Stiftung Flucht Vertreibung Versöhnung: Gesucht: ein Friedensstifter
Nach den Querelen um Leitung und Konzept: Die Stiftung Flucht Vertreibung Versöhnung sucht einen dialogfähigen Direktor. Kulturstaatsministerin Monika Grütters ist verhalten optimistisch, dass es diesmal gelingt.
Das Thema ist aktuell wie nie. Würde in diesen Tagen, in denen weltweit 60 Millionen Menschen auf der Flucht sind, eine Ausstellung über Flüchtlinge eröffnen, das Publikum wäre ihr sicher. Aber die Dauerausstellung der Stiftung Flucht Vertreibung Versöhnung (SFVV) im Berliner Deutschlandhaus eröffnet nicht vor 2018 – der Baustellenlärm am Anhalter Bahnhof wird sich so schnell nicht legen. Und die Stiftung macht nicht etwa mit Interventionen in der Flüchtlingsdebatte von sich reden, sondern mit Personalquerelen.
Seit der umstrittene erste Direktor Manfred Kittel 2014 zurückgetreten war und sein vom Stiftungsrat berufener Nachfolger Winfrid Halder nach monatelangen zähen Verhandlungen im November absagte, geht es mal wieder um Vergangenheitsbewältigung in eigener Sache. Um Vertragsdetails einer „familienkompatiblen“ Lösung für den fünffachen Familienvater Halder. Um die Sonderkondition einer von ihm gewünschten Entfristung des Fünf-Jahres-Vertrags, der bei vom Bund bestellten Chefs von Kulturinstitutionen allerdings sinnvoll und üblich ist.
Was ist besser: ein versierter Wissenschaftler oder ein Macher?
Und um die Kritik des Wissenschaftlichen Beraterkreises. Der nahm an den Stiftungsratssitzungen zur Wahl des neuen Direktors teil – ein diplomatisches Zugeständnis, sieht die Satzung dessen aktive Einbindung bei Personalien doch gar nicht vor. Die darin vertretenen Historiker hatten sich für Kandidat Nummer zwei verwendet (den Historiker Michael Schwartz, selber einer der Berater); nach dem 15:4-Votum für Halder traten einige unter Protest zurück – kurz bevor sich das Gremium ohnehin turnusgemäß auflöste. Fragt sich, wer für die knifflige Leitung der immer wieder mit Revanchismus-Vorwürfen bedachten Stiftung besser geeignet ist: ein arrivierter Historiker ohne Leitungs-, Budget- und Baustellen-Erfahrung oder ein weniger hochkarätiger, aber leitungserfahrener Wissenschaftler wie Halder, der bislang beim Gerhart-Hauptmann-Haus in Düsseldorf tätig war.
Was nottut, ist ein Friedensstifter. Einer, der die letzten Gräben zwischen den Streithähnen zuschüttet, seit die Bundesstiftung aus dem Zentrum für Vertreibungen unter Erika Steinbach hervorging, damals Präsidentin des Bunds der Vertriebenen (BdV). Einer, der nach vorne blickt – die Bedingungen dafür sind nicht schlecht. Viele Beteiligte schlagen inzwischen vermittelnde Töne an, vor allem der Chef des Bunds der Vertriebenen, der aus Siebenbürgen stammende CSU-Bundestagsabgeordnete Bernd Fabritius.
Bernd Fabritius vom Vertriebenenverbund schlägt versöhnliche Töne an
„Es gibt keinen Dissens. Wir werden – mit Staatsministerin Monika Grütters – nicht müde, das zu betonen“, sagt Fabritius. Nach wie vor gilt das mit diplomatischem Geschick ausgehandelte Stiftungskonzept, demzufolge das Schicksal der deutschstämmigen Vertriebenen der Schwerpunkt der Ausstellung sein soll, aber nur ein Schwerpunkt der gesamten Stiftungsarbeit. Fabritius zufolge herrscht Einvernehmen darüber, dass die Vertreibungen insgesamt thematisiert werden, während die Ausstellung – „als fehlendes Puzzlestück im Gedenkstättenkonzept der Bundeshauptstadt“ – den deutschen Heimatvertriebenen gilt. „Nicht monothematisch, sondern im Kontext der Zwangsmigrationen des 20. und 21. Jahrhunderts – auch mit Blick auf die nahe gelegene ,Topographie des Terrors‘. “
Die Krise als Chance: Grütters spricht von einer gar nicht so schlechten Ausgangslage nach holprigen Anläufen. Sie bedauert, dass die zähen Verhandlungen um Halders Vertrag mit seiner Absage endeten, trotz größtmöglichen Entgegenkommens seitens ihrer Behörde und Einbeziehung des Beraterkreises im Findungsverfahren. „Die mühsamen Verhandlungen und vor allem die Nachbetrachtungen wurden auch auf dem Rücken der Stiftung ausgetragen, dabei hat sie jede Chance verdient“, so Grütters. „Mit dem Stiftungsrat arbeiten wir jetzt konstruktiv zusammen, in sehr gutem Klima.“ Sie ist zuversichtlich, dass die Stiftung „auf Grundlage und im Rahmen der Konzeption die aktuellen Entwicklungen einbeziehen und den europäischen Gedanken verstärken kann“.
Alle loben den Interims-Chef Uwe Neumärker
Und dass sich endlich ein Direktor findet. Anfang der Woche hat der 21-köpfige Stiftungsrat mit Vertretern aus dem Bundestag, aus Ministerien, dem Bund der Vertriebenen und der Kirchen eine fünfköpfige Findungskommission installiert. Nach der direkten Berufung (Kittel) und der großen Ausschreibung (Halder) eine dritte, flexible Variante der Chefsuche. „Wir machen jetzt einen Schnitt und schauen nach vorne“, sagt die SPD-Abgeordnete Hiltrud Lotze. „Natürlich besteht der Wunsch, dass es zügig gehen soll, aber Qualität geht vor Schnelligkeit.“
Stiftungsratsmitglied Lotze sitzt mit Grütters, Fabritius, Weihbischof Hans-Jochen Jaschke und Hans Walter Hütter vom Bonner Haus der Geschichte in der Kommission. Leicht wird sie es nicht haben, trotz guten internen Klimas. Weil die Stiftung seit ihrer Gründung 2008 Kritik aus dem linken wie dem rechten Lager erlebt. Weil die Kandidaten zweierlei fürchten könnten: den Einfluss der Hardliner aus den Vertriebenen-Reihen und das chronische Misstrauen der Medien, die beim Begriff „Vertriebene“ sofort argwöhnen, die Deutschen sollten von Tätern zu Opfern der NS-Zeit gemacht werden.
Lotze möchte von solch negativen Zuschreibungen wegkommen. „Die Vertriebenen haben ein Anrecht darauf, dass ihr Schicksal gewürdigt wird.“ Mit Fabritius ist sie sich einig, dass diese Lücke im Geschichtsbewusstsein der Deutschen geschlossen werden muss. Eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft.
Als Interimschef wurde Anfang November Uwe Neumärker bestellt, der Direktor des Holocaust-Mahnmals. Sein integrativer Duktus und sein Kommunikationstalent werden schon jetzt allerseits gelobt. „Die Stiftung“, meint Lotze, ist bei ihm in sehr guten Händen.“ Vielleicht erwächst aus dem Provisorium ja eine Dauerlösung, und Neumärker lässt sich zum Bleiben überreden. In der Ausstellung, sagte er dem RBB, sollen sich alle wiederfinden können, unter Einbeziehung der europäischen Nachbarn.
Ein solch versöhnlicher Ton ist dringlich wie nie. Ist es doch das Gebot der Stunde, aus der Gegenwart der Flüchtlinge heraus die Geschichte zu verstehen – und umgekehrt.
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