Violinistin Lisa Batiashvili: Georgien, mon amour
Lisa Batiashvili hat klare Meinungen – auf der Geige und politisch. Eine Begegnung vor ihrem Konzert auf dem Bebelplatz am Samstag.
Die Lobby des Apartmentgebäudes in der Friedrichstraße liegt ganz ruhig da. Was für ein eklatanter Gegensatz zur politischen Weltlage, wo sich gerade alles überschlägt. Zwei Tage vor diesem Gespräch haben sich die Briten aus der EU gekegelt. Lisa Batiashvili sitzt ungläubig auf der Couch, ein bisschen wie betäubt. Für sie, die Künstlerin aus dem Kaukasus, ist es unfassbar, dass Menschen die Errungenschaften von Jahrzehnten in einer Nacht über Bord kippen. „Ich stamme aus einer der kompliziertesten Regionen der Welt. Europa, seine Kultur und Lebensart, war für uns immer eine Traumgesellschaft. Ein Ort, wo Menschen sich wie Menschen fühlen können.“
Lisa Batiashvili, 1979 in der georgischen Hauptstadt Tiflis geboren, ist eine hervorragende Geigerin, vergangene Saison war sie Artist in Residence bei den New Yorker Philharmonikern. Musikerin zu sein bedeutet für sie aber nicht, Meinungsfreude und politisches Bewusstsein an der Garderobe abzugeben. Der Brexit zerreißt ihr das Herz. „Es gehört wohl zur Mentalität eines Inselstaats, sich unabhängig zu fühlen. Für die heutige Jugend ist so eine Trennung in Zeiten eines neuen Extremismus aber gefährlich und unsinnig.“ Für drei Konzertprogramme hält sich Batiashvili gerade in Berlin auf. Zwei davon, mit den Berliner Philharmonikern und Yannick Nézet-Séguin in der Philharmonie und der Waldbühne, sind schon vorbei. Am Samstag steht das dritte an, mit Daniel Barenboim und der Staatskapelle bei „Staatsoper für alle“ auf dem Bebelplatz.
Georgien: Land zwischen Schwarzem Meer und dem Elbrus, für einige der höchste Berg Europas, je nach Definition. Und Land der Musik: Komponisten wie Giya Kancheli oder Sulkhan Tsintsadze haben gelauscht, was auf dem Land gesungen wird und daraus ihre Werke geformt. Lisa Batiashvili hat sie auf einer CD eingespielt. Ein bis zwei Mal im Jahr besucht sie Georgien, wo immer noch ein Großteil ihrer Familie lebt. „Die georgische Seele strebt nach Freiheit“, erklärt sie, „sie lässt sich nicht leicht regieren.“ Ein Charakterzug, der der Ex-Sowjetrepublik unter anderem einen Krieg mit Russland um Süd-Ossetien im Jahr 2008 eingebracht hat. Und einen anderen Landesteil, Abchasien, halten die Russen faktisch besetzt, was Lisa Batiashvili besonders wütend macht: „Abchasien ist wunderschön, unsere Côte d’Azur. Aber hinfahren können wir nicht.“
2014 spielte sie ein "Requiem für die Ukraine"
Ihre ersten zwölf Lebensjahre hat sie in Tiflis verbracht. 1991 gingen ihre Eltern mit ihr nach Deutschland. Weil sich die Lage in Georgien in der Gemengelage der Nach-Sowjet-Zeit verdüsterte und ein Bürgerkrieg drohte. Und weil ihr Vater, der selbst in einem Streichquartett spielt, das Talent seiner Tochter längst erkannt hatte und ihr eine professionelle Ausbildung ermöglichen wollte. Sie studierte in München, wo sie und ihr Mann, der Oboist François Leleux, heute auch leben. Eine echte Musikerfamilie also: Zusammen mit ihrem Mann und Emmanuel Pahud hat sie Stücke von Johann Sebastian und Carl Philipp Emanuel Bach eingespielt. „Die Art, wie wir Bach interpretieren, verändert sich ständig“, sagt Lisa Batiashvili. „Will man ihn so spielen wie vor 300 Jahren – oder heutig? Ich habe mich für einen modernen, frischen Zugang mit ganz klaren Phrasierungen entschieden.“
Meinungsstark ist sie, reaktionsschnell, selbstbewusst. Trotzdem will sie nicht, dass man sie nur über Politik definiert, ihr Herz gehört selbstverständlich der Musik. Dennoch: Die Sache mit Valery Gergiev muss erwähnt werden. Der russische Dirigent macht bekanntlich keinen Hehl daraus, dass Wladimir Putin ein guter Freund von ihm ist und hat auch einen Brief mit unterschrieben, der die Annexion der Krim begrüßt.
Das neu erwachte Großmachtstreben Russlands haben die Ukraine wie Georgien gleichermaßen zu spüren bekommen. Lisa Batiashvili gab 2014 bei dem Komponisten Igor Loboda ein Stück für Violine Solo in Auftrag, betitelt „Requiem for Ukraine“. Sie spielte es im Anschluss an ein Konzert mit dem Rotterdam Philharmonic Orchestra, geleitet von – Valery Gergiev. Der hörte der Zugabe von der Seite zu, sagte nichts. Später beim Dinner lud er sie sogar ein, im St. Petersburger Mariinsky-Theater zu spielen, sie schlug aus. „Es ist nicht richtig, wenn Künstler, die von der Freiheit und dem kulturellen Reichtum der westlichen Zivilisation profitieren, sich auf die Seite eines Systems schlagen, das dieser Zivilisation feindlich gegenübersteht“, sagte sie später der New York Times.
Drei Violinkonzerte spielt sie in Berlin
Vielleicht ergibt sich ja noch eine Gelegenheit, die Angelegenheit mit Gergiev zu klären. Der leitet ja – auch – die Münchner Philharmoniker in der Philharmonie am Gasteig. Lisa Batiashvili wohnt um die Ecke. Aber gut, reden wir lieber über Musik. Bei den Berliner Auftritten spielt sie drei verschiedene Violinkonzerte: von Béla Bartók, Antonín Dvořák und Jean Sibelius. „Wir Geiger haben enormes Glück. Was für ein reichhaltiges Repertoire gibt es für unser Instrument!“, sagt sie. Es gibt so viele kanonische Violinkonzerte, neben den drei Genannten etwa die von Beethoven, Brahms, Tschaikowsky, Bruch. Einen Liebling kann sie da gar nicht nennen, sie mag sie alle. Aber das von Jean Sibelius, das sie am Samstag bei „Staatsoper für alle“ interpretieren wird, besonders. Was wohl auch mit einem prägenden Erlebnis zu tun hat: 1995 errang sie beim Sibelius-Wettbewerb in Helsinki den 2. Platz und durfte mit einem finnischen Orchester dieses finnischste aller Stücke spielen. „Sibelius war selbst Geiger, allerdings nicht technisch auf dem höchsten Niveau“, erklärt sie. Wohl deshalb hat er höchste Schwierigkeiten in sein Violinkonzert eingebaut – in den zwei langen Kadenzen, den zahlreichen Doppelgriffen und ungünstigen Akkorden. „Das Stück bedeutet unglaublich viel Arbeit, aber es darf nicht nach Arbeit aussehen“, sagt sie.
Vier Mal ist sie mit Daniel Barenboim schon auf dem Bebelplatz aufgetreten, ein Studio-Mitschnitt der Violinkonzerte von Tschaikowsky und Sibelius, der nach einem dieser Auftritte entstand, erscheint demnächst auf CD. „Ich habe Daniel Barenboim immer sehr bewundert und schon als Kind, als ich in Georgien Geige gelernt habe, Filme über ihn gesehen. Der Kontakt zu seiner Person, mit ihm zu musizieren, sich mit ihm zu unterhalten, Geschichten erzählt zu bekommen – das ist alles wahnsinnig inspirierend.“
Erzählungen – das ist das Stichwort, mit dem wir doch noch mal auf Politik zurückkommen. Wenn wir das Projekt Europa retten wollen, brauchen wir neue, bessere Erzählungen, meint Lisa Batiashvili zum Abschied. Und sie weiß: „Man kann die Zeit nicht zurückdrehen“. Weder die Sowjetunion noch das British Empire werden wiederkommen.
„Staatsoper für alle“, Samstag, 9. Juli, 18 Uhr, Bebelplatz, Eintritt frei.