Berlins Kulturpolitik: Für eine ideologiefreie Kulturpolitik
Warum ein linker Kultursenator wie Klaus Lederer Berlin schaden würde und Kultur mit der SPD bisher gut gefahren ist. Ein Gastbeitrag.
In dieser Zeitung erschien kürzlich ein Beitrag des Linken-Vorsitzenden Klaus Lederer, in dem er die Forderung erhob: „Berlin braucht ein eigenständiges Kulturressort“. Nach einem Seitenhieb auf die „kulturelle Nebentätigkeit“ des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller rühmte er den langjährigen Linken-Abgeordneten und Ex-SED-Funktionär Thomas Flierl als „letzten Kultursenator mit Gestaltungsanspruch“. Lederers Beitrag las sich wie eine Initiativbewerbung auf ein noch gar nicht ausgeschriebenes Amt.
Vielleicht reagiert man als Historiker auf Umdeutungen der Geschichte besonders sensibel. Aber ausgerechnet Flierl zum Vorbild der Berliner Kulturpolitik zu erheben, ist, als würde man Erich Honecker zum Vorbild moderner Flüchtlingspolitik erklären. Dass Flierl, der auch beim Wissenschaftsminister-Ranking den letzten Platz in Deutschland einnahm, dem zweiten rot-roten Senat nicht mehr angehörte, hatte handfeste Gründe.
Da war vor allem sein Verhältnis zur DDR, das bei einem Kultursenator in Berlin nicht nur wegen der Geschichte der Stadt von Bedeutung ist. Denn qua Gesetz ist er auch Stiftungsratsvorsitzender der Gedenkstätten Berliner Mauer und Berlin-Hohenschönhausen und Mitglied weiterer Aufarbeitungsgremien. Thomas Flierl zeigte gleich mehrfach, wie problematisch es war, einem Linken-Politiker das politisch sensible Feld der Kultur anzuvertrauen.
Thomas Flierl als Vorbild? Er betrieb eine ideologisierte Kulturpolitik
Schon seine Berufung löste bei SED- Opfern große Verunsicherung aus. Zu einem Eklat kam es im Februar 2004, als Flierl mehrere hundert DDR-Professoren ehren wollte, die wegen mangelhafter Befähigung oder früherer Spitzeltätigkeit entlassen worden waren. „Ein letzter Abschied für alte Stasi-Profs“ titelte damals die „taz“, und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit verbot ihm am Ende, das Rote Rathaus dafür zu nutzen.
Auf massive Kritik stieß auch Flierls Agieren bei der Berliner Opernstiftung. Sein Wunschkandidat Michael Schindhelm wurde Generaldirektor, obwohl der als „Inoffizieller Mitarbeiter“ der Stasi geführt worden war. Die Grünen-Politikerin Alice Ströver empörte sich damals, der Posten sei „doch nicht irgendein Laufbursche“ und die kulturpolitische Sprecherin der SPD, Brigitte Lange, forderte ihren Koalitionspartner gar auf, das Auswahlverfahren neu aufzurollen. Weil Schindhelm kein solides Finanzkonzept vorlegte, wurde er von Wowereit öffentlich abgekanzelt und legte bald darauf sein Amt nieder.
Eine ideologisierte Kulturpolitik betrieb Flierl auch im Fall des Maxim-Gorki-Theaters, dessen Verwaltung er mit der des Deutschen Theaters zusammenlegen wollte. Dem Intendanten Volker Hesse warf er vor, dem Ost-Erbe des Hauses nicht verständnisvoll genug gegenüberzutreten. Der Senator monierte Hesse zufolge zum Beispiel, dass die DDR in einem Zyklus zum Thema Glauben abgehandelt wurde und dass in einem Stück über den Berliner Bankenskandal „die Revolution zerbrösele“. Finanzielle Zusagen wollte Flierl Hesse keine machen, sodass dieser von „liebevoller Zensur“ sprach und auf eine Vertragsverlängerung verzichtete.
Endgültig ins Aus beförderte sich Flierl, als er schweigend zusah, wie bei einer Bürgeranhörung in Hohenschönhausen rund 200 ehemalige Stasi-Mitarbeiter ihre Opfer verhöhnten. Bei dem sogenannten Stasi-Eklat, dem in Flierls Wikipedia-Eintrag ein ganzer Absatz gewidmet ist, hatte unter anderem der frühere Chef des Stasi-Gefängnisses wortreich seine Taten gerechtfertigt. Der Präsident des Abgeordnetenhauses, Walter Momper, lud daraufhin die ehemaligen Häftlinge demonstrativ ein, im Plenarsaal von ihren Erlebnissen zu berichten, und versicherte, man werde der rosaroten DDR-Nostalgie entgegentreten, wo immer sie die Gewaltherrschaft verklären wolle.
Unter Flierl schrumpfte der Kulturetat, bei Wowereit und Müller stieg er
Das alles ist inzwischen Geschichte. Es zeigt aber, dass die Besetzung des Amtes des Kultursenators in Berlin wohlüberlegt sein will. Erst nachdem die Sozialdemokraten Klaus Wowereit und Michael Müller das Amt übernahmen und Kulturprofis als Staatssekretäre einsetzten, spielte die politische Gesinnung in der Berliner Kultur keine Rolle mehr. Was Lederer euphemistisch als „Gestaltungsanspruch“ bezeichnet, war in Wahrheit ein Ideologie- und Machtanspruch.
Und noch etwas sollte einen stutzig machen: In den Ausführungen Lederers finden die historischen Erinnerungsorte Berlins keinerlei Erwähnung – obwohl gerade seine Partei, die die SED-Diktatur installiert hat und bis heute in ihrem Parteiprogramm verklärt, besonderen Grund dazu hätte. Offenbar hat die Auseinandersetzung mit den beiden Diktaturen des 20. Jahrhunderts für den Linken-Chef keine große Bedeutung, obwohl sie derzeit notwendiger denn je zu sein scheint.
Für eine zeitgemäße Berliner Kulturpolitik ist das auch deshalb erstaunlich, weil die Besucherzahlen der Gedenkstätten weit über denen der Theater liegen. Auch bei den Touristen stehen die Schauplätze der Geschichte an erster Stelle. Die von der Linken gefeierte Volksbühne unter Frank Castorf nimmt dagegen selbst unter den Bühnen nur einen hinteren Platz ein und das von Flierl geschaffene HAU mit den drei Spielstätten hat gerade einmal 50 000 Besucher pro Jahr.
Immerhin ist Lederers Forderung nach einem eigenen Kultursenator für Berlin – er selbst blieb den Sitzungen des Kulturausschusses meist fern – von verschiedenen Seiten positiv aufgegriffen worden. Doch was dem unbefangenen Beobachter auf den ersten Blick einleuchtend erscheinen mag, ist für die Berliner Kultur nicht von Vorteil gewesen. Während unter Flierl der Kulturhaushalt durch Lohnsenkungen und Zusammenlegungen zusammengestrichen wurde, ist er unter Wowereit und Müller massiv gewachsen. Allein im Doppelhaushalt 2016/2017 steigen die Zuwendungen um mehr als 17 Prozent. Ein Regierungschef muss bei seinem Finanzsenator eben nicht um Geld betteln. Und Kultur gedeiht nun mal am besten, wenn man sie vernünftig ausstattet - und ihr ansonsten keine Vorgaben macht.
Als Leiter einer Einrichtung, die wegen Überfüllung jedes Jahr rund 50 000 Besucher abweisen muss, kann ich gleichsam am eigenen Leib nachvollziehen, wie segensreich die Zuordnung der Kultur zum Berliner Regierungschef war. Während der Zuschuss des Landes Berlin jahrelang bei einer halben Million Euro stagnierte, stieg er in den letzten acht Jahren auf 1,2 Millionen Euro an. Auch die Bundesmittel wuchsen mit, weil ein Regierender Bürgermeister bei Verhandlungen mit der Bundesregierung eben mehr Gewicht hat als ein Senator. Einmischungen in die inhaltliche Arbeit hat es zu keinem Zeitpunkt gegeben. Kurzum: Die ideologiefreie Kulturpolitik der letzten Jahre hat sich im wahrsten Sinne des Wortes ausgezahlt.
Hubertus Knabe ist Historiker und Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen.
Hubertus Knabe
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität