Monika Grütters im Interview: "Der Kulturbetrieb würde eine Autorität gut vertragen"
Viele Akteure, viel Ärger: Kulturstaatsministerin Monika Grütters über Volksbühne, Berlinale und Humboldt-Forum. Und die Frage, warum Berlin sich bei Kultur-Personalien so zerstreitet.
Frau Grütters, wenn man sich in Berlin umschaut, scheint es fast unmöglich zu sein, wichtige Kulturposten zu besetzen. Es gibt große öffentliche Debatten wie bei der Berlinale, oder es geht krachend schief wie bei der Volksbühne und Chris Dercon. Woran liegt das? Warum ist Berlin so schwierig?
Dafür gibt es einige Gründe. Berlin hat einen sehr politischen Kulturbetrieb, was ich erst einmal gut finde. Aber das bedeutet auch, dass immer viele mitreden. Und die Menschen in der Kultur sind sehr selbstbewusst und sensibel. Hinzu kommt, dass die Ensembles immer mehr Wert auf Mitwirkung legen. Politiker stecken in einem Dilemma: Sie müssen einerseits mutig und entscheidungsfreudig sein, gleichzeitig aber Fürsorge tragen für die Institutionen und für die Leitungspersönlichkeiten, die sie berufen. Die dritte Gruppe der Mitwirkenden, neben den Kulturmenschen und der Politik, sind die Medien. Sie begleiten diese Prozesse in Berlin durchaus meinungsstark von Anfang an. Das schreckt den einen oder anderen Kandidaten tatsächlich ab, hierher zu kommen.
War die Kombination von Dercon und der Volksbühne ein vorhersehbares Fiasko?
Bei einer solch bedeutenden Personalscheidung braucht man Sachkunde. Wenn man die nicht aus eigener Anschauung hat, muss man sie sich holen. Und man braucht Empathie, man sollte ein Gefühl haben für die Häuser, ihre Tradition und die Stimmung in deren Mitarbeiterschaft, wenn man sich auf die Suche nach einer neuen Leitung macht. An alledem hat es in diesem Fall gefehlt. Deshalb ist es schiefgegangen.
War es richtig, die Sache mit Dercon jetzt so zu beenden?
Ja, es war richtig. Der Geburtsfehler ist nie geheilt worden. Und dass das Kind krank war, hat man in den ersten Monaten gesehen. Ich habe Respekt davor, dass beide Seiten den Mut hatten, die Reißleine zu ziehen.
Auch das viel größere Humboldt-Forum, das nun in Ihre Zuständigkeit fällt, hatte Geburtsschwierigkeiten. Mit Neil MacGregor haben Sie jemanden von außen geholt, und auch da hat sich nicht alles eingelöst, was man erwartete. Sind beim Humboldt- Forum zu viele Player im Spiel?
Wenn viele Akteure mitmischen, ist es immer komplizierter, als wenn es klare Hierarchien und Autoritäten gibt. Im föderalen und mitbestimmungsfreudigen Deutschland ist das nicht der Fall. Bei all seinen guten Deutschland-Kenntnissen war Neil MacGregor überrascht, wie mühsam es ist, hier Entscheidungsprozesse mit all ihren Kompromissen zu einem guten Ende zu führen. In England wird offenbar stärker hierarchisch gearbeitet, während bei uns das kulturelle Milieu sehr auf Partizipation beharrt. Kulturmenschen sind in der Regel ja gerade keine Befehlsempfänger. Das macht das Geschäft sehr anspruchsvoll.
Haben wir in unseren kulturellen Prozessen zu viele demokratische Elemente?
Manchmal würde auch der Kulturbetrieb eine Autorität gut vertragen. In ihrem Habitus sind das ja viele Intendanten und beispielsweise Dirigenten auch. In dem Expertenkreis mit über 20 Personen, der mich bei der Suche nach einer Nachfolge für den Berlinale-Chef Dieter Kosslick berät, gab es auch prominente Stimmen, die sagten: Man empfehle jemanden für die Zukunft, der „less smart“ und „not too soft“ sei. Jemanden, der mal ansagt, worum es geht, und nicht immer nur versucht, es allen recht zu machen. In mancher Hinsicht fehlt also hier und da der Mut zur Autorität. Vielleicht haben die Filmexperten da auch gespürt, dass man Personalentscheidungen oft nicht per Basisentscheid herbeiführen kann.
Haben Sie nicht zu spät angefangen, die Berlinale-Chefposition zu regeln?
Ich bin seit über einem Jahr damit beschäftigt und habe unzählige Gespräche geführt, mit Kandidatinnen und Kandidaten und mit Experten, im In- und Ausland. Darüber führe ich aber nicht öffentlich Buch. Bei allem Verständnis für den Wunsch vieler nach Transparenz – Personalfindungen leben von der Diskretion. Alles andere wäre unseriös und würde jede Kandidatin und jeden Kandidaten desavouieren. Ich wünsche mir mehr Vertrauen, dass wir Politiker da verantwortungsvoll und mit Bedacht herangehen. Schließlich hängt auch der eigene Ruf davon ab, wie gut eine Entscheidung am Ende ist. Für die Berlinale bin ich zuversichtlich, das selbstgesteckte Ziel einzuhalten und bis zum Sommer einen entscheidungsreifen Vorschlag machen zu können, wer Dieter Kosslick nachfolgen soll.
Zurück zum Humboldt-Forum: Da gibt es fast unerfüllbare, weil einander widersprechende Erwartungen. Jetzt haben Sie Hartmut Dorgerloh zum Intendanten berufen, und für einige Beobachter ist das auch schon wieder schlecht, weil er aus Potsdam kommt und zu populär denkt …
Beim Humboldt-Forum sind wir jetzt in der Phase drei. In der ersten haben wir nur über das Gebäude geredet. In der zweiten verständigten wir uns endlich über die Inhalte, mit allen Auseinandersetzungen zwischen den beteiligten Parteien, den neuen Leuten und denen, die schon immer da waren. Jetzt, in der dritten Phase, müssen wir das Projekt für die Eröffnung und die Zukunft fit machen. Mit den lebhaften Debatten wie etwa der um den Kolonialismus, beweist das Humboldt-Forum schon vor seiner Eröffnung seine Existenzberechtigung. Aber es ist nicht das einzige Thema, die außereuropäischen Sammlungen, vor allem die asiatischen und südamerikanischen, stammen nicht alle aus kolonialen Kontexten. Außerdem existieren im Humboldt-Forum viele Ebenen. Die Historie des Ortes wird erklärt, Berlin präsentiert seinen Teil der Geschichte, es gibt Veranstaltungsräume und vieles mehr.
Und Dorgerloh ist dafür der Richtige?
Hartmut Dorgerloh ist jemand, der das große Ganze managen und auch komplexe, intellektuell anspruchsvolle Inhalte populär darstellen kann. In 16 Jahren in der Stiftung Schlösser und Gärten hat er seine große Stärke gezeigt: Er kann ein sehr heterogenes kulturelles Gebilde in der Öffentlichkeit positionieren und zum Strahlen bringen. Er kann nicht nur mit dem Publikum kommunizieren, sondern auch mit der Politik. Und er hat eine Qualität, die kein anderer Kandidat mitgebracht hätte: Er ist schon so lange Teil des Projekts, dass er genau weiß, worauf er sich einlässt.
Hat bei Dorgerlohs Berufung die Management-Erfahrung in einem großen Kulturbetrieb den Ausschlag gegeben?
Ja, er hat Investitionsprogramme in Höhe von insgesamt über 500 Mio. Euro sauber umgesetzt und eine Institution ähnlich der Größe des Humboldt Forums mit ihrem Potential wunderbar vermittelt. Wir haben nicht nur bis nach Potsdam geschaut, sondern weltweit recherchiert. Max Hollein, der nun als Direktor zum Metropolitan Museum nach New York geht, hat uns prompt „auf gute Zusammenarbeit mit dem Humboldt-Forum“ zugerufen. Im Übrigen habe ich die Sache nicht allein entschieden, sondern zusammen mit den drei Gründungsintendanten des Humboldt-Forums und externen Beratern, darunter Bénédicte Savoy, die Dorgerlohs Engagement ausdrücklich begrüßt. Zum Glück berät sie nicht nur den französischen Präsidenten Macron …
Ob Volksbühne oder Humboldt-Forum: Warum werden all diese Auseinandersetzungen mit solcher Härte geführt? Warum hauen wir uns in einem Land mit reichlich Geld für die Kultur und sicheren Strukturen permanent auf den Kopf?
In der gesamten öffentlichen Wahrnehmung hat die Härte zugenommen, auch und gerade in den und durch die sozialen Netzwerke, wo unter dem Deckmantel der Anonymität zuweilen jede Hemmung fällt. Der Ton ist in Deutschland insgesamt rauer geworden, der Meinungswettbewerb unter den Intellektuellen und Künstlern ebenso. Das Ringen um Aufmerksamkeit wird auch durch die Tonlage erzwungen. Gerade wir alle, die in der Kultur und damit für die Gesellschaft Verantwortung tragen, müssen uns immer wieder unserer ethischen Maßstäbe vergewissern – das ist das Wesen einer echten Kultur der Verständigung.
Das Gespräch führte Rüdiger Schaper.