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Auf dem Dach des Berliner Ensembles weht eine Fahne, welche die Musikerinnen von Pussy Riot bei ihrer Aktion in der Moskauer Erlöserkathedrale, dazu ein Satz Schillers: "Die Kunst ist die Tochter der Freiheit."
© dpa

Dissidenten in Berlin: Ai Weiwei, Voina und Pussy Riot

Früher war Berlin, die eingekesselte Exklave, ein Symbol für den Kampf um Freiheit. Heute ist die Stadt ein Anziehungspunkt für Dissidenten aus aller Welt.

Als John F. Kennedy auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges verkündete, dass alle freien Menschen der Welt, egal wo sie wohnten, Berliner seien, setzte der US-Präsident ein Zeichen. Die eingekesselte Stadt wurde zum Sinnbild für Freiheit. 2012 nun entwickelt sich Berlin zum Gravitationspunkt für Aktivisten, die sich gegen die autoritären Verhältnisse in ihren Ländern nur noch wehren können, indem sie diese verlassen. Vor allem kritische Künstler kommen, wollen oder sollen nach Berlin.

Der Schriftsteller Liao Yiwu, diesjähriger Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, eröffnete am Dienstag das Internationale Literaturfestival. 2011 war er aus China geflohen, wo seine Werke nicht mehr gedruckt werden, er lebt nun in Berlin. Der berühmteste Kämpfer gegen den übermächtigen Parteiapparat, Ai Weiwei, hat eine Gastprofessur an der Akademie der Künste angenommen – auch wenn er nicht ausreisen darf. Und leider kaum auf politische Hilfe hoffen darf, da Kanzlerin Angela Merkel derzeit lieber mit einer überdimensionierten Wirtschaftsdelegation statt mit Sorgen um Menschenrechte im Gepäck China bereist.

Eine noch größere Rolle spielt Berlin im Kampf der Osteuropäer für Meinungsfreiheit und gegen die wiedererstarkten Unterdrückungsapparate ihrer Länder. Es waren Ärzte der Charité, die zur streitbaren ukrainischen Oppositionsführerin Julia Timoschenko reisten. Und die Ernennung der Aktivisten des radikalen Künstlerkollektivs Voina zu Kokuratoren der Berlin Biennale war in Zeiten, da die Russen in ihrer Heimat bereits verfolgt wurden, ein starkes Symbol. Überdies ist Voina personell eng mit der russischen Protestband Pussy Riot verflochten.

Am Sonntag wird der Moskauer Prozess als Bühnendrama aufgeführt, mit Regine Zimmermann, Cristin König, Anne Müller und Ulrich Matthes in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. „Pussy Right“ heißt die Aktion. Wieder so ein Symbol, das haften bleiben wird. Ein Nadelstich. Und die Stiftung passt als Ort, setzte doch Namenspatron Böll 1974 selbst ein Zeichen, als er den berühmten Sowjet-Dissidenten Alexander Solschenizyn nach dessen Ausweisung beherbergte. Solschenizyn kehrte erst nach vielen Jahren im Exil nach Russland zurück. Ein Schicksal, das auch Pussy Riot droht. Mehrere Aktivistinnen sind derzeit flüchtig, es würde nicht verwundern, wenn sie in Berlin auftauchen. Und es wäre wünschenswert. Die Stadt war früher selbst ein Sinnbild für den Kampf um Freiheit. Nun kann Berlin all jenen Zuflucht bieten, für die dieser Kampf noch lange nicht vorbei ist.

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