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Teresa Palmer als die australische Touristin Claire, die in eine Falle gerät.
© Berlinale

"Berlin Syndrome" im Panorama: Gefangen in Kreuzberg

Eine Parabel auf die DDR, eine Hommage an die Stadt und eine kräftige Portion Psycho-Thriller. Cate Shortland will mit „Berlin Syndrome“ im Panorama nicht weniger als alles.

Der Kotti, wenigstens zu so viel Konsens sind die Berliner fähig, ist ein spezieller Ort. Bloß halten ihn die einen für irgendwas zwischen Unort und krimineller Vorhölle, während er für viele Junge, besonders Touristen, Drehkreuz und Ausgangspunkt für Kreuzberger Nächte ist. Spaß und Wahnsinn liegen eben eng beieinander. Ein passender Ort für den Beginn von „Berlin Syndrome“.

Die junge Touristin Claire (Teresa Palmer) ist kaum in der Stadt, da stolpert sie schon mit Zufallsbekanntschaften über die Beine betrunkener Russinnen zu einer Dachparty, wo bis zum Sonnenaufgang eine Tüte nach der anderen rumgereicht wird. Die Morgenröte über der Stadt setzt den Betonblockcharme ins richtige Licht. Kaum zwölf Stunden später begegnet sie an einer Ampel dem charmanten Englischlehrer Andi (Max Riemelt), der ihr ein paar Erdbeeren schenkt, worauf sie mit ihm spazieren geht.

Berlin behauptet gern von sich, so etwas sei nur hier möglich. Ausgerechnet in einen Schrebergarten führt Andi die Touristin, den er sehr akkurat beschreibt: „Small gardens, all together with german flags.“ Es kommt, wie es kommen muss, Claire geht mit Andi nach Hause und sie landen im Bett. Andi wohnt in einem ansonsten leer stehenden Altbau, den er wenig akkurat beschreibt: „Berlin ist full of these empty places.“ Schön wär’s.

Den Film in Berlin anzusiedeln, war essenziell

Regisseurin Cate Shortland, eine Australierin, weiß das eigentlich. Als sie nach Drehorten suchte, landete sie sogar in Dresden, wo es tatsächlich zahlreiche verlassene DDR-Wohnungen gibt. „Zum Teil sahen die so aus, als wären die Familien gerade erst von dort weggegangen“, erzählt sie im Interview. Shortland war so beeindruckt, dass sie gar überlegte, Teile des Drehs dorthin zu verlegen – landete am Ende aber doch in einem Appartement in Prenzlauer Berg, um dort die Innenszenen zu drehen. Von denen folgen im Film einige, denn der nette Andi ist gar nicht so nett, sondern ein ziemlicher Psychopath, der Claire nach ihrem Stelldichein fortan in seiner Wohnung gefangen hält.

Liebt Berlin. Die australische Regisseurin Cate Shortland.
Liebt Berlin. Die australische Regisseurin Cate Shortland.
© Thilo Rückeis

Für Shortland war es essenziell, den Film in Berlin anzusiedeln und nicht etwa in Dresden. Und das nicht nur, weil sie sich an einer gleichnamigen Romanvorlage orientiert. Die geteilte Stadt hat Andi geprägt, sie ist Teil seiner Identität. Die Mutter auf der einen Seite der Mauer,der Vater und er auf der anderen – so wuchs Andi auf. Teilung und Ambivalenz ziehen sich als Motive durch den gesamten Thriller. Wenn Andi kurz vor Weihnachten mit Claire raus in einen verschneiten Tannenwald fährt etwa. Der Zuschauer weiß nie: Will er mit der Axt einen Christbaum oder Claire den Schädel einschlagen? Geschenk oder Gemetzel – bis zum Schluss bleibt das unklar.

"Berlin Syndrome" ist auch eine Parabel auf die DDR

Shortland will „Berlin Syndrome“ obendrein als Parabel auf die DDR verstanden wissen. Andi, der Diktator, der sich sein eigenes totalitäres Regime aufbaut, und Claire, laut Shortland, Symbol für das Volk in seiner Ambivalenz. Sie bewegt sich zwischen Fluchtgedanken, Hass und Zuneigung für den Peiniger – als Stockholm-Syndrom bekannt und schon im Titel angedeutet. Erstaunlich, dass die Parabel funktioniert. Gemessen an der Größe ihres Anspruchs, nicht weniger als alles sein zu wollen.

Gestörtes Idyll. Max Riemelt als Andi und Teresa Palmer als Claire.
Gestörtes Idyll. Max Riemelt als Andi und Teresa Palmer als Claire.
© Berlinale

So wird im Film gefühlt jede denkbare psychologische Störung thematisiert. Andis Wut auf die Mutter, sein schwieriges und doch enges Verhältnis zum Vater, ein pädophiler Moment in einer Turnhalle und seine Unfähigkeit, normale soziale Kontakte zu pflegen. Und doch kommt der Film nicht überladen daher. „Wir haben Andi im Film nie verurteilt. Wir haben bloß möglichst präzise versucht zu zeigen, was in ihm vorgeht“, sagt Shortland. „Wir alle tragen ein gewisses Maß an Wahnsinn in uns, bei Andi ist der Kontrollregler einfach lose. Deshalb verhält er sich wie ein Kleinkind.“

„Berlin Syndrome“ ist bereits Shortlands zweiter Film, der in Deutschland angesiedelt ist. 2012 drehte sie „Lore“, der kurz nach 1945 spielt. Die 48-Jährige hat eine sehr persönliche Bindung zur Geschichte dieses Landes. Die Familie ihres Mannes stammt aus Charlottenburg, sie waren deutsche Juden. 1937 flüchteten sie nach Italien mit nicht mehr als einem Koffer. „Bis heute“, erzählt Shortland, „decken wir jeden Freitag an Schabbat den Tisch mit den Tellern, die sie damals im Koffer mitnahmen.“ Shortland redet darüber, wie sie über Andi spricht: ohne zu verurteilen. Sie sei gern in Deutschland, gern in Berlin. Sie plant sogar, ein Haus zu kaufen. In den Wäldern am Rande der Stadt.

17.2., 22.30 Uhr (Colosseum 1)

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