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300 Jahre Ofenkultur sind im Dachgeschoss der Kachelfabrik in Velten zu sehen. Prunkstück ist der blauweiße Stockelsdorfer Ofenaufsatz von 1775 (rechts).
© OKM Velten

Zukunft des Hedwig Bollhagen- und Ofenmuseums Velten: Für Kacheln brennen

Berlins Öfen kamen einst aus Velten, hier arbeitete auch Hedwig Bollhagen. Das Doppelmuseum in einer Keramikfabrik erzählt davon – doch die wird nun verkauft.

Im Sommer, da wird allzu leicht vergessen, was für ein Segen ein warmes Plätzchen am Ofen ist. Doch bei einem Ausflug nach Velten, 25 Kilometer nordwestlich von Berlin gelegen, fällt es einem siedend heiß wieder ein. Dort ist das Heizen im 19. Jahrhundert erst Industrie, dann Kunst und schließlich auch Museum geworden. Schon im Jahr 1905, nachdem das ehedem kleine Bauerndorf, innerhalb von 50 Jahren im Speckgürtel des wachsenden Gründerzeit-Berlins zum größten Kachelofenproduzenten Deutschlands geworden war.

Rekordverdächtige 100 000 Berliner Öfen haben die knapp 40 Veltener Fabriken allein im Jahr der Museumsgründung gebrannt. Wobei „Berliner Ofen“ tatsächlich zum Namen des in Velten entwickelten Verkaufsschlagers wurde. Diesem knapp drei Meter hoch aufragenden, klassizistisch anmutenden Ofen ist denn auch der Platz gleich am Eingang des damals von Veltener Bürgern begründeten Ofen- und Keramikmuseums gewidmet. Die weißen Kacheln schimmern auch gut 100 Jahre später, als habe der Ofensetzer die Arbeit gerade erst beendet. Kein einziger Haarriss durchzieht die Zinnschmelzglasur der weißen Kacheln. Das liegt an der besonderen Güte, genauer: am hohen Kalkgehalt des hier gewonnenen Tons.

Vom Bahnhof Velten ist es nur ein kurzer Fußweg bis zur 1872 gegründeten Ofenfabrik A. Schmidt, Lehmann & Co., in deren Dachgeschoss das Museum seit1994 sitzt. Kaum ist das Schild der hier beginnenden „Deutschen Tonstraße“ passiert, rückt auch schon der prächtige Ziegelbau in den Blick. Dieses Industriedenkmal ist ganz Backstein gewordener Gründerstolz. Im Nebengebäude plärrt ein Radio. Da liegen in endloser Reihe Paletten mit Kacheln, Formen, Arbeitsmaterialien. Über allem liegt ein feiner weißer Staub. Es riecht nach Gips und Ton.

Marwitz und Velten sind Hedwig Bollhagen-Land

Linker Hand, in der ausgebauten, ehemaligen Remise, ist seit 2015 das Hedwig-Bollhagen-Museum zu Hause. Die Werkstätten der 2001 verstorbenen, stilprägenden deutschen Keramikerin liegen in Marwitz, das ist nur zwei Kilometer entfernt. Ihr 1600 Tassen, Teller, Vasen und Kannen umfassendes künstlerisches Erbe steht auf der Liste des nationalen Kulturguts. Die der Deutschen Stiftung Denkmalschutz gehörende Sammlung, die trotz großem Interesse der Landeshauptstadt Potsdam, ein Bollhagen-Museum zu errichten, nach Velten ging, bildet die moderne Ergänzung zu dem Überblick über 300 Jahre Ofenkultur, den das Keramik- und Ofenmuseum zeigt. In diesem Doppelmuseum schlägt das keramische Herz der Mark.

Dynamisches Duo. Museumschefin Nicole Seydewitz und Udo Arndt vom Förderverein der von ihnen gestalteten Bollhagen-Ausstellung.
Dynamisches Duo. Museumschefin Nicole Seydewitz und Udo Arndt vom Förderverein der von ihnen gestalteten Bollhagen-Ausstellung.
© Kitty Kleist-Heinrich

Dessen Konzept umfasst zwei Stränge, wie beim Rundgang mit Museumschefin Nicole Seydewitz und dem Fördervereinsvorsitzenden Udo Arndt schnell klar wird. Der 200 Mitglieder zählende, gemeinnützige Förderverein betreibt das von der Stadt Velten und dem Landkreis Oberhavel unterstützte Doppelmuseum. Die den Öfen und der Bau- und Gebrauchskeramik gewidmete Ausstellung liegt im knapp 900 Quadratmeter großen, ehemaligen Trockenboden der Fabrik. 45 Handgriffe erfordert die Herstellung einer Manufaktur-Kachel, erzählt Nicole Seydewitz. Die hauseigene Transporthilfe in den dritten Stock, der „Kachelelevator“ ist nach wie vor betriebsbereit.

Zu sehen ist zum einen die Industrie- und Technikgeschichte der Kachelherstellung, deren harte Handarbeit der Fotograf Waldemar Titzenthaler in eindrucksvollen Serien dokumentiert hat. Im 19. Jahrhundert transportierten Lorenbahnen den Ton aus den Veltener „Pötterbergen“ in die weitläufigen, der Reinigung dienenden Schlämmbecken. Und auf der Chaussee nach Berlin stauten sich die Pferdefuhrwerke der Kachellieferanten bis zum Horizont.

Die Parade der Öfen sucht in Deutschland ihresgleichen

Zum anderen ist eine Parade von Öfen aus Deutschland und anderen europäischen Ländern ausgestellt, die in ihrer Material- und Stilfülle ihresgleichen sucht: darunter Aufsatz- und Überschlagsöfen aus Barock, Rokoko, Klassizismus und Jugendstil. Es ist eine Kunstgewerbeschau, an der sich der Wechsel der Moden ebenso ablesen lässt, wie die Qualität der Handwerkskunst und der Repräsentationswille des Besitzers. Als dankbarer Abkömmling der Generation Zentralheizung steht man staunend vor formvollendeten, aber auch monströsen Keramik- oder Eisenöfen. Die Heizgeräte, die so existenziell wie viel geliebt waren und auch in der Literatur und Musik gewürdigt wurden, prunken mit Löwenfüßen, floralen Dekoren, Jagdszenen und sogar biblischen Geschichten. Prunkstück ist ein elegant geschwungener Stockelsdorfer Ofenaufsatz von 1775. Er ist das einzige blau-weiß bemalte Exemplar der berühmten norddeutschen Fayencemanufaktur, das weltweit erhalten ist.

Ton, Steine, Scherben. Die 1899 erbaute Keramikfabrik A. Schmidt, Lehmann & Co, in der oben das Ofenmuseum sitzt.
Ton, Steine, Scherben. Die 1899 erbaute Keramikfabrik A. Schmidt, Lehmann & Co, in der oben das Ofenmuseum sitzt.
© Kitty Kleist-Heinrich

„Öfen sind immer auch Bildträger“, erläutert die Kunsthistorikerin Seydewitz. Das ist doch ein Satz, der – angesichts der allerorten wieder zu beobachtenden Hinwendung zur Holzfeuerstelle in der Wohnstube – dem Einerlei von Glas- und Stahlöfen den Garaus machen und eine Renaissance des Kachelofens einläuten könnte. Velten, wo einst in den zwanziger Jahren nicht nur Hedwig Bollhagen Steingut-Produkte entwickelte, sondern auch Architekten wie Alfred Grenander, Peter Behrens, Hermann Muthesius und Bruno Taut gestalteten, wäre dafür allerdings schlecht gerüstet. Der Titel „Ofenstadt“ ist nur noch ein die Tradition zitierendes touristisches Vehikel. Industriekeramik wird heute anderswo und längst digitalisiert produziert. Die Keramikmanufaktur A. Schmidt, Lehmann & Co hat zwar Baukeramik produziert, die überall in Berlin zu sehen ist, aber sie ist auch die vorletzte ihrer Art. Rolf Schmidt, der sie in der vierten Generation betreibt, lässt die Produktion gerade auslaufen. Er geht in Rente und hat keine Nachfolger. Deswegen steht die mitsamt Maschinen unter Denkmalschutz stehende Fabrik jetzt zum Verkauf. Anders ginge es nicht, bedauert Schmidt und stellt eine Platte mit Tonplaketten zum Trocknen in die Sonne. Zwölf Angestellte hat er zuletzt noch beschäftigt. Doch so ein Gebäude sei für einen Rentner nicht zu erhalten.

Für die Ausstellungarchitektur bekamen sie den German Design Award

Museumleiterin Seydewitz und Fördervereinschef Arndt haben das kommen sehen. Die 38-jährige Kunsthistorikerin aus Neuruppin und der 72-jährige, auf die Restaurierung antiker Öfen spezialisierte Berliner Kunsthändler kämpfen als dynamisches Duo um die Erhaltung und die Entwicklung des Standorts, wobei das Bollhagen-Museum nicht gefährdet ist: Das Gebäude gehört der Stadt. Vor ein paar Monaten wurden Seydewitz und Arndt für die Ausstellungsarchitektur dieses Mueums mit dem German Design Award ausgezeichnet. So eine Präsentation in reflexionsarmen Tageslicht-Vitrinen, wie sie hier zu sehen ist, gebe es in keinem anderen deutschen Kunstgewerbemuseum, sagt Arndt.

Muster der Moderne. Künstlerische Unikate von Hedwig Bollhagen (im Hintergrund), fotografiert in dem ihr gewidmeten Museum.
Muster der Moderne. Künstlerische Unikate von Hedwig Bollhagen (im Hintergrund), fotografiert in dem ihr gewidmeten Museum.
© Kitty Kleist-Heinrich

Auf die drohende Schließung der Kachelofenfabrik haben Museum und Förderverein eben nicht mit einer Schockstarre, sondern mit flächendeckendem Alarmschlagen und der eiligen Erarbeitung eines Nutzungskonzepts für die Fabrik reagiert. Die ist ja mit ihren Kachelpressen, Gießbänken, Brennkammern und Gipsformen das wichtigste Ausstellungsstück mit einem unbezahlbar authentischen Nimbus. Geht es nach den Keramikenthusiasten, wird daraus in Zusammenarbeit mit Brandenburger Behindertenwerkstätten eine gläserne Manufaktur samt Gastronomie und Künstlerateliers. Die Ideen genießen genauso wie das Doppelmuseum Sympathien bis hinauf in die Staatskanzlei. Ministerpräsident Woidke war in Velten und hat seine Unterstützung zugesichert. Allein, nichts wird bislang konkret. Ein Ankauf der Fabrik durch das Land sei aufgrund der Landeshaushaltsordnung nicht möglich, sagt Martin Sand, ein Sprecher des Kultusministeriums. Ines Hübner, die Bürgermeisterin von Velten, ist ebenso konkret: „Der Kaufpreis von 1,4 Millionen Euro ist für eine Stadt mit 12 000 Einwohnern nicht leistbar.“ Der Bau von Kitas und Schulen für zuziehende Familien sei dringlicher.

Also machen Museum und Förderverein, was weiland die Keramiker taten: sie packen an. Suchen das Gespräch mit Investoren, die ihr Geld in Kulturprojekte stecken. Holen eine junge Museumsmanagerin ins Boot, die Erfahrung mit Fundraising besitzt. 2018 ist europäisches Kulturerbe-Jahr. Die Crowdfunding-Kampagne „2018 mal 500 Euro“ soll laut Udo Arndt schon im Herbst starten. Mag die Sorge um den Museumssitz auch ernst sein, die Chance, die Ausstellung in der Fabrik zu einem herausragenden Kulturort zu machen, setzt offensichtlich Energien frei. Die selige Hedwig Bollhagen wird es freuen. Sie lobt in ihren Lebensaufzeichnungen Veltens „keramisches Klima“, dass ihr so gut getan habe. Das müsste den Nachgeborenen doch brennende Verpflichtung sein.

Ofen- und Keramikmuseum/Hedwig Bollhagen Museum, Wilhelmstraße 32/33, Velten, Di–So 11–17 Uhr, www.okmhb.de

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