Berliner Kultur: Ganz oben sind Frauen Mangelware
30 Prozent vom Kuchen: In der Berliner Kultur finden sich Frauen nur selten an der Spitze, umso mehr im Mittelbau. Quoten-Initiativen wollen das ändern.
Anna Bergmann ist zum ersten Mal beim Theatertreffen dabei. Die Jury hat ihre Inszenierung „Persona“ vom Deutschen Theater – mit Corinna Harfouch – ausgewählt, im Mai ist es in Berlin zu sehen. Neben Bergmann sind auch die Regisseurin Claudia Bauer und die Performerinnen von She She Pop dabei. Drei Werke von zehn entstanden in weiblicher Regie. Was exakt das Ergebnis der Studie „Frauen in Kultur und Medien“ vom Deutschen Kulturrat widerspiegelt. Danach stammen 30 Prozent der Inszenierungen an deutschen Theater von Frauen – im Vergleich mit der Zahl von Frauen in Theaterleitungspositionen noch eine hohe Quote.
In Berlin gibt es mit Annemie Vanackere (Hebbel am Ufer) und Shermin Langhoff (Maxim Gorki Theater) zwei Intendantinnen, beide seit Jahren sehr erfolgreich. Die großen Schauspielbühnen, ob Deutsches Theater, Berliner Ensemble, Volksbühne oder Schaubühne, sind in männlichen Händen. Das ist auch bundesweit so. Nur etwa zwanzig Prozent der Theater haben eine weibliche Leitung, und es sind eher die kleineren Häuser. Ausnahme: Karin Beier, Intendantin des Hamburger Schauspielhauses.
Und wie viele Chefdirigentinnen stehen am Pult eines Berliner Orchesters? Null. Die Konzertmeisterinnen samt Stellvertreterinnen summieren sich in den sieben großen Hauptstadtorchestern dagegen auf 13 von 27. Staatskapelle, Deutsche und Komische Oper, Philharmonie, DSO, RSB und Konzerthaus: Gemeinsam haben die sieben die Quote fast erreicht. Nur in der Philharmonie fehlen derzeit Frauen an der Orchesterspitze.
So ähnlich sieht es überall aus in der Berliner Kultur, auch im Rest der Republik. Ganz oben sind Frauen Mangelware, im Mittelbau tummeln sie sich, und an den Hochschulen finden sich umgekehrt oft weniger Männer als Frauen. Es geht langsam, aber stetig voran, könnte man meinen: Waren 1987 noch zwölf Prozent der Musiker in deutschen Orchestern weiblich, sind es jetzt fast 40 Prozent. Eine Männer-Mannschaft wie die Wiener Philharmoniker mit peinlichen 9,5 Prozent Frauenanteil noch 2017 genießt Dinosaurier-Status. Wobei laut aktuellem Dossier der Deutschen Orchestervereinigung auch hierzulande die Regel gilt: Je berühmter das Ensemble, desto weniger Frauen.
Ganz oben bei den großen Berliner Museumshäusern sind Frauen selten
Überall das gleiche Bild: Ganz oben bei den großen Berliner Museumshäusern und Kulturinstitutionen sind Frauen ebenfalls selten. Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Hermann Parzinger), Berliner Festspiele (Thomas Oberender), Deutsches Historisches Museum (Raphael Gross), Berlinische Galerie (Thomas Köhler) – noch nie gab es hier Chefinnen. Einzige Immerhin: Stephanie Rosenthal lenkt seit gut einem Jahr die immersiven Geschicke des Gropius Baus, sie hat das Haus ordentlich durchgelüftet. Und wieder sind es 30 Prozent: So hoch ist bundesweit der Anteil der von Frauen geleiteten Museen. nur gut fünf Prozent mehr als vor 25 Jahren.
Da kann Kulturstaatsministerin Monika Grütters noch so engagiert Frauenstudien in Auftrag geben, Projektbüros anschubfinanzieren, Gremien und Aufsichtsräte paritätisch besetzen oder runde Frauentische versammeln. Bei aller erklärten Sensibilität für die berühmt-berüchtigte gläserne Decke bleibt Grütters häufig nichts anderes übrig, als einen Mann zu ernennen. Was ihr auch Schelte eingetragen hat. So kürte sie beim Humboldt-Forum in der Nachfolge des rein männlichen Gründungsintendanz-Trios mit Hartmut Dorgerloh wieder einen Mann zum Generaldirektor. Und als die bereits für die Leitung der Museen im Schloss vorgesehene Inés de Castro vom Stuttgarter Lindenmuseum kurzfristig zurückzog, übernahm Lars Christian Koch bei der Ethnologischen und der Asiatischen Kunst.
In London ist die Tate Britain in Frauenhand
Bestimmt hat Grütters die internationale Museumslandschaft gründlich nach Frauen fürs Humboldt Forum durchforstet. Ob British Museum, das Musée du Quai Branly als Ethnologische Schatztruhe von Paris oder das Metropolitan Museum in New York – überall Männer an der Spitze. Immerhin führt Marion Ackermann als Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden eines der großen deutschen Häuser. In London ist die Tate Britain in Frauenhand. Direktorin Maria Balshaw zeigt ab April in der Abteilung Kunst ab 1960 ausschließlich Werke von Frauen, mindestens ein Jahr. Offensiven, von denen man bei den Staatlichen Museen zu Berlin nur träumen kann.
Beim Museums-Mittelbau ist es hier allerdings ähnlich wie bei den Orchestern mit den Konzertmeisterinnen. Leiterinnen einzelner Häuser und Kuratorinnen finden sich reichlich, etwa beim Kupferstichkabinett, wo Dagmar Korbacher kürzlich antrat, nachdem sie zwölf Jahre als wissenschaftliche Referentin und Ausstellungsmacherin tätig war. Und überall in Deutschland führen Frauen oft Regie an kleineren Häusern, in Berlin im Kollwitz-Museum (Josephine Gabler), im Brücke-Museum (Lisa Marei Schmidt) oder im Haus am Waldsee.
Dort sorgte Katja Blomberg vor 14 Jahren dafür, dass es mit der ehemaligen kommunalen Galerie überhaupt weiterging. Die Direktorinnen solcher oft schlecht finanzierter Häuser verantworten nicht nur das Künstlerische, oft stemmen sie in mühevoller Überzeugungsarbeit auch die bauliche Erneuerung. So gelang es Blomberg, die alte Fabrikantenvilla in Dahlem runderneuern zu lassen. Und Annemarie Jäggi kämpfte beim Bauhaus-Archiv für eine Sanierung und Erweiterung.
Für die Nachfolge von Dieter Kosslick fand sich kaum eine Frau
Kulturstaatsministerin Grütters hatte 2018 auch die personelle Zukunft der Berlinale zu regeln. Auch für die Nachfolge von Festivalchef Dieter Kosslick – der im Februar einen Bären-Wettbewerb mit erstmals über 40 Prozent und ein Gesamtprogramm mit 37 Prozent Regisseurinnen-Anteil präsentierte – fand sich auf dem internationalen Parkett kaum eine Frau. Filmfeste wie DokLeipzig oder die Viennale haben neuerdings weibliche Chefs, aber keiner der ganz großen Tanker, Venedig, Cannes, Toronto oder Locarno. Jetzt ist es immerhin eine Doppelspitze geworden, mit dem Italiener Carlo Chatrian als künstlerischem Direktor und der Niederländerin Mariette Rissenbeek als Geschäftsführerin.
Er gestaltet, sie verwaltet? Gerade beim Film und bei den Medien engagieren sich zahlreiche Quoten-Initiativen, die sich inzwischen zu ProQuote Film zusammengetan haben. Über 500 kreative Frauen in Schlüsselpositionen sind hier vertreten, heißt es auf der Website, im Argen liegt vor allem Strukturelles, von der Theater-Kita bis zu familienkompatiblen Arbeitszeiten für Chefinnen und Chefs. Frauen in Führungspositionen finden sich überall in der Kultur vor allem in verwaltenden, eher dienenden Funktionen.
Will heißen: Die Männer machen, die Frauen ermöglichen. Sie stehen weniger im Rampenlicht, als dass sie hinter den Kulissen wirken. Zum Beispiel Hortensia Völckers als Chefin der Bundeskulturstiftung. Oder Anne Leppin als Geschäftsführerin der Deutschen Filmakademie, ab April zusammen mit Maria Köpf, die als langjährige Produzentin 2016 ebenfalls in die Filmförderung gewechselt war.
Das Medienboard Berlin-Brandenburg betreibt Frauenförderung
Kirsten Niehuus, Chefin des Medienboard Berlin-Brandenburg, hat sich die Frauenförderung schon länger auf die Fahnen geschrieben. Bislang ändert es wenig. Bis zur diesjährigen 69. Lola-Gala wurden seit Gründung des Deutschen Filmpreises lediglich fünf Mal Regisseurinnen für den besten Film ausgezeichnet: Helma Sanders-Brahms, Margarethe von Trotta gleich zwei Mal , Caroline Link und 2017, nach 14 Männer-Jahren, Maren Ade für „Toni Erdmann“. Immer noch mehr als der einzige Oscar, der je an eine Frau ging, 2013 an Kathryn Bigelow.
Ebenfalls typisch: das Ehrenamt. Jeanine Meerapfel wirkt als Präsidentin der Akademie der Künste, Iris Berben war Präsidentin der Filmakademie, bis Ulrich Matthes sie im Februar ablöste.
Auch das für Berlin so wichtige DAAD-Künstlerprogramm wird seit Jahren von Frauen betreut, von Nele Hertling, Katarina Narbutovic und seit 2018 von Silvia Fehrmann. Oder die Villa Massimo in Rom, eines der Prestigeprojekte auswärtiger Kulturpolitik. Dort firmiert Julia Draganovic ab Juli als Chefin. In der Bundeskulturpolitik sind Frauen übrigens top, denn dort gibt es mit Michelle Müntefering als Kulturstaatsministerin im Auswärtigen Amt seit 2018 eine zweite Frau neben Grütters. In welcher Richtung sich die reale Gleichberechtigung wohl schneller bewerkstelligen lässt, von oben nach unten oder umgekehrt?
Theaterregisseurin Anna Bergmann, 1978 geboren, gehört einer Generation an, die das zähe Vorankommen in der Frauenfrage beschleunigen könnte. Sie ist Schauspieldirektorin am Badischen Staatstheater Karlsruhe, derzeit inszenieren dort ausschließlich Frauen. Ein bisher einmaliger Modellversuch: Intendant Peter Spuhler hat sie dazu ermutigt.
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