Lola-Anwärter im Gespräch: Für das produktive Chaos
Sie treten beim Deutschen Filmpreis an, der Freitag verliehen wird: ein Gespräch mit Emily Atef, Valeska Grisebach und Robert Schwentke über den Kick beim Drehen und Respekt am Set.
Sechs Filme sind für die Lola in Gold nominiert. Die Gala zum 68. Deutschen Filmpreis findet am Freitag im Berliner Palais am Funkturm statt. Emily Atef, Jahrgang 1973, wurde in zehn Kategorien nominiert, für "3 Tage in Quiberon". Der Romy-Schneider-Film mit Marie Bäumer ist damit der Favorit 2018. Valeska Grisebach, Jahrgang 1968, wurde mit "Western" 2017 in Cannes gefeiert. Ihr mit Laiendarstellern realisiertes Drama über deutsche Bauarbeiter auf Montage in Bulgarien konkurriert ebenfalls um die Lola. Robert Schwentke, Jahrgang 1968, drehte in Hollywood Genrefilme wie „Flightplan“ mit Jodie Foster. Er ist mit seinem Schwarz-Weiß-Kriegsdrama "Der Hauptmann" dabei. Die Lolas in Gold, Silber und Bronze sind insgesamt mit rund 3 Millionen Euro dotiert. Für den Hauptpreis sind außerdem "Aus dem Nichts" von Fath Akin, "Das schweigende Klassenzimmer" von Lars Kraume und "In den Gängen" von Thomas Stuber nominiert. Die Gala ist in der ARD zu sehen, 27.4. um 22 Uhr.
Frau Atef, Sie haben in Frankreich und den USA gelebt, an der DFFB studiert und vor Ihrem neuen Film viel fürs Fernsehen gearbeitet. Frau Grisebach, zwischen „Western“ und Ihrem letzten Film „Sehnsucht“ liegen elf Jahre. Und Sie, Herr Schwentke, sind nach zwölf Jahren Hollywood hierher zurückgekehrt. Empfinden Sie sich als Außenseiter im deutschen Film?
EMILY ATEF: Ich fühle mich so wenig deutsch, wie ich mich französisch oder iranisch fühle. Ich hab nirgendwo länger als sieben Jahre gelebt, am ehesten fühle ich mich vielleicht als Europäerin. Die meisten meiner Filme sind zwar in Deutschland entstanden, aber mein Debüt spielte in Polen mit einer irischen Hauptdarstellerin. „3 Tage in Quiberon“ wurde in Frankreich mit deutschen Darstellern gedreht, und der nächste Film ist mein erster französischer, mit französischen Schauspielern und größtenteils in Norwegen gedreht. Aber wenn in Cannes ein deutscher Film läuft, fiebere ich mit.
VALESKA GRISEBACH: Ich fühle mich nicht als Außenseiterin. Ich arbeite gerne intensiv an einem Film und gewinne dann genauso gerne wieder etwas Abstand. Ich unterrichte, habe eine Tochter bekommen – und dann ist das Leben ohne Film auch sehr spannend.
ROBERT SCHWENTKE: Ich habe meine Homebase hier nie aufgegeben. Frieder Schlaich und Irene von Alberti, die „Der Hauptmann“ produzierten, kenne ich seit 30 Jahren. Mir war klar, dass ich irgendwann wieder hier arbeiten werde. Es gibt nichts Besseres, als in Los Angeles zu leben, um festzustellen, wie europäisch man ist. Ich kam nach dem Studium dorthin, es war ein Kulturschock: zwischenmenschlich, politisch – und weil es keinen guten Kaffee gibt. Nach meinen beiden ersten deutschen Filmen „Tattoo“ und „Eierdiebe“, ging ich dann wieder in die USA, weil ich den dritten Film hier nicht finanziert bekam. Es ist in Deutschland leichter, seine ersten Filme zu machen als den dritten. Weil keine Talente gefördert werden. Dabei gibt es die Filmförderung, damit nicht nur der Markt entscheidet.
GRISEBACH: Der Gedanke, Biografien zu fördern, ist im deutschen Förderwesen nicht sehr präsent. Es scheint, als gebe es einen Heißhunger auf Frischfleisch, auf den Nachwuchs. Aber ich will mich nicht beklagen. Die Zeit fürs Recherchieren und das Drehbuch, das ist eine Phase, die ich ganz besonders mag. Wir mussten den Dreh nur leider um ein Jahr verschieben, weil uns kurzfristig eine Förderung weggebrochen ist. Das war ein etwas bitterer Moment, acht Wochen vor Drehbeginn auf die bulgarischen Dörfer zu fahren und zu sagen, wir kommen in einem Jahr wieder.
ATEF: Ich fühle mich am Besten, wenn ich drehe. Ich konnte mal viereinhalb Jahre kein Projekt realisieren, auch nicht im Fernsehen. Es war frustrierend. Es hieß immer nur: Interessante Filme, aber die machen keine Quote. Dabei lief mein zweiter Film „Das Fremde in mir“ 2008 in Cannes. Mittlerweile hab ich das Gefühl, dass der Bedarf an Kino-Regisseuren in den Fernsehredaktionen gestiegen ist.
Im deutschen Kino fehlte lange der Mittelbau zwischen Arthouse und Kommerz. Das scheint sich gerade zu ändern. Was ist denn für Sie der Kick zu sagen, diese Geschichte ist mir ein paar Lebensjahre wert?
GRISEBACH: Bei mir ist es fast eine physische Reaktion, ein Thema, bei dem ich Herzklopfen bekomme. Am Anfang steht weniger eine Geschichte als eine Fragestellung.
SCHWENTKE: Niemand verbringt zwei Jahre seines Lebens mit etwas, das einen nicht persönlich berührt. Ich mache da keinen Unterschied zwischen „Der Hauptmann“ und meinen Hollywoodfilmen. „Die Frau des Zeitreisenden“ war genauso ein Film über meinen Krebs wie „Eierdiebe“. Es gibt hier diese binäre Vorstellung: Man ist Autorenfilmer oder Kommerz-Regisseur. Daran glaube ich nicht.
ATEF: Die Figuren müssen mich berühren, man lebt ja eine Weile mit ihnen. Sobald ich in ein Projekt richtig eintauche, entsteht dieser innere Drive. Diese Intensität muss man immer wieder herstellen, deshalb finde ich die Phase der Vorproduktion oft anstrengend. Mir persönlich ist das Drehen und die Postproduktion lieber.
SCHWENTKE: Bei mir läuft das eher saisonal ab. Wenn ich schreibe, freue ich mich auf die Vorproduktion, während der Vorproduktion will ich eigentlich drehen, und wenn ich drehe, will ich lieber wieder schreiben.
Im Zuge von MeToo wird viel über Arbeitsbedingungen diskutiert, am Set sind Beruf und Privatleben schwer zu trennen. Wie gehen Sie mit Ihrer Verantwortung um?
SCHWENTKE: Ich arbeite seit Jahren mit denselben Leuten; meinen Kameramann Florian Ballhaus kenne ich fast so lange wie meine Frau. Diese Vertrautheit hilft sehr. Ich sehe es in meiner Verantwortung, den Schauspielern Sicherheit zu geben. Sie sollen sich aufgehoben fühlen, damit sie sich ausprobieren und auch Fehler machen können. Ich achte sehr darauf, dass alle höflich sind zueinander, gute Umgangsformen sind mir extrem wichtig. Das geht schon beim Casting los.
GRISEBACH: Filmemachen besitzt eine enorme Intimität. Da möchte ich nicht mit jemanden arbeiten, der in seinem Job vielleicht super ist, mit dem ich aber persönlich nicht klar komme. Mir geht es um so etwas wie positiven Kontrollverlust. Ich empfinde es als fruchtbar, eine fiktive Erzählung immer wieder mit der Wirklichkeit zu konfrontieren, als Sparringspartner der Phantasie. Beim Dreh in Bulgarien wusste ich: Ich bin hier in einem fremden Land mit einem großen Ensemble und Darstellern, die keine professionellen Schauspieler sind. Einerseits will das alles gut geplant sein, andererseits irritiert mich zu viel Kontrolle, und ich versuche, wieder ein bisschen produktives Chaos zu stiften.Das ist manchmal abenteuerlich und verunsichernd, man braucht Verbündete.
SCHWENTKE: Das Technische muss sitzen, der Rahmen, die Box. Damit man innerhalb der Box flexibel ist, vor allem bei der Arbeit mit Schauspielern. Das ist immer mein Lackmustest: Wenn ich abends vom Drehort nach Hause fahre, überlege ich, ob mich an dem Tag jemand überrascht hat. Wenn nicht, fehlte an dem Tag das Gewitterflirren.
ATEF: Marie Bäumer hatte große Angst, Romy Schneider zu spielen. Sie war extrem zerbrechlich, da wollte ich wirklich die Mutter sein. Und ich hatte ja ein Quartett, auch die anderen drei brauchten Aufmerksamkeit und Fürsorge.
"Die Macht des Fernsehens stört"
Immer Harmonie, Sie rasten nie mal aus?
SCHWENTKE: Sehr selten. Auf einem Set in Kanada haben mal drei Departements ihre Arbeit nicht gemacht. Alles, was wir an dem Tag brauchten, war nicht da. Da verlor ich die Fassung. Seitdem ist mir nur noch einmal der Kragen geplatzt.
Sie sind trotzdem offenbar alle mütterliche Typen am Set. Was sagen Sie denn zur MeToo-Debatte, zum Thema Machtstrukturen in der Filmbranche?
ATEF: Die antiquierte Vorstellung, dass nur Männer Chefs sein und ein großes Filmset dirigieren können, hat sich allmählich gelegt. Ich hab’s persönlich nur einmal erlebt, dass eine Redakteurin vom öffentlichen-rechtlichen Fernsehen meinen Produzenten bei der Vorstellung eines Projekts von mir und meine Ko-Autorin Esther Bernstorff mit der Bemerkung abspeiste, sie arbeite nicht mit Frauen. Wir hatten da schon zwei Filme gemacht, einer lief wie gesagt in Cannes. Es ist acht Jahre her, damals dachte ich nur: Bitch. Aber mehr habe ich mich nicht aufgeregt, fast so als wäre das normal. Das ist Problem. Ich denke, dass es heute nicht mehr so einfach geht. Es ist einfach so ignorant und perfide, wie wenn jemand sagt, du hast blaue Augen, deshalb arbeite ich nicht mit dir. Ich wünsche mir, dass meine Tochter niemals nach ihrem Geschlecht in der Arbeitswelt beurteilt wird, wenn sie erwachsen ist. sondern nach ihren Fähigkeiten und ihrem Talent! Missbrauch gibt es in jedem Beruf mit Macht.
GRISEBACH: Neulich druckte die „Süddeutsche“ drei Seiten mit Erlebnissen von Frauen aus unterschiedlichsten Berufen, Krankenschwestern, Taxifahrerinnen, kleine, alltägliche Situationen. Übergriffe, Machtmissbrauch, es ist omnipräsent. Oft sind es Kleinigkeiten, die man Neopren-artig an sich abperlen lässt. Man nimmt es nicht ernst, aber es schafft Realitäten und erzählt etwas über unsere Gesellschaft.
Vier von sechs der für den Hauptpreis nominierten Filme basieren auf wahren Begebenheiten. Warum hat das Konjunktur?
SCHWENTKE: Den „Hauptmann“ hätte ich mir nicht ausdenken können …
… die Geschichte eines 19-jährigen Gefreiten, der sich gegen Kriegsende eine Offiziers-Uniform überstreift und zum Massenmörder wird.
SCHWENTKE: Es ist ein Stoff, der fast außerhalb meiner Vorstellungskraft liegt, deshalb reibe ich mich an ihm. Irgendwann merkte ich auch, dass die Frage „Warum tut der das?“ die falsche Frage ist.
GRISEBACH: Er tut es.
SCHWENTKE: Und wir sehen zu, wie er verroht. Psychologische Vereinfachung kommt dem nicht bei. Der gute Nazi, der geläuterte Täter, das sind Plots aus dem Regelbuch des deutschen Geschichtsfilms. Genau das wollte ich nicht. Historische Filme schaffen oft Abstand zwischen heute und damals, indem sie eine geschlossene Welt konstruieren. Wir wollten einen Hybrid-Film, der deutlich zeigt: Wir gucken mit heutigen Brillen zurück, haben beim Erzählen die heutige Welt im Sinn. Warum einen Film über den Faschismus machen, wenn er mit uns nichts zu tun hat?
ATEF: „3 Tage in Quiberon“ ist mein erster Kinofilm, der auf einer wahren Geschichte basiert. Ich empfand vor allem große Verantwortung gegenüber den noch lebenden Protagonisten, also gegenüber Michael Jürgs, der als Journalist der Antagonist von Romy Schneider ist. Er hat sich, denke ich, einerseits gefreut, dass er „verewigt“ wird, aber dann wurde er beschimpft als „Rambo, der Romy fertig macht“. Es war interessant: Statt den Film zum Anlass für selbstkritische Überlegungen zu nehmen, richtete die Presse ihren Hass auf Michael Jürgs.
Film ist nicht Realismus, auch nicht Märchen. Was ist es dann?
GRISEBACH: Es ist eine Möglichkeit, mit der Wirklichkeit in Kontakt zu treten. Man kann die Wirklichkeit in großer Künstlichkeit erzählen und sie dennoch berühren.
SCHWENTKE: Ein Film braucht Leerstellen, damit er nachwirken kann. Es ist doch schrecklich, wenn ich aus dem Kino nach Hause komme und die Bilder schon wieder vergessen habe. Es sollte eine kognitive Dissonanz entstehen, vielleicht sogar etwas, wogegen ich mich wehre.
Was fehlt Ihnen am deutschen Film?
ATEF: Mich stört die Macht des Fernsehens, die Verbandelung zwischen Kino und Fernsehen. Ich habe keine Lust, dass die Kinoförderung mir bei einer TV-Produktion reinredet. Umgekehrt will ich auch nicht, dass die Förderanstalten immer gleich nach der Senderbeteiligung fragen. Da liegt Deutschland im europäischen Vergleich weit hinter Frankreich, Österreich oder den skandinavischen Ländern zurück. Dort gibt es überall fernsehunabhängige Kinofilmförderung.
SCHWENTKE: Beim „Hauptmann“ gab es eine Zusage-Schreiben mit einer konkreten Summe, aber wir haben das Geld nie bekommen und auch keine schriftliche Absage erhalten. Wenn wir anriefen, ließ die Arte-Redaktion sich verleugnen. Der MDM, die Mitteldeutsche Medienförderung, ließ sich dann darauf ein, ohne Senderbeteiligung zu fördern.
GRISEBACH: Die Entkoppelung von Fernsehen und Kino ist wirklich wichtig. Im Lauf der Jahre ist da etwas aus der Balance geraten, es gibt fast schon ein Machtmonopol der Sender. Edgar Reitz sagte kürzlich, da müssten vor allem wir Jüngeren ran. Wenn eine Generation etwas ändern will, dann schafft sie das.
Seine Generation hat es bewiesen, indem sie mit dem Oberhausener Manifest die Filmförderung erkämpft hat.
GRISEBACH: Ja, wenn ich mir die Filme der 60er, 70er Jahre ansehe, verbirgt sich darin eine echte Aufforderung, mutiger zu sein in der Frage, was heute zeitgenössisches, modernes Kino ist.
SCHWENTKE: Man zensiert sich selbst, passt sich an. Aber es geht auch anders, wie ich seit dem „Hauptmann“ wieder weiß. Ich komme lieber mit weniger Geld aus und habe dafür einen weniger, der mitreden will.
GRISEBACH: Neulich sprach ich mit einem älteren Produzenten, der mit Godard, Manoel de Oliveira und anderen großen Regisseuren gearbeitet hat. Er sagte, unter den heutigen Bedingungen kämen deren Filme gar nicht mehr zustande. Es geht schon damit los, dass alle fertige, ständig überarbeitete Drehbücher sehen wollen. Alles dreht sich ums Drehbuch. Er nannte es die Script-Mafia.
SCHWENTKE: Wir müssen Geschichten wieder anders erzählen können. William Wyler hat gesagt, es ist 25 Prozent Drehbuch, 25 Prozent Casting, 25 Prozent Regie und 25 Prozent, von denen keiner weiß, was es ist.
ATEF: Ob es funkt, kann man nicht berechnen. Für Magie gibt es kein Rezept.
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