Zum Tod von Fritz J. Raddatz: Gauck, Grütters, di Lorenzo würdigen den großen Feuilletonisten
"Aufrecht und manchmal radikal": Fritz J. Raddatz ist am Donnerstag im Alter von 83 Jahren in der Schweiz gestorben. Zahlreiche Politiker und Kulturschaffende äußerten sich zum Tode des Schriftstellers und Literaturkritikers.
Zum Tod des Schriftstellers und bedeutenden deutschen Kulturjournalisten der Nachkriegszeit Fritz J. Raddatz haben sich zahlreiche Politiker und Kulturschaffende mit Bestürzung geäußert. Bundespräsident Joachim Gauck nannte Raddatz „einen entdeckungsfreudigen Verleger und einen leidenschaftlichen Journalisten“. Bis zum Ende seines Lebens habe er für das freie Wort und für eine engagierte Literatur eingestanden, "aufrecht und manchmal radikal.“ Kulturstaatsministerin Monika Grütters würdigte ihn als einen Publizisten, der die gesamtdeutsche Literaturszene seit den 50er Jahren wie kaum ein anderer nachhaltig prägte. „Als kritischer Zeitgenosse hat er durch prononcierte Zuspitzung Aufklärung und Anstöße für die demokratische und intellektuelle Entwicklung unseres Landes gegeben. Er wird fehlen.“
Raddatz, der am Donnerstag im Alter von 83 Jahren in der Schweiz starb, wird von Hamburgs Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) als scharfzüngiger Autor gepriesen. „Mit Fritz J. Raddatz verlässt uns ein streitbarer Mensch, der über Jahre das Feuilleton der 'Zeit' maßgeblich geprägt und den Kulturbetrieb immer kritisch und scharfzüngig begleitet hat“. Für den Chefredakteur der „Zeit“, Giovanni di Lorenzo, bleibt der ehemalige "Zeit"-Feuilletonchef Raddatz ein Maßstab. „Es gibt wenige Kollegen, die unser Blatt so geprägt haben wie er“. Mit ungeheurer Entdeckungslust habe er als einer der Ersten das Feuilleton geöffnet für große Stimmen von außen, aus Osteuropa ebenso wie aus den Vereinigten Staaten.
Der Kritikerkollege Hellmuth Karasek, dessen Verhältnis zu Raddatz angespannt war, meinte, er sei "über seinen Tod sehr erschrocken, weil er eine wichtige Figur meiner Zeit im Kulturbetrieb war“.
Raddatz, 1931 in Berlin geboren, war über Jahrzehnte einer der einflussreichsten Literaturkritiker in Deutschland. Er hatte an der Humboldt-Universität Geschichte, Germanistik, Theaterwissenschaften, Kunstgeschichte und Amerikanistik studiert, bevor er Lektor beim Ostberliner Staatsverlag „Volk und Welt“ wurde. Nach seiner Übersiedelung in die Bundesrepublik 1958 war er Cheflektor des Kindler Verlags, später wechselte er zu Rowohlt.
In dieser Woche erscheint Raddatz' Buch "Jahre mit Ledig", über seine Arbeit mit dem legendären Rowohlt-Verleger
An diese Zeit erinnerte er sich in seinem an diesem Freitag erscheinenden Buch "Jahre mit Ledig", das von der Arbeit dem Verleg Heinrich Maria Ledig-Rowohlt erzählt. Raddatz veröffentlichte unter anderem Bücher über Tucholsky, Heine, Faulkner und Günter Grass, besonders stolz war er auf seine Rilke- und seine Benn-Biografie. Sein allerliebstes Buch seien die "Buddenbrooks", verriet der Thomas-Mann-Fan dem Tagesspiegel. Berühmt-berüchtigt waren auch seine Tagebücher, die bei Rowohlt erschienen sind. Darin rechnete der bekennende bisexuelle Raddatz scharfzüngig und gewitzt mit dem Literatur- und Kulturbetrieb ab und schreckte selbst vor Schmähungen nicht zurück. Der Tagesspiegel nannte ihn "Charmekatapult und Giftspritze", die "Zeit" titulierte ihn als "Genie, Geck und Galan".
Von 1977 bis 1985 war Raddatz als Feuilleton-Chef der "Zeit" tätig - bis er wegen eines falschen Goethe-Zitats in einem Leitartikel gehen musste. In seiner Laufbahn erhielt Raddatz zahlreiche Auszeichnungen. So wurde ihm 1986 vom damaligen französischen Präsidenten Francois Mitterrand der Orden „Officier des Arts et des Lettres“ verliehen. Im Jahr 2010 erhielt Raddatz den Hildegard-von-Bingen-Preis für Publizistik. Zur Begründung hieß es, Raddatz sei ein „Publizist von Gnaden“.
Im September des vergangenen Jahres hatte Raddatz bekannt gegeben, sich aus dem aktiven Journalismus zurückzuziehen: Ich habe mich überlebt“, schrieb er in der "Welt". „Meine ästhetischen Kriterien sind veraltet, das Besteck des Diagnostikers rostet, meine Gierfreude am Schönen der Kunst ist zu Asche geworden, der gefiederte Pegasus, mit dem ich durch Bild und Text galoppierte, lahmt“, begründete er seinen Abschied von der „Zeitungsarbeit“ und schloss mit den Worten: „Time to say goodbye. Goodbye.“
Im Tagesspiegel-Interview zu seinem 80. Geburtstag 2011 hatte er noch einmal erzählt, warum er sich bereits zehn Jahre zuvor einen Grabstein gekauft hatte: "Mein Gott, man kauft sich alles Mögliche, einen Eisschrank, ein Auto, vielleicht sogar ein Haus. Doch die Leute denken dabei nie an die letzte Wohnung. Und meine sollte unbedingt auf Sylt sein, meiner zweiten Heimat." Seine letzte Wohnstatt mit Blick aufs Wattenmeer und vis-à-vis dem Verleger Peter Suhrkamp wird der große, unerschrockene Publizist nun wohl bald beziehen. Tsp (mit dpa)