Ernst Wilhelm Nay bei Aurel Scheibler: Gallery Weekend: Im Auge des Betrachters
Die Galerie Aurel Scheibler zeigt Ernst Wilhelm Nay mit Motiven aus seinen Werken der 60er Jahre: Pupillen und Planeten.
Eine dunkle Sonne zieht um die wasserblaue Erdkugel, daneben ein durchsichtiges Auge. Verkehrte Welt, denn natürlich verhält es sich andersherum. Die Erde kreist um die Sonne, das aber lässt sich nur in der Vorstellung erkennen. In seinem meisterhaften Großformat „Äquinoktien“ von 1964 malt Ernst Wilhelm Nay das Modell der Tagundnachtgleiche, das die subjektive Wahrnehmung des Menschen spiegelt. „Was wir sehen, blickt uns an“ – Nays Augenbilder fordern den Betrachter heraus und schauen zurück.
Zum 25-jährigen Bestehen seiner Galerie zeigt Aurel Scheibler mit den „Augenbildern“ Werke aus einer kurzen, aber entscheidenden Phase des Malers. Bis auf drei Leihgaben stammen alle Bilder aus dem Nachlass des Künstlers, den der Galerist mitverwaltet. Sein Vater hatte Nays Witwe Elisabeth Nay geheiratet. Im historischen Ausstellungsraum der Galerie begegnen die Besucher den Pupillen und Planeten auf Augenhöhe.
Die Bilder entstanden zwischen 1962 und 1964. Zwar finden sich Augen schon im Frühwerk, erst als surreale Innensicht, dann nehmen sie stellvertretend für alle Sinne das ganze Gesicht ein. Später erprobt Nay in den Augenbildern etwas anderes. Er hält den Lebensfunken fest. Bei Scheibler lässt sich beobachten, wie der Maler sich für die feinstofflichen Elemente interessiert: Atome, Magnetfelder. Mal schleudert ein Propeller die Teilchen an den Bildrand, dann streben Verdrängungskräfte ins Zentrum.
Das Vergnügen der Farbe
1964 lösten die Augenbilder auf der Documenta III in Kassel einen erbitterten Streit aus. Arnold Bode hatte drei Gemälde beim Künstler bestellt und sie in der Abteilung „Bild und Skulptur im Raum“ wie ein Himmelszelt unter die Decke gehängt. Danach wurde der Maler als dekorativ beschimpft. Heute schmücken diese Gestirne den Pressesaal des Bundeskanzleramts. Zwei Bilder bei Scheibler hingen 1964 in Kassel: „Die Nacht“ und „Meteor“. Im Spiel mit Kreis, Scheibe und Kugel lotet der Künstler die Kräfteverhältnisse im Raum aus. Bei der gleichen Documenta zeigte Emilio Vedova mit seinem „Absurden Berliner Tagebuch“ begehbare Malerei, die Zero-Künstler setzten Licht in Bewegung.
Der Umbruch in der Kunst fand zu einer Zeit statt, in der sich das Verhältnis zum Raum änderte. Im Kalten Krieg fungierten Mittelstreckenraketen und Atombomben als Abschreckungspotenzial. Der Wettlauf zum Mond hatte begonnen. Die Spannungen dieser Epoche teilen sich fast körperlich mit. Hinzu kommt das aufregende Vergnügen der Farbe. Nay malt und übermalt, zerkratzt die Schichten, lässt Leinwand weiß oder tropft zarte Spuren. Immer tariert eine ausgeklügelte Dramaturgie die Balance aus. Bei dem actiongeladenen „Blaufeuer“ halten Gelb, Rot und Blau das emotionale Gleichgewicht. Die Augenbilder gebieten kühl Distanz, oder sie ziehen strahlend an. Immer aber übertragen sie pure Energie.
Galerie Aurel Scheibler, Schöneberger Ufer 71, bis 18. 6.
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