Nachkriegsdrama "Phoenix" mit Nina Hoss: Geheimnis und Verlust
Christian Petzolds Film „Phoenix“ erzählt von einer Auschwitz-Überlebenden, die zu ihrem Mann zurückkehrt, der sie nicht mehr erkennt. Eine Versuchsanordnung über eine Liebe in den Trümmern.
Christian Petzold, Jahrgang 1960, ist der große Konstrukteur des deutschen Films, ja, man möchte ihn fast dessen erfindungsreichsten Personen-Konstellator nennen. Nach seinem Kinodebüt „Die innere Sicherheit“ (2000), in dem er den deutschen Terrorismus aus der damals unerhört neuen Perspektive der Nachgeborenen sah, erforschte er – am bleibend faszinierendsten in „Gespenster“ (2005) – in vertrackten Plots immer wieder die schillernden Psycho-Felder um Liebe und Familie, Identität und Doppelgängertum, Schmerz und Verrat und Schuld. In Geheimnissen geborgen waren Petzolds Figuren und zugleich stets von Verlust umstellt, bis der Regisseur, in „Yella“ (2007) und zuletzt in „Barbara“ (2012) das Geheimnis im final Überdeutlichen verstörend leicht auflöste.
In „Phoenix“ nun scheint sich der einst so inspirierend auf Verrätselung und Verschlüsselung setzende Verfilmer eigener Drehbücher ganz in eine Art Ideen-Ingenieur verwandelt zu haben. Die dramaturgische Prämisse ist derart klar, dass deren Abwicklung durch die beiden Hauptdarsteller – Nina Hoss und Ronald Zehrfeld, wie in „Barbara“ – geradezu technisch wirkt. Auch bleibt ihr Spiel-Raum im Wortsinn angesichts der von Petzold inszenierten Versuchsanordnung minimal. So sehr sie mit ganzer Kraft – manchmal fast fühlbar gegen eigene Zweifel – ihr Bestes geben, und das ist viel, so sehr wirken sie doch wie Marionetten eines antipsychologischen Experiments, Aufsagepuppen eines diesmal manisch, ja, monomanisch seinen Kerngedanken exekutierenden Regisseurs.
Die erste halbe Stunde von „Phoenix“ gehört, wunderbar Petzold’sch, einer fein kadrierten, elegant rhythmisierten, in den Dialogen sparsamen und desto wirkungsvolleren Exposition. Nelly (Nina Hoss) hat Auschwitz überlebt, und ihre Vorkriegsfreundin Lene (Nina Kunzendorf), die nach geschützten Jahren im Exil engagiert für die Jewish Agency arbeitet, bringt die durch einen Kopfschuss Schwerverletzte in ein Krankenhaus. Dort wird Nellys Gesicht auf ihren Wunsch hin nahezu so rekonstruiert, wie es vorher aussah, der Heilungsprozess verläuft zügig. Nellys ganzer Wunsch ist es nun, ihren Mann Johnny (Ronald Zehrfeld) zu finden und die Liebe zu ihm wiederherzustellen, obwohl Lene ihr glasklar mittteilt, dass sie durch seinen Verrat ins Lager kam.
Schon dies fordert selbst ein Publikum beträchtlich heraus, das bei Kinostoffen keineswegs sofort eine gewisse Glaubwürdigkeit vom Grabbeltisch einklagt. Als aber die einstige Sängerin Nelly den einstigen Pianisten Johnny endlich ausfindig macht – er arbeitet als Faktotum im „Phoenix“, einem von US-Soldaten frequentierten Nachkriegs-Cabaret –, beginnt er sie sofort zu benutzen und unterbreitet ihr dafür einen niederträchtigen Plan. Die Nelly so verblüffend Ähnliche möge sich als seine der Auschwitz-Hölle entkommene Ex-Frau ausgeben; so käme man später mühelos gemeinsam an das Geld von Nellys ermordeter Verwandtschaft. Und die echte Nelly? Lässt sich auf dieses Spiel ein.
Abgesehen davon, dass real existierende Paare im real existierenden Nachkriegsdeutschland wahrscheinlich andere Sorgen als derart hochverquere Psychospielchen hatten; abgesehen davon auch, dass das filmreal zusammengeführte Paar bei nüchterner Betrachtung auch ohne die Intrige zu jener Gütervermehrung hätte kommen können: Die mit aller Regie-Macht behauptete Plausibilität des Plots beruht nun allein darauf, dass Johnny, als Einziger bis fast zuletzt, Nelly nicht erkennt. Er sieht nur – aufs Visuelle fixiert wie so mancher Filmregisseur – die Nichtübereinstimmung des Gesichts der matt mittuenden Komplizin mit seiner Erinnerung. Er ist taub für ihre Stimme, unempfindlich für ihren Geruch, als sie sich näher kommen, und selbst ein Kuss – einmal tarnt man sich vor Fremden als Paar – bringt ihn nicht auf die Spur. Wer’s glaubt.
Mehr noch, fortan betätigt sich Johnny gewissermaßen als verlängerter Arm des Regisseurs selber. Abgesehen von der fein orchestrierten Schlussszene funktioniert das Drehbuch wie eine Theaterprobe: Johnny bringt seiner Partnerin die Nelly-Ähnlichkeit bei, gibt Regieanweisungen in der gemeinsam geteilten Kellerwohnung, imaginiert hochpräzis bevorstehende Begrüßungen früherer Freunde bei der ersten Gegenüberstellung auf einem Bahnhof. Alles läuft, rational so perfekt inszeniert wie emotional unendlich öde, wie am Schnürchen – für Johnny. Und dass der späte Zweifel Nellys an ihrem geliebten Mann erst nach Lenes der Figurenentwicklung radikal zuwiderlaufendem Selbstmord ausgelöst wird, macht die Sache nicht besser.
Alles Theater! Keine Frage, der so kluge Christian Petzold hat sich in die fixe Idee eines rundum absurden Liebeswiederherstellungsversuchs verrannt, und bald schlägt die Pappkulissenhaftigkeit des Konzepts auch auf andere filmische Elemente und Details durch. Das Trümmer-Berlin des Sets will einem nur mehr sorgfältig zusammengeleimt erscheinen, und sogar eine auf den Unterarm tätowierte KZ-Nummer wirkt so proper und winzig wie ein postmodernes Deko-Tattoo. Und plötzlich sitzt Petzold, den man am wenigsten mit entsprechender Nachbarschaft in Verbindung gebracht hätte, in der trivialen Täter-Opferund Nazikitsch-Falle.
Was bleibt von „Phoenix“ als Erkenntnis, nach derart überdehntem Spiel mit dem Erkennen? Wer liebt, erkennt. Und: Wer liebt, gibt sich zu erkennen. Zumindest draußen im sogenannten echten Leben, wo man sieht und hört und riecht und schmeckt. Und fühlt.
Ab Donnerstag im Capitol, Cinemaxx, Delphi, fsk, Hackesche Höfe, International, Kulturbrauerei und Yorck
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