Villa Grisebach: Nähe und Geheimnis
Moderne Klassiker, experimentelle Fotokunst von Moholy-Nagy und Duchamps „Roter Koffer“: eine Jubiläumsvorschau auf die 250. Auktion der Villa Grisebach.
Ihren Körper malte Karl Hofer wie eine Landschaft: Mit beigen und grauen Partien, die eher das Eckige der jungen Frau betonen als das Erotische. Die hellen Strümpfe sind ein Stück weit am Bein herabgerollt. Dennoch wirkt die Dargestellte nicht entblößt, sondern fern von allem und in sich gekehrt. Als müsse sie endlich einmal Pause machen von dieser anstrengenden Zeit.
Die Zeit, das waren die zwanziger Jahre, in der nicht bloß in Metropolen wie Berlin das Selbstbewusstsein der Frauen wuchs. Sichtbarer Ausdruck davon: die kurzen Bubiköpfe. Auch Hofer erlebte mit knapp 50 Jahren zum ersten Mal so etwas wie Erfolg in seiner künstlerischen Laufbahn. Wichtige Galerien in München und Berlin zeigten seine Malerei, der „Sitzende Akt mit blauem Kissen“ (1927) war Teil einer Ausstellung bei Alfred Flechtheim. 1935 wurde das Bild dort von der Gestapo beschlagnahmt, zwei Jahre später hing es in der NS-Propagandaschau „Entartete Kunst“. Das Auktionshaus Grisebach, das nun 250 000 bis 350 000 Euro für das Bild erwartet, zeigt ein kleines Foto davon im Katalog. Und berichtet mit knappen Worten über die Provenienz, über spätere Besitzer, Restitution und den Verbleib in einer Berliner Privatsammlung.
Von dort gelangte die Leinwand als Los Nr. 43 in Grisebachs 250. Jubiläumsauktion mit jenen „Ausgewählten Werken“, die nun zur Vorbesichtigung in der Villa hängen. Zusammen mit Bildern von Max Liebermann, Otto Modersohn oder Lesser Ury, der mit einer wunderbaren Impression der nächtlichen Leipziger Straße (um 1918/20) vertreten ist. 150 000 Euro soll sie mindestens kosten und ist damit weit entfernt von den beiden Spitzenlosen mit ihrem Schätzwert von jeweils auf 1 –1,5 Millionen Euro. Dennoch verdient das Gemälde einen aufmerksamen Blick, bevor er vom kapitalen Sonnenblumenbild Emil Noldes von 1956 abgelenkt wird. Oder von Max Beckmanns „Bildnis eines jungen Mädchens“, das er während der dreißiger Jahre im Amsterdamer Exil schuf – die Frau im Sommerwind verkörperte Beckmanns Sehnsucht nach dem Süden.
Ein großes Thema für Bieter dürften drei Editionsprojekte von Duchamp sein
Neben solchen Klassikern, die Grisebach für die Herbstauktionen verlässlich akquiriert, stehen Neuzugänge wie „Der elektrische Zähler“ des technikverliebten Walter Dexel (1922). Oder die „Composition No. 42“ von Friedrich Vordemberge-Gildewart (1928) für geschätzte 100 000 bis 150 000 Euro: Der Protagonist der konstruktivistischen Kunst wird gerade wiederentdeckt. Ein großes Thema für Bieter dürften überdies jene drei Editionsprojekte von Marcel Duchamp sein, an deren Spitze der „Rote Koffer“ (200 000 bis 300 000 Euro) steht: eine Art Miniaturmuseum aller Duchamp-Werke, die der Künstler höchstpersönlich reproduziert hat.
Zwei Gemälde von Ernst Wilhelm Nay, „Balance joyeuse“ von 1956 und „Dominant Gelb“ von 1959 sowie ein „Montaru“-Bild von Willi Baumeister (200 000 – 300 000 Euro) stehen für die Abstraktion der Nachkriegsjahre. Flankiert werden sie von einer plastischen Drahtarbeit Norbert Krickes (20 000 bis 30 000 Euro) und von der glatten, glänzend polierten Bronze von Hans Hartungs „Liegender“ (40 000 – 60 000 Euro) – Hartung kennt man ja sonst als Maler.
Bei den zeitgenössischen Künstlern sucht man solche Überraschungsmomente eher vergeblich. Hier dominieren vertraute Namen wie Gerhard Richter, Georg Baselitz oder auch Andy Warhol, von dem zwei frühe Blumen-Leinwände aus dem Jahr 1964 (150 000 bis 200 000 Euro) zum Aufruf kommen.
Experimentelles haben Fotografen wie László Moholy-Nagy zu bieten. Ab 1922 schuf der Bauhaus-Künstler abstrakte Motive ohne Kamera, indem er die Objekte direkt auf das Fotopapier legte. Seine Fotogramme genannten Bilder wirken wie Negative. Grisebach hat nun ein seltenes Positiv-Fotogramm (1925) mit einer Formation aus geometrischen Grundformen im Angebot, das mit einem Schätzwert von 80 000 Euro das Spitzenlos bei der Fotografie-Auktion ist. Für Aufsehen dürfte außerdem eines jener hundert nummerierten Exemplare des Büchleins „La Pupée“ von 1936 sorgen, in dem Hans Bellmer seine erotisch konnotierten Aufnahmen von Puppenfragmenten zusammengefasst hat (Taxe: 35 000 Euro).
Nach dem Wesen des Menschen suchte der polnische Avantgardekünstler Stanislaw Ignacy Witkiewicz in seinen Porträts von Freunden und Verwandten. Dem Gesicht einer Frau kam er auf einem Foto von 1913 dabei so nah, dass es aus der extremen Perspektive fast schon wieder unscharf erscheint – ihre Seele findet man in dem Antlitz nicht. Es ist ein rares Sujet von Witkiewicz, der ähnlich wie Umbo den Verlust seines fotografischen Archivs im Zweiten Weltkrieg zu beklagen hatte. Grisebach bietet gleich zwei Porträts zu Preisen ab 10 000 Euro an.
Garanten für ein bietendes Publikum sind nach wie vor die Abzüge des Franzosen Henri Cartier-Bresson zu Taxen ab 5000 Euro. Daneben finden sich ein Vintage von Brassaï (Taxe: 5000 Euro) und ein Akt, den André Kertész elegant verzerrt hat (Taxe: 8000 Euro). Gewissermaßen gleich zwei Künstlerinnen bekommt, wer Gisèle Freunds Porträt ersteigert, das mit einem Mindestgebot von 2000 Euro aufgerufen wird: Es zeigt Frida Kahlo im Rollstuhl vor einem ihrer Bilder.
Zeitgenössisches wird mit Fotografen wie Thomas Ruff, Erwin Olaf oder Anton Corbijn angeboten, der ja gerade eine große Retrospektive bei C/O Berlin hat. Sein Porträt von Keith Richards mit zerklüftetem Gesicht stammt von 1999 und soll mindestens 10 000 Euro bringen. Denselben Preis erwartet Grisebach für den Vintage-Print eines Autorennens, das Jacques Henri Lartigue 1913 eingefangen hat. Auch wenn die Rennwagen im Vergleich zu heute wie Seifenkisten wirken, hätte man sie damals wohl nicht für diesen Preis bekommen. Grisebach schätzt den mittleren Umsatz des Hauses nach den vier Auktionstagen mit 1658 Kunstwerken auf 23 Millionen Euro.
Villa Grisebach, Fasanenstraße 25, 27 & 73; Vorbesichtigungen bis 24.11., Auktionen: 25.-28.11., weitere Informationen: www.grisebach.com
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