zum Hauptinhalt
Metamorphosen. Björk im Video „Mutual Core“ von Regisseur Andrew Thomas Huang.
© Courtesy of Wellhart Ltd & One little indian

Björk im MoMa: Fühle das Pochen meines Herzens

Reise in eine klangvolle Parallelwelt: Die Retrospektive von Björk im New Yorker Museum of Modern Art.

Und dann ist sie endlich da: Björk. Im MoMa in New York, wo am heutigen Sonntag ihre Retrospektive eröffnet. Bei der Vorabpräsentation steht die schmächtige Sängerin vor einem Pulk von Journalisten und trägt ein kaktusähnliches Kostüm, das sowohl Körper als auch Gesicht verdeckt. Auffällig sind vor allem die zwei spitz in den Himmel ragenden Stängel, die den Kopf der Isländerin zieren. Ist das ernst gemeint? Wohl kaum. Die Camouflage ist ein ironisches Gegengewicht zu den vielen Björk-Porträts, den ausgestellten Björk-Puppen, den 3-D-Reproduktionen und diversen Reliquien der Ausstellung. Aber so ist die Sängerin eben – scheu, zart, unterkühlt und zugleich ein unberechenbares Phänomen.

Mehrere Jahre hatte MoMa-Kurator und PS1-Chef Klaus Biesenbach vergeblich darauf hingearbeitet, die Sängerin für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Erst vor der Produktion ihres im Januar erschienenen neunten Albums „Vulnicura“ hat die Überredungskunst Früchte getragen. Die 49-Jährige habe gesagt, so der Kurator der Ausstellung und Gründer der Berliner Kunst-Werke, dass sie nun eine Reife erreicht habe, die eine Retrospektive rechtfertige. Und außerdem gab es ja noch die Trennung von ihrem langjährigen Lebensgefährten Matthew Barney, von der sie auf „Vulnicura“ auf ungewohnt persönliche Weise erzählt.

Zwei Anlässe also, um über die Ereignisse der vergangenen 25 Jahre zu reflektieren. Das MoMa-Mutterschiff in Manhattan wurde für die erste Retrospektive einer Musikerin aufwendig umgebaut. Um zwei Kinoräume und die Sonderausstellungsfläche unterzubringen, wurde im Atrium des Museums eine Maisonnette errichtet: eine Art Björk-Spielkasten gleich neben der Lobby. Ein Museum im Museum, das den Besucher in Björks Gedankenwelten hineinsaugt. Man fühlt sich wie verschluckt.

Und genau so ist es gemeint: Björk Guðmundsdóttir hat Regie geführt und eine Parallelwelt erschaffen, in der die Stimmungen der vergangenen acht Alben und deren Entstehungszeit simuliert werden. So kann man nachvollziehen, wie sich Björk von einer jungen Indie-Künstlerin zu einem reifen, die Genregrenzen des Pop sprengenden Gesamtkunstwerk verwandelte. Ihr sehr visueller, artifizieller Ansatz macht sie – ähnlich wie Kraftwerk, die im MoMa auftraten und ihre Videoinstallationen in München ausstellten – so reizvoll für den Museumskontext.

Acht Stationen zeichnen Björks Karriere nach

Dabei sind die vielen Ausstellungsstücke aus ihrem Künstlerleben gar nicht mal so spektakulär: die klobigen, roten Stiefel von Walter von Beirendonck, das berühmte weiße Schwanenkleid von Marjan Pejoski, das Björk 2001 bei der Oscarverleihung getragen hat, oder die Roboter aus dem Video „All Is Full Of Love“ von 1999. Anregend ist vor allem die Symbiose der verschiedenen Elemente: das Licht, das Arrangement der Installationen, die Sounds und die eigens produzierten Sitzbänke, die zum Takt der Musik vibrieren, und natürlich die Musik selbst. Bevor man die Räume betritt, bekommt man einen Audioguide, der die jeweils passenden Lieder abspielt. Zudem hört man eine Erzählerstimme, die durch poetisch aufgeladene Sätze eine beruhigende Wirkung entfaltet.

Gleichzeitig ist jeder Aspekt dieser Ausstellung mit einer persönlichen Note versehen. Die Erzählungen zu den Audio-Tracks wurden von Björks bester Freundin Margret Vilhjálmsdóttir verfasst, mit der die Sängerin als Jugendliche in einem Second-Hand-Laden gejobbt hat. Die halbfiktive Biografie hat die isländische Poetin Sin geschrieben. Weitere Installationen und Elemente haben ehemalige Produzenten von Musikvideos wie Michel Gondry beigesteuert.

Aufgeteilt ist die Schau in acht Stationen: Sie beginnt chronologisch beim ersten Album mit dem Titel „Debut“ von 1993 und endet beim aktuellen „Vulnicura“. In jedem Raum sind Gegenstände aus den jeweiligen Produktionsjahren ausgestellt: etwa ein eigens für Björk gebautes elektrisches Zupfinstrument – die sogenannte Gravity Harp von Andrew Cavatorta, aber auch Zeugnisse aus Björks Kindheit wie Tagebuchseiten, Fotos und Aufzeichnungen aus dem Jugendalter und Skizzen für englische Songs. Das ist durchaus sehenswert und entzieht sich dem reinen Kultwahn: Björks vom Zahn der Zeit angefressenen Notizzettel und die halb krakelig, halb kontrolliert verfassten Handschriften passen zu dem sensiblen Inhalt der Songtexte.

Durch die Symbiose aus Musik, Erzählung und Objektschau gelingt es der Ausstellung, den Besucher tief in Björks Kosmos hineinzuziehen – in jene Mischung aus Weltabgewandtheit und kosmischer Umarmung. Sobald man den Raum wechselt, spult der Audioguide das nächste Kapitel ab – genauso funktionierte es auch bei der aus London übernommenen David-Bowie-Ausstellung, die letztes Jahr im Gropiusbau zu sehen war.

Das Video zu "Black Lake" entstand extra für die MoMa-Ausstellung

Metamorphosen. Björk im Video „Mutual Core“ von Regisseur Andrew Thomas Huang.
Metamorphosen. Björk im Video „Mutual Core“ von Regisseur Andrew Thomas Huang.
© Courtesy of Wellhart Ltd & One little indian

Das MoMa nennt das die Zukunft des Museumsbesuchs, und da ist auch was dran. Man ist immer zwischen Menschenmassen, fühlt sich aber durch die Intensität der Klänge wie in einen anderen Zustand versetzt: als schwebte man durch den Raum. Mitunter wirkt das Zusammenspiel von Text, Musik und den blinkenden Ausstellungsstücken aber auch überfordernd – eine Reizüberflutung entsteht. Die Kopfhörer abzunehmen ist allerdings keine Lösung. Die Musik ist zentral für die Ausstellung, schließlich ist sie der Kern der Kunst, um die es hier geht. Und weil man sie nicht an die Wand hängen kann, braucht es eben die Audioguides. Ohne die Begleitung der Songs wirkt eine originale Daunenjacke von Björk, die einer Plastikpuppe übergestülpt wurde, eben nicht wie eine spirituelle Offenbarung, sondern nur wie eine Daunenjacke, die von einer Puppe getragen wird. Der Rat lautet also: Kopfhörer anlassen. Man darf die Ausstellung nicht in ihre Einzelteile zerlegen, sonst verpufft der Effekt.

Für Björk ist ohnehin nicht die Ausstellung selbst das Herzstück der Retrospektive, sondern der Kinoraum, der sich ein Stockwerk tiefer befindet. Hier wird der Kurzfilm „Black Lake“, das Musikvideo zu einem zehnminütigen Song vom neuen Album gezeigt. Und dieses Video hat es in sich! Björk hat den Kurzfilm – mit Unterstützung von Klaus Biesenbach, der von dem kältesten Sommer seines Lebens berichtet – 2014 auf Island gedreht. Nachdem man den licht- und tongeschützten Raum betritt, erscheinen auf zwei parallelen Leinwänden Videosequenzen, die Björk aus verschiedenen Perspektiven zeigen. Dadurch entsteht ein dreidimensionales, unfassbar ergreifendes Raumgefühl.

In diesem Video verschmilzt Björk ganz mit der spröden Natur Islands: Sie isst Vulkanasche, schlängelt sich über den kalten isländischen Boden und besingt die kalt leuchtende Sonne und die Verlustgefühle nach ihrer Trennung. „Wir wollten unserer Familie treu sein. Das war unsere heilige Mission – du hast sie aufgegeben“, heißt es im Video. „Habe ich dich zu sehr geliebt?“ Es geht um Verlust, aber auch um Auferstehung und Neuanfang. Zusätzlich fühlt man eine Art Pochen. Die Vibrationen kommen aus 43 Lautsprechern und sechs Subwoofern, welche die Bass-Stöße des Songs dermaßen kraftvoll durch den Raum schicken, dass es sich anfühlt, als zerschellten Geschosse am eigenen Körper. „Es soll sich wie das Pulsieren des Herzens anfühlen“, sagt die Sängerin. Und jetzt ist es tatsächlich da: Dieses Gefühl der Verschmelzung – wie nicht von dieser Welt.

Museum of Modern Art, New York, bis 7. Juni

Zur Startseite