Kritische Kunst in Russland: Gegen Putin zu sein, reicht nicht
Beim Symposium "Russland vs. Russland" im Berliner Kunstquartier Bethanien war die zentrale Frage, ob kritische Kunst die politischen Prozesse in Russland beeinflussen kann. Aktivisten setzen jetzt auf einen leisen Wandel.
Die Aktivistinnen der feministischen Punkband Pussy Riot wurden 2013 aus der Haft entlassen. Seither hat sich die Gruppe entzweit. Es herrscht Funkstille zwischen denjenigen, die weitermachen wollten wie bisher, anonym, feministisch, radikal. Die anderen beiden wollen sich hingegen fortan jenseits der Kunst um Gefangenenrechte kümmern. In russischen Kunstkreisen wird heiß diskutiert, was die bessere Strategie ist, um in der Gesellschaft etwas zu bewirken.
Kann kritische Kunst soziale und politische Prozesse in Russland beeinflussen? Das war die zentrale Frage des zweitägigen Symposiums "Russland vs. Russland", das am Wochenende im Kunstquartier Bethanien stattfand. Die Kuratoren Alexandra Goloborodko und Alexander Formozov haben rund 30 Künstler, Aktivisten und Wissenschaftler aus Russland und Deutschland eingeladen. Es ist überwiegend die junge Generation der um die 30-Jährigen, die sich hier trifft, um zu diskutieren, was Kunst in Russland kann und darf.
„Kunst findet in Russland überwiegend in professionellen Räumen statt. Was dort passiert, kriegen nicht so viele Menschen mit. Andererseits wird gerade die zeitgenössische Kunst vom Staat genutzt, um die Lasterhaftigkeit des europäischen Wertesystems vorzuführen“, sagt der Moskauer Soziologe Alexander Bikbov, stellvertretender Direktor des Zentrums für zeitgenössische Philosophie und Sozialwissenschaften an der Lomonossow-Universität. Doch es bleibt nicht beim Wertediskurs. Kunst wird in Russland immer öfter ein Fall fürs Gericht, wie kürzlich in Nowosibirsk, wo die Inszenierung einer Wagner-Oper wegen einer Jesus-Darstellung und nackten Brüsten abgesetzt wurde.
Die Regierung bestimmt, was kulturell passiert
Ein Jahr nach der Verhaftung der Pussy-Riot Aktivistinnen verabschiedete die Duma ein Gesetz gegen die Beleidigung religiöser Gefühle. Der Paragraf wird seitdem gerne benutzt, um zu zeigen, was auf die kulturelle Agenda gehört und was nicht. An der angeblich blasphemischen Jesus-Darstellung in der „Tannhäuser“-Inszenierung in Nowosibirsk störten sich weder das Publikum noch der Bürgermeister. Die Beschwerden einiger orthodoxer Geistlicher reichen aus, um Stimmung zu machen. Selbst Bürger, die das Stück gar nicht gesehen hatten, zogen auf die Straße, weil sie glaubten beleidigt worden zu sein. Regisseur Timofej Kuljanin und Theaterdirektor Boris Mesdritsch mussten daraufhin vor Gericht erscheinen. Eine Verurteilung gab es nicht, dennoch wurde Mesdritsch entlassen, das Stück vom Spielplan gestrichen.
„Neu ist, dass die Absetzung eines Theaterdirektors oder die Kündigung von Räumen wie beim regierungskritischen Theatr.doc, jetzt mit massiven Medienkampagnen einhergehen. Nicht nur die kulturaffinen Menschen, sondern die breite Öffentlichkeit soll mitbekommen, dass die Regierung bestimmt, was kulturell passiert“, sagt Bikbov. „Ganz ähnlich wurde das auch in der späten Phase der Sowjetunion gehandhabt.“ Tabubrüche werden in Russland immer weniger toleriert, dafür sorgen das Kulturministerium, aber auch vorauseilender Gehorsam der Verantwortlichen in den Kulturinstitutionen. Von Selbstzensur ist an diesem Wochenende in Kreuzberg die Rede. „Wer seinen Job behalten will, riskiert keine Beschwerdekampagne von Rechten oder Orthodoxen“, sagt Bikbov.
In Russland ist jeder bereit gegen jeden in Stellung zu gehen
Nach den russischen Parlamentswahlen im Jahr 2011 gingen 100 000 Menschen auf die Straße, um gegen Unregelmäßigkeiten bei der Wahl zu protestieren. Es war das erste Mal seit 20 Jahren, dass so viele Menschen sich äußerten. Die Bevölkerung war zuvor sehr passiv gewesen, weshalb Künstlergruppen wie Voina oder Pussy Riot mit Provokation arbeiteten. Selbst in diesen Reihen gebe es nun aber die Tendenz, zu sagen „Beruhigt Euch“, erklärt im Vorfeld der Konferenz Kurator Ivor Stodolsky, der politische Kunst aus Russland, Syrien, Ägypten, China, Lateinamerika und Europa in gemeinsamen Ausstellungen zeigt und ein Residency-Programm für verfolgte Künstler ins Leben gerufen hat. „Die Stimmung in der russischen Bevölkerung ist momentan sehr konfrontativ, jeder ist bereit gegen jeden in Stellung zu gehen, gerade in Bezug auf die Situation in der Ukraine. Da braucht es eigentlich nicht noch mehr Aggression.“
Willkürliche Entscheidungen und undurchschaubare Inszenierungen sind in Russland Alltag. Kein Avantgardist könne sich ein derart absurdes Theater ausdenken. So formulieren es Teilnehmer des Symposiums. Es sei fast unmöglich, sich ein vernünftiges Bild von der Wirklichkeit zu machen. Kreative Strategien, eigentlich die Domäne der Künstler, werden auch von Politikern angewandt. „Die meisten Parteien in Russland sind Fake, fast wie künstlerische Projekte. Man kreiert eine rechtsextreme Partei, von der sich Rechte distanzieren und somit scheinbar mehr ins Zentrum rücken“, so Stodolsky.
Welche Strategien kritischer Kunst gibt es aktuell in Russland?
Die stereotype Darstellung der „zwei Russlands“, das Putin-freundliche, konservative Russland und die oppositionelle kreative Mittelklasse, auf die auch der Titel des Symposiums verweist, greift aus Sicht des Soziologen Alexander Bikbov zu kurz. Der Begriff Mittelschicht suggeriere Einigkeit, wo keine sei. Gegen Putin und eine korrupte Regierung zu sein, heißt nicht automatisch, dieselben Werte zu vertreten, etwa in Bezug auf Bildung, Gesundheit oder den Wohlfahrtsstaat.
Mit Nonsens und Slapstick gegen Putins repressives Machtsystem
Was also tun? Welche Strategien kritischer Kunst gibt es aktuell in Russland? Eine Methode besteht darin, mit Nonsens und Slapstick auf Putins repressives Machtsystem zu reagieren. Der Künstler Artem Loskutov begann vor einigen Jahren in Novosibirsk ironische 1.Mai-Umzüge zu organisieren, genannt „Monstration“. Bis zu 5000 Menschen kommen zu diesen Paraden, die es mittlerweile auch vielen anderen Städten gibt. Die Menschen machen sich einen Spaß daraus, Schilder mit unsinnigen Sprüchen in die Luft zu halten. Etwa: „Ich will in den Urlaub“ oder „Die Hölle ist unser“ statt „Die Krim ist unser.“
Loskutov organisierte in Nowosibirsk auch „Märsche für den Föderalismus“, die sich nur halb ernstgemeint für ein unabhängiges Sibirien einsetzten. „Wir bekommen regelmäßig zu hören, wie toll es ist, wenn bestimmte Republiken ihre Selbstbestimmung fordern. Aber wenn wir diese Rhetorik auf Sibirien anwenden, ist ganz schnell Schluss“, sagt Loskutov. Während der Vorbereitungen des Marsches im Sommer 2014 wurden Medien aufgefordert, nicht zu berichten, Inhalte auf Social Medien-Plattformen wurden gelöscht. In Moskau wurde kürzlich ein Gesetz erlassen, das es ermöglicht, die Verbreitung von separatistischen Aufrufen mit bis zu fünf Jahren Haft zu bestrafen. Während die Putin-Regierung separatistische Bewegungen in der Ukraine mit Waffen, Geld und Personal unterstützt, werden Separatistenbewegungen im eigenen Land verfolgt. Und das obwohl die Unabhängigkeit Sibiriens nirgends ernsthaft diskutiert wird. Es sind diese Widersprüchlichkeiten, auf die Künstler wie Loskutov aufmerksam machen möchten. Für Ärger mit den Behörden reicht das allemal – Loskutov wird regelmäßig vor Gericht gebracht, muss immer wieder Ordnungsgelder bezahlen. Inzwischen lebt er in Moskau.
Freiräumen erobern, Alternativen entwickeln
Dort verfolgt sein Kollege Igor Ponosov eine Strategie zarter Eingriffe in den Stadtraum. Der 34-jährige Streetart-Künstler hat sich einem kritischen Urbanismus verschrieben. Er betreibt unter anderem eine Art Ökoaktivismus. So möchte er etwa dem mörderischen Autoverkehr in Moskau etwas entgegensetzen. Er ließ Sticker drucken, die optisch jenen gleichen, die die Moskauer Behörden an Parksünder verteilen. Autobesitzer, die erschrocken auf die vermeintliche Verwarnung schauen, lesen stattdessen freundliche Appelle zur Reduktion der Autonutzung. Bei einem anderen Projekt malte Ponosov Zebrastreifen auf Fahrbahnen, um das Überqueren der Straßen zu erleichtern.
An die Stelle der Idee vom Systemsturz tritt das sukzessive Ersetzen des Bestehenden, das Erobern von Freiräumen und das Entwickeln von Alternativen. Junge russische Künstler sehen sich als Organisatoren sozialer Prozesse. Stodolsky spricht von „Counter hegemony“, mächtige Autoritäten sollen durch selbstorganisierte Netzwerke ersetzt werden. Das ist mühsam, bringt kaum Presse, aber vielleicht gelingt so der Start eines leisen Wandels.