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Dünne Luft. Steinmeier und Elke Büdenbender am Antisana.
© dpa/Bernd von Jutrczenka

Steinmeier auf den Spuren von Humboldt: Gipfeltreffen auf 4000 Meter Höhe

Welt und Umwelt: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier entdeckt auf seiner Lateinamerikareise Alexander von Humboldt für die Politik.

Als Frank-Walter Steinmeier und seine Entourage vergangene Woche mit dem Auto zum Vulkan Antisana hinaufkurvten, war die Luft so hell und klar, dass die Einheimischen jubelten. Es gebe nur an zehn Tagen im Jahr ein solches Wetter, sagten sie – strahlende Sonne auf dem schneebedeckten Gipfel des 5700 Meter-Massivs. Auch dass sich auf der Fahrt der Kegel des Vulkans Cotopaxi unverhüllt gezeigt habe, sei ungewöhnlich.

Vielleicht haben die ecuadorianischen Gastgeber etwas übertrieben. Sie waren stolz auf den Besuch des deutschen Bundespräsidenten und seiner Frau Elke Büdenbender. Nach Ecuador reisen deutsche Politiker selten. In den Dörfern standen Menschen am Straßenrand und winkten der Wagenkolonne zu. In der Hauptstadt Quito war die Gegend um den Präsidentenpalast weiträumig abgesperrt, martialische Spezialeinheiten und schwer gepanzerte Fahrzeuge bestimmten das Bild. Einige deutsche Journalisten aber, die sich für einen Spaziergang durch das aufs 16. Jahrhundert zurückgehende centro historico von der Steinmeier-Truppe entfernt hatten, wurden von Demonstrantinnen als „Gringos“ und „Hurensöhne“ beschimpft.

Steinmeier erweist sich als grüner Bundespräsident

Staatsbesuche bleiben in der Regel in abgeschlossenen Räumen, wo die Politiker über abgestimmte Oberflächen wandeln. Bei Steinmeiers erster Lateinamerika-Reise als Präsident – sie führte ihn nach Kolumbien und Ecuador – sollte es etwas anders sein. Er ging hinaus in die freie Natur, leistete sich gar einen Ausflug auf die Galápagosinseln, traf Wissenschaftler und Naturschützer und sprach mit Geflüchteten aus Venezuela.

Der Sechs-Tage-Trip stand im Zeichen Alexander von Humboldts, der diese Weltgegend um das Jahr 1800 neu entdeckte und in dessen Handeln Empathie und Neugier, Kunst und Forschung, ökologisches Denken und Weltpolitik keinen Widerspruch darstellten. Steinmeier erweist sich als grüner Bundespräsident. Schon als Außenminister habe er den Humboldt zugeschriebenen Satz „Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben“ beherzigt, sagte er auf dem Rückflug nach Berlin.

Beide Humboldt-Brüder, Alexander und Wilhelm, waren für den preußischen Staat diplomatisch unterwegs. Wilhelm offiziell, Alexander mehr hinter den Kulissen. Große Staatsmänner hätten sie beide sein können, aber sie verfolgten andere Pläne, stürzten sich in Dichtung und Wissenschaft. Deshalb auch üben sie, Alexander vor allem, eine starke Faszination auf Politiker aus. Die Herren von Humboldt dachten frei, folgten ihren Leidenschaften und Interessen. Dabei stand ihr mächtiges Ego einer gesellschaftlichen Verpflichtung nicht entgegen.

Ecuador und seine Vulkane zogen Humboldt magisch an

In Lateinamerika wird Alexander verehrt wie kaum eine andere historische Persönlichkeit, seine praktische Philosophie inspiriert Wissenschaftler und Schriftsteller. Das spürt man in jedem Gespräch in Cartagena, Bogotá und Quito. In Lima ist es nicht anders. Er schlägt eine Brücke zwischen der alten und der so genannten neuen Welt, die sich mit Humboldts Naturideen einmal wieder neu erfinden will. Die Präsidenten Ecuadors und Kolumbiens, Moreno und Duque, setzen auf nachhaltige Wirtschaftspolitik und Ökologie.

Jedenfalls betonen sie das häufig. Es lenkt auch ein wenig von anderen Problemen ab. Humboldt und der Schutz der Umwelt und Artenvielfalt, das ist mal ein positives Thema, das gefällt besonders den europäischen Politikern und Touristen. Damit setzen sich Ecuador und Kolumbien deutlich von der verheerenden Umweltpolitik des neuen brasilianischen Präsidenten Bolsonaro ab, der wie Donald Trump die Natur als rücksichtlos auszubeutende Ressource behandelt. Ecuador und seine Vulkane zogen Humboldt magisch an. Der Antisana war der erste Riese, an dem sich der deutsche Extremforscher versuchte. Pinchincha, Cotopaxi und Chimborazo folgten – dort stellte Humboldt den für die damalige Zeit sensationellen Kletterrekord von 5892 Metern auf.

Ansicht der Anden. Humboldts berühmte Panoramagraphik zur „Geographie der Pflanzen“, 1807.
Ansicht der Anden. Humboldts berühmte Panoramagraphik zur „Geographie der Pflanzen“, 1807.
© Abbildung: Humboldt Universität

Das Vulkanische bewegt und formt die Erde, schafft neues Land, entwickelt bei Erdbeben und Lavaausbrüchen katastrophale Kräfte. Wenn die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften ihr Humboldt-Projekt „Wissenschaft aus der Bewegung“ nennt, dann ist damit auch gemeint: Alles fließt, fest steht nichts. Humboldt sagte: „Alles ist Wechselwirkung.“ Der Blick von einem Vulkanriesen auf das Land lässt sich mit den Empfindungen vergleichen, die Astronauten beschreiben, wenn sie aus dem All auf die Erde schauen. Sie sieht so wunderschön und fragil aus.

Unterhalb des Antisana, auf etwa 4000 Metern Höhe, steht die Hütte noch, in der Humboldt und seine Begleiter campierten. Steinmeier stellte sich daneben zu einem Fototermin auf. Die meisten Menschen bekommen in der dünnen Luft vier Kilometer über dem Meeresspiegel Kopfschmerzen, das Herz pumpt schneller, plötzliche Schwindelgefühle gehören zur Höhenkrankheit. Steinmeier marschierte unermüdlich.

Auch Angela Merkel ist mit Humboldt im Bunde

Abenteuer Galapagos: Frank-Walter Steinmeier und Elke Büdenbender gehen über die Insel Seymour Norte.
Abenteuer Galapagos: Frank-Walter Steinmeier und Elke Büdenbender gehen über die Insel Seymour Norte.
© Bernd von Jutrczenka/dpa

Und Humboldt brachte die Begleiter mit seiner irrwitzigen Energie und Risikofreude zur Verzweiflung. „Insgesamt war es nicht die Kälte, die uns zusetzte, sondern vielmehr ein Übermaß an Licht“, schrieb er über das Antisana- Abenteuer, nachzulesen in dem von Ottmar Ette herausgegebenen „Buch der Begegnungen“ (Manesse Verlag, 2018). Humboldt staunte über die „Reflexionen des Schnees“ am Antisana, „die mir sehr viel stärker vorkamen als in der Schweiz, in den Pyrenäen, in Tirol oder auf anderen Schneebergen Europas.“

Was aber sucht der Bundespräsident in den südamerikanischen Hochlagen? Er will sich Humboldts „Naturgemälde“ mit eigenen Augen anschauen. Auf der Tour, die angesichts der Größe und der Vielfalt der Länder eine Stippvisite bleibt, verfolgt Steinmeier Humboldts Idee, „dass der Mensch eine Bedeutung in der Natur hat und eine Verantwortung für die Natur. Und dass wir als politische Wesen auf eine humane Weise nur koexistieren können, wenn wir uns nicht über den Anderen oder die Natur erheben.“ So hat es Steinmeier bei einer Rede in Quito zur Eröffnung des Humboldt-Jubiläumsjahres formuliert.

Humboldts Vokabular ins Heute übersetzen

Auch Angela Merkel ist mit Humboldt im Bunde: „Alexander von Humboldt, eine der für mich beeindruckendsten Persönlichkeiten, war Universalgelehrter und Weltbürger. Jahrelang reiste er durch Amerika und Asien. Er stieg auf Vulkane und durchquerte entlegene Täler. Er widmete sich der Botanik und betrieb ethnologische Studien und anderes mehr. Neugier trieb Alexander von Humboldt an. Und er selbst wiederum weckte Neugier.“ So sprach die Bundeskanzlerin im vergangenen Herbst bei einer Feier im Humboldt Forum.

Angela Merkel versucht ebenfalls, Humboldts Vokabular ins Heute zu übersetzen: „Sich Wechselwirkungen vor Augen zu führen, verschiedenste Facetten der Globalisierung in den Blick zu nehmen, das eigene Weltbild zu erweitern – das ist es, wozu uns das Humboldt Forum einladen will.“ Erstaunlicherweise hat sich die Naturwissenschaftlerin Angela Merkel nicht schon früher auf Humboldt berufen. Das tut nun Steinmeier mit Nachdruck. Am 6. April eröffnet er zusammen mit dem brasilianischen Klimaforscher und Nobelpreisträger Paulo Artaxo im Maxim Gorki Theater die Reihe der „Kosmos“-Lesungen des Humboldt- Jubiläumsjahres. Vor 250 Jahren wurde er in Berlin geboren, das heutige Gorki war zu Humboldts Zeit das Domizil der Singakademie zu Berlin. Dort hielt er im Winter 1827/28 vor Hofadel und Bürgern seine „Kosmos“-Vorträge, die als Beginn populärer und demokratischer Wissensvermittlung gelten.

Nimmt man die bereits von Humboldt angesprochene Klima-Frage ernst, dann gibt es keine Parteien mehr, nur noch Grüne. Die AfD dagegen zeigt sich dabei als eine komplett destruktive Gruppierung, die sowohl die Verbrechen der deutschen Vergangenheit relativiert als auch die Bedrohungen der Zukunft leugnet.

Die Natur vor dem Schlimmsten retten

Auf der Website der Alexander-von-Humboldt- Stiftung erklärt Außenminister Heiko Maas: „Humboldt heute, das heißt für mich, für freiheitliche Werte und Überzeugungen – gerade in der Wissenschaft – einzustehen.“ Es zeugt von Lernbereitschaft, dass die Spitzen des Staates Alexander von Humboldt als Berater herbeiholen aus einer Geschichte, die mit ihm nicht freundlich war.

Er wurde, trotz seines Weltruhms, im Berliner Biedermeier als gottloser Liberaler angefeindet, als vaterlandsloser Gesell. Er starb 1859 in Armut und geriet in Vergessenheit. Die Nationaloszialisten wollten ihn als deutschen Supermann darstellen. Und er war auch ein Objekt der deutschen Teilung. Die DDR griff nach dem Erbe der Humboldts. 1949 wurde die Universität Unter den Linden nach den Brüdern benannt. Im Osten gab es lange Zeit eine aktivere Humboldt-Forschung.

Alexander erlebt jetzt eine ungeahnte Renaissance. Man findet bei ihm überraschend Handreichungen für das 21. Jahrhundert. Humboldt hat die Natur vermessen und aufs Eindrücklichste beschrieben. Wir können sie nur vor dem Schlimmsten retten. In den Anden schmelzen die Gletscher ab, besonders stark im Gebiet des Antisana.

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