Hanayagi wieder aufleben.

In der Performance, die Wilson eingerichtet hat, formuliert sich auch ein Grundproblem des Modern Dance. Die alten, einst bahnbrechenden Stücke gelten als verloren, der Tanz hat kein Gedächtnis, weil man Aufführungen zwar filmisch aufzeichnen, aber sonst nicht festhalten und weitergeben kann. Bewegung lässt sich nicht einfach notieren, Bewegung hat in diesem Sinne keinen Text, Tänzer und Choreografen treten von der Bühne ab. Im letzten Jahr sind Pina Bausch und Merce Cunningham gestorben. Umso stärker die Sehnsucht, das an sich Unwiederbringliche zurückzuholen.

„Dancing in my Mind“, Video, Akademie der Künste, Pariser Platz, bis 12. 9. Nur am 12. 9. um 15 und 20 Uhr in der Akademie, Hanseatenweg „KOOL“, eine Tanzaufführung mit Dokumentarfilm und Gespräch mit Robert Wilson.

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