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Cowboy ohne Hut. Meinhard (Meinhard Neumann), ein deutscher Bauarbeiter auf Montage auf der bulgarisch-griechischen Grenze. "Western" feierte Weltpremiere in Cannes und kommt am Donnerstag in die Kinos.
© Komplizen Film

Regisseurin Valeska Grisebach im Porträt: Tanz in der Nacht

Valeska Grisebach hat einen „Western“ gedreht, im fernen Osten Europas. Über Männer, Fremdenfeindlichkeit und den Mythos des Genres. Eine Begegnung mit der Berliner Filmemacherin.

Da sitzt einer auf der Veranda, hagere Gestalt, undurchdringlicher Blick, typisches Western-Gesicht. Er ist auf einem Schimmel hergeritten, ohne Sattel, ziemlich ungelenk. Das Pferd hatte auf der Wiese gestanden, es gehört Onkel Adrian, sagen die Jungs aus der Gegend. Der Reiter heißt Meinhard (Meinhard Neumann), ein Deutscher auf Montage an der bulgarisch-griechischen Grenze, er will mal gucken, was so los ist im Dorf. Mit den Kollegen baut er ein Wasserkraftwerk am Fluss, sie sind mit schweren Baumaschinen angerückt, mit Geld und Knowhow, sie leben im Camp am Fluss, verstehen die Sprache nicht, sind fremd hier. Die Frau in der Kneipe will Meinhard keine Zigaretten verkaufen, und seine Kumpel wollen erst mal gar nicht ins Dorf.

Die Berliner Filmemacherin Valeska Grisebach hat einen Western gedreht, im fernen Osten Europas. Bei der Premiere in Cannes wurde sie gefeiert, ein bisschen wie Maren Ade mit „Toni Erdmann“ im Vorjahr, nur in der Reihe „Un certain regard“. Ades Berliner Firma Komplizen Film hat „Western“ produziert, viele sagen, er hätte in den Wettbewerb gehört. Am Donnerstag startet er in den deutschen Kinos.

Grisebachs letzter Film, das Melodram „Sehnsucht“ von 2006, spielte in einem Dorf in Brandenburg. Und jetzt das Dorf Petrelik im hintersten Bulgarien. Lässt sich die Wahrheit über uns Menschen eher in der Provinz finden, an der Peripherie? Wir sitzen in der Sonne, vor einem Café in der Auguststraße, Valeska Grisebach dreht langsame Filme und redet schnell, sie sagt, dass sie ihre Filme gern auf einer zeitgenössischen Bühne ansiedelt, dabei aber das Zeitlose sucht, einen überhöhten, leicht märchenhaften Raum. Dass sie nicht auf Milieustudien aus ist, ihr aber am Naturalismus liegt, einem, der künstlich hergestellt ist. Und dass sie die Einheit von Zeit und Ort mag, die sich in der Großstadt nur schwer realisieren lässt.

Am Anfang ihrer Filme steht immer eine Frage. Bei „Mein Stern“ 2001 fragte sie Jugendliche nach ihren Träumen, bei „Sehnsucht“ wollte sie wissen, was aus den Träumen geworden ist, wenn man 40 ist. Diesmal ist es die Frage nach dem Western, nach dem Fremden. „Ich bin zwar 1968 geboren, aber bei meinen Großeltern gab es noch dieses 50er-Jahre-Fernsehzimmer, in dem wir Hans-Rosenthal-Shows mit Schnittchen vor dem Kasten geguckt haben“. Sie hat viel gesehen damals, die Melodramen mit Ingrid Bergman, „Doktor Schiwago“, Filme mit Shirley Temple, mit dem Hosenrollen-Star Lilian Harvey. Besonders beeindruckend fand sie die Western.

Ein genauer Blick hinter die Insignien und Spielregeln der Männerwelt

Später dachte sie viel darüber nach, wieso eigentlich. „Es war eine doppelte Faszination. Einerseits identifizierte ich mich mit diesen Helden, die in den Sonnenuntergang reiten, gleichzeitig war ich in sie verschossen.“ Die Frauen, die ihnen auf der Türschwelle hinterherwinken, interessierten sie weniger. Nicht dass sie den Western neu erfinden will, Grisebach nennt es einen Tanz mit dem Genre. Vor allem will sie den Helden näherkommen, ohne sie zu sezieren.

Die Insignien der Männlichkeit, die Werkzeuge, die am Gürtel baumeln. Die Accessoires der Einsamkeit, die gleichzeitige An- und Abwesenheit der Frauen. Die Spielregeln der geschlossenen Männerwelt auf Montage, die Duelle, die sie austragen, die Intimität und Zärtlichkeit unter ihnen – all dem kommt man in „Western“ tatsächlich sehr nahe. Und dieser Bürde, die ihnen eigen ist, sagt Grisebach, „weil sie ihre Gefühle nicht zeigen, gleichzeitig aber viel Gefühl dahinter ist, auch Angst wie die vor Gesichtsverlust“.

Meinhard und seine Kollegen sprechen ihre je eigenen Dialekte in der fast mythischen, wilden Westernlandschaft dieser abgelegenen bulgarischen Gegend. Sie sagen „Spacko“ und „geile Scheiße“ und „Halt die Backen“, man versteht sie nicht immer. Sie werden von Laien dargestellt; die Prosa auf dem Bau hätte sie sich niemals ausdenken können, so Grisebach. Die Arbeiter pflanzen die deutsche Fahne auf, sie betätigen die Baumaschinen mit souveränen Handgriffen, dafür haben Grisebach und ihr Kameramann Bernhard Keller einen genauen Blick. Für die Hände, die Körper, das Ikonische.

„Western“ lebt von einer melancholischen Schönheit

Redet schnell, dreht langsame Filme. Regisseurin Valeska Grisebach, 49.
Redet schnell, dreht langsame Filme. Regisseurin Valeska Grisebach, 49.
© Iris Janke

Meinhard Neumann hat Grisebach auf dem Pferdemarkt in Havelberg gesehen, an einem Trödelstand. Sie hatte nach diesem Pin-Up-Moment gesucht, nach Cowboys Ausschau gehalten - aber bitte ohne Cowboyhut. Sie sprach ihn an, sie spricht Leute auch sonst auf der Straße an, tauscht Nummern, verabredet sich. Später gab es Castings, auch da hat das Stichwort „Western“ Türen geöffnet. Reinhardt Wetrek, Meinhards Gegenspieler Vincent, kam zum Casting, weil er seiner Tochter zeigen wollte, dass man sich was trauen kann. Ein stattlicher Mann, durch den ein Beben ging.

Vincent nimmt anders zu den Dorfbewohnern Kontakt auf als Meinhard. Als ein paar junge Frauen zum Baden an den Fluss kommen, nimmt er einer den Sonnenhut weg, spielt Machtspielchen mit ihr, markiert den Macho. Das Thema Fremdenfeindlichkeit, meint Grisebach, kann sie besser erzählen, indem sie Deutsche ins Ausland schickt. Wegen der doppelten Fremdheit, die das Überlegenheitsgefühl zum Vorschein bringt, aber auch die Unsicherheit, die Vincent in der Szene am Fluss überspielt.

„Drehen ist laut Denken, eine intime Situation“

„Der Western stellt die Frage, wie konstituiert sich eine Gesellschaft? Über Empathie, über das Recht des Stärkeren, über Einfühlungsvermögen?“, erklärt die Regisseurin. Was geschieht, wenn ich dem Anderen, dem Fremden, der dort lebt, wo ich neu hinkomme, erstmals begegne, „fange ich mit einem aggressiven Flirt an – oder setze ich mich hin und schaue mich um?“

Es gibt viele Duelle in diesem Film, knappe Dialoge, falsche Bewegungen, Nachtgestalten, wortlosen Schlagabtausch, auch mit den Fäusten. Die Männer reden über das Leben, die Freiheit, den Krieg – Meinhard war mal Legionär. Die zahnlose bulgarische Alte gibt ihm ihren Segen beim Essen mit der Großfamilie. Eine Verbrüderung findet statt, man kommt ins Gespräch und ins Geschäft, Abzocker sind unterwegs – und Meinhard ist keineswegs nur der coole Fremde-Welten-Versteher, wie sich herausstellt. Im Camp sitzen die Männer am Feuer, telefonieren bei schlechtem Empfang, der Rücken des Schimmels schimmert in der Nacht. Das Wasser ist knapp, die Baustelle braucht welches, man könnte den Hebel oben am Berg umlegen, dann sitzt das Dorf auf dem Trockenen: noch ein Duell.

Immer wieder verdichtet Valeska Grisebach unscheinbare dokumentarische Momente zu Chiffren über Arbeit, über Männer, Fremdheit, Verständigung und ihre Grenzen. „Drehen ist laut Denken, eine intime Situation“, sagt die Regisseurin – und dass der Film im Schneideraum zusammen mit Editorin Bettina Böhler noch einmal neu entstand. „Western“ lebt von der diskreten Präzision, mit der die Figuren und Begegnungen auf ihre Ambivalenzen hin abgetastet werden, von einer melancholischen, verhaltenen Schönheit.

Gelassene Bilder, lange Recherchen

Das Dorf gefiel der Crew, weil es kein Straßendorf ist, sondern einen Platz in der Mitte hat, an dem auch mal Stühle und Bänke rausgestellt werden, eine kleine Agora. Hier können die Dinge ausgetragen werden, in Ruhe oder mit Gewalt. Griechenland ist nicht weit, dieses von Europa im Stich gelassene oder – je nach Sichtweise – gerettete Land. Den Bulgaren hier geht es besser, weil sie auf der anderen Seite der Grenze etwas mehr verdienen können und weil umgekehrt griechische Firmen in bulgarischen Textilfabriken produzieren, das schafft Arbeitsplätze. Die Krise schwingt mit, ohne dass explizit von ihr erzählt würde. Jeder muss gucken, wie er über die Runden kommt, und aus Griechenland weht ein warmer Wind herüber. Auch das gefiel der Crew, auch das färbt die Bilder.

Valeska Grisebach ist 49, sie hat erst drei Filme gedreht. Weil sie sich Zeit lässt, weil sie gründlich recherchiert, sich Youtube-Filme von Männern auf Montage anguckt oder wissen will, wie West-Firmen mit EU-Geldern in Osteuropa investieren. Weil sie Mutter wurde, weil sie an der DFFB unterrichtet, „weil das Leben auch so ganz schön ist.“ Sie sei manchmal eine Trödelliese. Die konzentrierte Gelassenheit ihrer Bilder ist anders nicht denkbar.

Sie ist für eine Frauenquote

Wobei sie inzwischen Lust hat auf ein höheres Tempo und nicht zuletzt deshalb mit der Quote sympathisiert. Trotz der jüngsten Erfolgssaison der Frauen (Maren Ade, Nicolette Krebitz, Sonja Heiss, Anne Zohra-Berrached ...) hat die Filmbranche „sich als recht konservative Branche erwiesen, deshalb ist die Quote überfällig. Einfach machen, alles andere funktioniert nicht oder geht nur mit Schnarchgeschwindigkeit voran.“

Laien-Darsteller bevorzugt sie übrigens wegen des Kontrollverlusts. Sie verehrt Profi-Schauspieler, interessiert sich aber für den Moment, in dem es knirscht. Wenn Traum und Versagensangst kollidieren, wenn der Realismus nicht aus der Virtuosität der Schauspielkunst heraus entsteht, sondern umgekehrt Material wird. Wie die Hände der Arbeiter, wenn sie zupacken.

Eines Nachts greift sich Vincent den Schimmel, stürzt mit dem Pferd einen Hang hinunter, das Tier wird erst Tage später gefunden. Eine Szene von stiller Wucht. Schuld kommt ins Spiel, Verhängnis, Verschweigen. Auch Meinhard verändert sich. Der große Mann, der geradewegs aus einem Western hereinspaziert sein könnte, trägt doch auch den kleinen Mann in sich. Er hat etwas Verlorenes, etwas Opportunistisches, sagt Grisebach. Zum Showdown tanzt er beim Dorffest, ein stolzer, gebrochener Held. Keine Frau steht in der Tür und wartet auf ihn.

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