Im Kino: Träum’ ich von Deutschland
Leerer Osten, kalter Westen: Nina Hoss geht in Christian Petzolds "Yella" als Glückssucherin über die Grenzen.
Ostdeutschland ist abgebrannt. Die neue Zeit hat sich über seine Bewohner hergemacht, hat ihnen die Arbeit genommen und sie erst in verrückte Selbstständigkeitsabenteuer und dann in die Pleite getrieben. Wer jung ist und noch einen Funken Grips hat, wickelt seine Vergangenheit ab, die berufliche, die Lieben auch oder die Ehen, und macht rüber; wer bleibt, den packt der Strudel des Ruins. Und die Alten, die Väter zum Beispiel, die den brutalen Wechsel nicht mehr gerafft haben, die bringen den Müll raus, stehen draußen hinter den Wäscheleinen und machen große, traurige Augen.
Westdeutschland ist Totenland. Alles glatt, die Bürogebäude aus Stahl und Glas, die Büros selber und die Bürotischoberflächen, glatt auch die Karosserien der Autos, die lautlos durch die Landschaft gleiten. Aber die Firmen liegen wie im Osten am Boden, nur etwas feiner das alles, etwas gedämpfter, und gerissene Geier mit viel Geld machen den Darniederliegenden Angebote, die sie nicht ausschlagen können: als Rettungsinvestitionen getarnte Reinkäufe, Wegnahmen, Übernahmen, und wer da hineingezogen wird in diese Haifischfressen- und Heuschreckschraubenwelt, wird mir nichts dir nichts selber zum mörderischen Komplizen.
So so eins zu eins könnte man Christian Petzolds „Yella“ durchaus mit Gewinn deuten – als schön wild gedachtes und extrem diszipliniert kartografiertes und kadriertes Pamphlet, so antikapitalistisch wie antigesamtdeutsch. In dem Jahr also, in dem das neue Deutschland erwachsen wird und der alte Westen in Frührente geht, stellt einer diesem tieftraurigen Ensemble den Totenschein aus. Unten kriechen die Zombies voran, obendrüber krächzen die Krähen. Und Petzolds kongeniale Lieblingszauberin Nina Hoss, die noch in „Toter Mann“ als anagrammatische Leyla mit aufregend rätselhaftem Motiv bei Wittenberge vom Westen in den Osten rübermachte, nimmt nun als Yella den umgekehrten Weg über die Elbe: Kronzeugin der neudeutschen Hoffnungslosigkeit – bloß raus aus einer kaputten jüngsten Vergangenheit und einer kaputten Zukunft entgegen. Auf der Berlinale 2007 gewann sie dafür einen Silberbären.
Tatsächlich lässt sich die Geschichte genau so an. Ben (ein verlorener, wie aus sich selbst rausgewachsener Junge: Hinnerk Schönemann) hat seine Heizungsfirma in Wittenberge ruiniert, und seine Frau Yella, die die Buchhaltung machte, sucht sich einen neuen Job in Hannover. Dort angekommen, ist sie schon wieder arbeitslos. Das Bürohaus wird leergeräumt und nach Sachwerten ausgeweidet, kapitale Leiche des Kapitals. Da tritt der smarte Philipp auf den Plan: einer, der sich als Emissär einer Geldspritzenfirma in marode Firmen reinkauft und dabei ordentlich Prozente für seinen Laden und nebenbei für sich selber rauspresst: private equity heißt das, rausraffende Gerechtigkeit anderweitig vorhandenen Privatkapitals. Wie Devid Striesow, dieser derzeit konkurrenzlos wandlungsfähige deutsche Schauspieler, cool und zugleich mit wohldosierter Wärme die verlorene Yella zu seiner Mitarbeiterin, seiner Komplizin, seiner Geliebten macht; wie die beiden in Geschäftsgesprächen auftreten und ihre Gegenübers beiläufig aufreiben, vom kalkulierten Blickwechsel bis zur kleinfeinen Fingerverschränkung in einer Verhandlungspause – das sind Glanzminuten des Kinos: für den Kopf, für das dahintuckernde Herz, und sogar das Zwerchfell ist mitunter angesprochen.
Aber Christian Petzold, der große Verrätseler, wäre nicht Christian Petzold, wenn er es bei dieser in klar-kalte Bilder und enorm ökonomische Dialoge gefassten soziogrammatischen Analyse beließe. Immer will sein Kino auch Traumräume schaffen, motivische Rätsel, dramaturgische Bruchstellen, die der Zuschauer mit eigener Fantasie füllen und lösen und überwinden darf. Ja, es sind diese im Alltag unhörbaren Obertöne, die die eigentliche Partitur eines doch scheinbar in bodenständigster Realität siedelnden Petzold-Films ausmachen – und hier beginnt bei „Yella“ das Problem.
Denn die Story hat einen in der Filmgeschichte nicht neuen, doch immer wieder faszinierenden metaphysischen Kern – ihn aber zu benennen, hieße, dem arglosen Zuschauer jene schöne Irritation zu nehmen, die ihn angesichts gewisser planvoller Ungereimtheiten immer wieder erfasst. Wer dagegen die strukturelle Irreführung entschlüsselt, dürfte sich bald gegängelt fühlen: Drei szenische Leitmotive sind es, die mehrfach an den Rändern der Wahrnehmung aufleuchten und den Erkenntnisweg weisen. Nur so viel: Der Schluss ist, dann wohl für jeden Zuschauer, in seiner Überdeutlichkeit fast grobschlächtig geraten.
Vielleicht funktioniert „Yella“ – im Ergebnis so glatt wie jene Glätte, die er denunziert – eines Tages in der Petzold-Filmografie vor allem als Reflex auf seinen vorherigen Film „Gespenster“. Mancher blieb dort ratlos angesichts der lose verbundenen Rätselgeschichten um ein streunendes Mädchenpaar und zwei traurigferne, mögliche Eltern dieser verlorenen nächsten Generation; andere wiederum sahen sich von jener unerhörten Symbiose aus Traum und Trauma zu einem fantastischen Gleitflug des Denkens und Fühlens eingeladen. „Yella“ macht es einfacher; in jener Verschlüsselungslust, die ihn unter den deutschen Regisseuren so unvergleichlich macht, beschränkt Petzold sich diesmal auf einen einzigen dramaturgischen Widerhaken, den es rückstandsfrei zu entfernen gilt. Patiencen, die aufgehen, gibt es im Kino genug.
Ab Donnerstag im Delphi, FT am Friedrichshain, fsk, Hackesche Höfe, Kulturbrauerei, Yorck
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