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Pilgerpfad. Auf den Galapagos-Inseln wandert Steinmeier in der Natur und warnt vor Plastikmüll.
© Bernd von Jutrczenka/dpa

Bundespräsident auf Lateinamerika-Reise: Frank-Walter Steinmeier auf Humboldts Spuren

Bundespräsident Steinmeier reist durch Südamerika. Und es wirkt, als sei der Schlüssel für heutige Probleme in der Vergangenheit zu finden.

Ein diesiger Morgen in der Karibik, vier Schnellboote klatschen über die Wellen, auf dem Weg von Cartagena zur Isla Grande. In einem der Boote sitzt der deutsche Bundespräsident. 40 Minuten dauert die Fahrt von Kolumbiens Küste, von jener Stadt, die auch Alexander von Humboldt vor mehr als 200 Jahren bereiste, in das Naturschutzgebiet Corales del Rosario y de San Bernardo.

Der marine Nationalpark, der von der deutschen KfW-Bank unterstützt wird, liegt in einem Gebiet, das jährlich 1,2 Millionen Menschen aufsuchen, zum Schnorcheln, Baden, Partymachen. Die Korallen leiden, Mangroven werden abgeholzt, die Inselbewohner fischen mit Dynamit. Es gibt in Kolumbien aber auch ein wachsendes Bewusstsein für das kostbare Ökosystem. Frank-Walter Steinmeier will diese Bemühungen stärken.

Das steht groß auf der Agenda seiner ersten Lateinamerikareise als Bundespräsident. Denn letztlich, so sagt er, ist Umweltpolitik Sicherheitspolitik. Es funktioniert auch umgekehrt: Stabilität hilft der Natur. Nach dem Friedensvertrag der kolumbianischen Regierung mit den FARC-Rebellen können Wissenschaftler wieder in abgelegene Gebiete vordringen. Sie haben dort bereits 200 neue Tier- und Pflanzenarten entdeckt. Kolumbien ist, was die Artenvielfalt betrifft, eines der reichsten Länder der Erde.

"Der Entdecker! Der Aufklärer!"

Ein Bundespräsident im Humboldt-Land, Humboldt, wird Steinmeier auf dieser Reise sagen, sei schon immer sein Vorbild gewesen – „Der Entdecker! Der Aufklärer! Der die Welt in deutsche Lande trug und uns allen beibrachte, dass diese Welt uns etwas angeht.“ Der gute Globalisierer.

Auf der Insel schaut sich Steinmeier mit Gefolge das Öko-Hotel La Cocotera an. Flache Bauten, Ventilatoren statt Klimaanlage, nebenan in der wissenschaftlichen Station des Parks werden Korallen restauriert und zur künstlichen Vermehrung animiert. Steinmeier probiert einen Teller Ceviche mit Löwenfisch. Auch so ein Diversitätskiller: Die buntprächtigen Löwen- oder Feuerfische sind Invasoren aus dem Pazifik, sie löschen andere Fischarten aus. Ein größerer Killer der Meere ist der Plastikmüll. Das Thema spricht der Bundespräsident immer wieder an.

Cartagena ist die erste Station Steinmeiers und seiner Frau Elke Büdenbender auf diesem Trip, auf dem sie eine hochrangige Humboldt-Truppe begleitet, darunter Ottmar Ette, einer der wichtigsten Humboldt-Forscher weltweit, Johannes Vogel, Direktor des Berliner Naturkundemuseums, und Hartmut Dorgerloh, der Intendant des Humboldt Forums. Aus seiner Zeit als Außenminister fühlt sich Steinmeier Kolumbien verbunden. Er weiß, dass neben dem immer noch schwierigen kolumbianischen Friedensprozess nach vielen Jahren Bürgerkrieg die Situation im Nachbarstaat Venezuela auch für Kolumbien eine Bedrohung darstellt. Greifen die USA militärisch ein? Setzt sich die Opposition um den Gegenpräsident Guaidó in Caracas durch? Wie geht Kolumbien mit den 1,2 Millionen Flüchtlingen aus Venezuela um?

Frank-Walter Steinmeier (links) auf der Überfahrt von der Galapagos-Insel Seymour Norte zum Hafen von Santa Cruz.
Frank-Walter Steinmeier (links) auf der Überfahrt von der Galapagos-Insel Seymour Norte zum Hafen von Santa Cruz.
© Bernd von Jutrczenka/dpa

Kolumbien und Ecuador – mit den Galapagosinseln – sind das Ziel seiner sechstägigen Tour auf den Spuren Alexander von Humboldts, des Berliners, der als „zweiter Kolumbus“ gilt, als wissenschaftlich-geistiger Entdecker der spanischen Kolonien. Südamerikas Befreier Simon Bolivár – der sich dann schnell zum Diktator aufschwang – war von Humboldts Schriften befeuert, den Kampf gegen die Fremdherrschaft zu beginnen.

Dieses Jahr wird Humboldts 250. Geburtstag gefeiert, auf beiden Seiten des Atlantiks. Steinmeier sieht den Autor des „Kosmos“ als Inspiration: „In seinem Plädoyer, Natur und Mensch zusammen zu denken, ist Alexander von Humboldts Denken für uns noch heute sehr modern und ein guter Kompass für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung überall auf der Welt“, sagt er der ecuadorianischen Zeitung „El Comercio“.

Humboldts praktische Philosophie scheint in der Spitze der deutschen Politik angekommen zu sein. Hat es das je gegeben, dass ein Intellektueller, ein Wissenschaftler vergangener Zeiten – von Karl Marx einmal abgesehen – derart direkt politisch-diplomatisch herangezogen wird? Von Humboldt kann man tatsächlich viel lernen: Offenheit für das Fremde und Empathie für die Leidenden. Er hat gegen Sklaverei gekämpft. Sklavenwirtschaft bezeichnete er als unmenschlich, aber auch als wirtschaftlich unsinnig: Monokulturen wie Zuckerrohr oder Kautschuk zerstören den Boden und die Wirtschaft. Ein Drama in Lateinamerika bis heute.

Humboldt hielt nichts von Empfängen, er wollte arbeiten

Ende März 1801 segelte er von Kuba herüber nach Cartagena und wäre beinahe gekentert. Seit der Abfahrt von Spanien waren da zwei Jahre vergangen. In Bogotá, der Hauptstadt Neu-Granadas, die sie im August 1801 erreichten, wurden er und sein Kollege Aimé Bonpland wie Könige empfangen, mit einer eigenen Villa, die ersten Tage nichts als Empfänge, Diners, Honneurs. Humboldt hatte schnell genug davon, er wollte arbeiten und traf sich mit jungen oppositionellen Adligen.

218 Jahre später, Flug mit einem Airbus A 340 der Deutschen Luftwaffe nach Bogotá. Im Hof des Präsidentenpalasts militärische Ehren mit berittener Garde, Dschingderassabum, dann das Gespräch mit Iván Duque Márquez, dem Präsidenten der Republik Kolumbien. Die Humboldt-Reise Steinmeiers wurde ein Jahr lang vorbereitet, dann kam die Venezuela-Krise. Präsident Duque würdigt die Leistung der Deutschen bei der Flüchtlingsaufnahme. Auch er führt gern den Namen Humboldt im Mund, er will mit Deutschland bei der E-Mobilität und erneuerbaren Energien zusammenarbeiten und kündigt eine neue Umweltagenda an, wie man sie in diesem Teil der Welt noch nicht gesehen habe. Es ist, als ob Humboldt plötzlich der Schlüssel sei für so viele drückende Probleme.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besucht in Kolumbiens Hauptstadt Bogota eine Aufnahmeeinrichtung für venezolanische Flüchtlinge.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besucht in Kolumbiens Hauptstadt Bogota eine Aufnahmeeinrichtung für venezolanische Flüchtlinge.
© epd

Auf Steinmeiers Humboldtpfad ergeben sich eine Reihe historischer Parallelen: Von Bogotá machte sich auch Humboldt nach Quito auf, vier Monate dauerte der Treck durch die Kordilleren. Sie überwanden steile, unzugängliche Pässe, drei- bis viertausend Meter hoch. Die Kolonialherren, wenn sie eine solche Reise antraten, ließen sich von Indianern tragen. Humboldt ging zu Fuß.

Flug über die Anden. Wieder Begrüßung auf dem Flughafen von Quito mit Ehrengarde in opernhaft anmutenden Uniformen, dann zum Präsidentenpalast, dort wieder militärische Ehren. Gespräch mit dem Präsidenten der Republik Ecuador, der den eindrucksvollen Namen Lenin Voltaire Moreno Garcés trägt. Humboldt wird auch wieder bemüht. In einer katholischen Herberge trifft Steinmeier, wie schon in Bogotá, mit Geflüchteten aus Venezuela zusammen.

Ecuador und Kolumbien wollen führend sein in der Umweltpolitik

In der Päpstlichen Katholischen Universität von Quito eröffnet der deutsche Präsident das amerikanische Humboldtjahr 2019. Das hat schon etwas Historisch-Zukunftsweisendes. Er spricht nicht ohne Pathos vom Jubiläumsjahr, das nun auch in Berlin anläuft. „Humboldt y Las Americas“: Ecuador und Kolumbien beziehen aus Humboldt eine Art Nationalstolz, sie wollen führend sein in der Umweltpolitik. Wenn dieser große Alexander nur keine vorübergehende politische Mode ist!

Quito, die am höchsten gelegene Hauptstadt der Welt, 2850 Meter über dem Meeresspiegel, spielte auf Humboldts fünfjähriger Amerikareise, die ihn über Peru, Mexiko und Kuba auch nach Washington führte, eine besondere Rolle. Exzesse wurden von dort kolportiert. Quito, sagte Humboldt, lebe „Wolllust und Üppigkeit“, die Menschen seien wild entschlossen, sich zu vergnügen. Humboldt blieb ein halbes Jahr im heutigen Ecuador, auf den Galapagos-Inseln war er nicht. Deren Erforschung blieb wenige Jahrzehnte später Charles Darwin vorbehalten. Steinmeier ist der erste deutsche Spitzenpolitiker, der das Archipel der archaischen Tierwelt dienstlich besucht. Berlin-Cartagena-Bogotá-Quito-Galapagos-Quito-Berlin, das ist aber auch ein fetter ökologischer Fußabdruck für eine Reise, die im Zeichen der Naturerhaltung steht.

Steinmeier mit seiner Patenschildkröte Alejandra.
Steinmeier mit seiner Patenschildkröte Alejandra.
© Rodrigo Buendia/AFP

Der Tagesausflug nach Galapagos, das ist das Ereignis, worauf sich alle in der Entourage am meisten freuen. Der Luftwaffen-Airbus kann auf den Schildkröteninseln nicht landen, man fliegt mit einer Chartermaschine, sie sind 1000 Kilometer vom Festland entfernt.

Galapagos – dort wollen viele einmal unbedingt hin und sie wissen in der Regel auch, dass es nicht gut ist, wenn Touristen diesen Jurassic-Park überlaufen. 275 000 Besucher kamen im vergangenen Jahr, die Zahl der Backpacker nimmt zu, ein Problem: Individualtouristen lassen sich schwer kontrollieren im Naturschutzgebiet. Auch die hohen Preise auf dem Archipel haben kaum abschreckende Wirkung. Schließlich: Das Geld der Galapagos-Pilger wird für den Naturschutz gebraucht.

Leguane liegen in der Sonne, wie aus Metall gegossen

In diesem Widerspruch stecken die Vulkaninseln am Ende der Welt. Kann man eine Welt abschotten, auch wenn sie noch so klein ist? Liegt hier das Paradies, schwülheiß und eher karg? Steinmeier, in Wanderschuhen, übernimmt eine symbolische Patenschaft für eine kleine Schildkröte, Alejandra. Die Bundesrepublik übernimmt damit symbolisch Verantwortung für das Überleben der Art.

Es berührt tief, die Riesenschildkröten im tiefen Gras zu besuchen, ihre tiefe, uralte Stille zu spüren. Auf der Insel Seymour Norte sitzen die rot aufgeplusterten Männchen der Fregattvögel in den Bäumen, Seelöwen schaffen sich durch die hohen Wellen an Land. Die Leguane liegen in der Sonne, wie aus Metall gegossen. Auf einem schwarzen Stein ruht der vertrocknete Kadaver eines Landleguans, gut zu erkennen die spitzen Zähne noch und die Augenhöhlen. Am Strand kopulieren zwei Exemplare. Darwin kam in diesem modellhaften Naturschutzraum, dem Geheimnis des Lebens näher. Mondlandschaft mit Dschungel. Man verlässt Galapagos mit einem kosmischen Gefühl.

Wenn Alejandra, die Schildkröte, drei Jahre alt ist, wird sie aus der Aufzuchtstation Santa Cruz ausgewildert. Steinmeier gibt Ralph Caspers von der „Sendung mit der Maus“ ein Interview. Er warnt noch einmal vor dem Plastikmüll. Kürzlich wurden 22 Tonnen auf Galapagos eingesammelt.

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