David Bowie und der Martin-Gropius-Bau: Die spektakuläre Schau des Pop-Chamäleons
In Berlin kam David Bowie von den Drogen los und fand die Inspiration für seine Alben "Low", "Heroes" und "Lodger". Jetzt zeigt der Martin-Gropius-Bau eine großartige Ausstellung über das Phänomen Bowie - viel Stardust inklusive.
David Bowie ist nicht zu fassen. Kein anderer Popstar beherrscht die Kunst des Verschwindens so sehr wie der Mann, der vor 67 Jahren als David Robert Jones in London geboren wurde. Im Lauf seiner fünfzigjährigen Karriere hat er immer neue Charaktere erfunden, von Major Tom und Ziggy Stardust über Aladdin Sane und Halloween Jack bis zum Thin White Duke, mit denen er in seinen Songs und auf der Bühne verschmolz. Gegen die von der Rockkultur gerne fetischisierte Authentizität setzte er eine Lust an der Kostümierung und am Rollenspiel, die sein Werk so einzigartig macht. „Musik ist die Maske der Botschaft – die Musik ist Pierrot und ich als Künstler bin die Botschaft“, hat er 1972 erklärt.
In der vom Londoner Victoria and Albert Museum kuratierten David-Bowie-Ausstellung, die jetzt im Berliner Gropius-Bau gastiert, ist das Pierrot-Kostüm zu sehen, das der Sänger 1980 in seinem berühmten „Ashes to Ashes“-Video trug. Ein paar Räume weiter gibt es eine Tür, auf der steht: „David Bowie Is Not David Jones.“ Blickt man durch ein Guckloch, sieht man ein Atelier, in dem ein mit einem weißen Tuch verhängtes Gemälde auf der Staffelei steht. Bowie hat mit dem Gedanken gespielt, Maler zu werden, und unter den rund 300 Exponaten der Ausstellung sind auch einige seiner Bilder. Die Installation verdeutlicht seine ästhetische Strategie. Bowie geht es darum, immer wieder an einem Nullpunkt neu beginnen zu können. Die Leinwand muss weiß sein.
Die Ausstellung präsentiert die Exzentrik Bowies
Am Eingang wird der Besucher von dem fledermaushaften „Tokio Pop Bodysuit“ empfangen, den der Modedesigner Kansai Yamamoto 1973 für Bowie entworfen hat. Darüber hängt ein Zitat des Musikers, das als Gebrauchsanleitung für die Ausstellung zu lesen ist: „Kunst ist immer unscharf. Es gibt keine einzig richtige, sondern nur verschiedene Deutungen.“ Im ersten Raum hängen Porträts des zehn Monate alten Säuglings und gegenüber Fotos von Künstlern, die ihn später beeinflussen sollten: Elvis, Lonnie Donegan, Eartha Kitt und Bill Haley.
Bowie hatte keine allzu glückliche Kindheit. Seine Eltern waren schweigsam und emotional unterkühlt. Musik wurde zur Fluchtmöglichkeit. In der Ausstellung ist in einer Art Guckkasten eine Bühne aufgebaut, auf der mittels Projektionen ein Kinderzimmer, frühe Fernsehaufnahmen und Fotos von Bowies Band David Jones and the Original King Bees zu sehen sind. Mit 17 hat der Sänger einen bizarren Auftritt in einer Nachrichtensendung: Er trägt einen Pilzkopf und fordert als Gründer einer „Gesellschaft gegen Übergriffe gegen langhaarige Männer“, dass er nicht weiter von wildfremden Menschen auf der Straße mit „Schätzchen“ angesprochen werden möchte.
Sein Pseudonym legte sich David Bowie zu, um nicht mit Davy Jones von den Monkees verwechselt zu werden. Mit seiner Musik war er Teil des psychedelischen Rock- und Folk-Undergrounds von London. Er trat mit Tyrannosaurus Rex und Roy Harper auf, interessierte sich für Buddhismus, doch die Karriere kam nur mühsam in Gang. Nachdem Bowie die Bilder von der ersten Mondlandung gesehen hatte, schrieb er den Hit „Space Oddity“ mit den unsterblichen Zeilen: „Planet earth is blue / and there is nothing I can do.“ Der Song, mit dem die BBC die Live-Übertragung des Mondfluges von Apollo 11 unterlegte, eroberte den fünften Platz der britischen Charts. Major Tom, der Held, der am Ende in die unendlichen Weiten des Weltalls driftet, war in seine Umlaufbahn gebracht.
Hommage an das Wesen vom anderen Stern
Bowie hatte seine Mission gefunden, er wollte zum „Astronauten des inneren Raumes“ werden, wie es der Science- Fiction-Autor J. G. Ballard formulierte, den er damals las. Bei seinen Auftritten wirkte er wie ein Wesen von einem anderen Stern. Als er 1973 in der BBC-Show „Top of the Pops“ sang und einen bunten Jumpsuit trug, war die Fernsehnation irritiert. Ist das ein Mann? Eine Frau? Oder beides? Bowie orientierte sich am Look von Kubricks Film „A Clockwork Orange“ und wollte „radikale Gewalt in Liberty-Stoffen“ ausdrücken. Das Kostüm ist stark ausgeblichen. Es wird auf einer verspiegelten Bühne präsentiert, während im Hintergrund die TV-Bilder laufen.
Als Autor arbeitet Bowie wie ein Surrealist. In einer Vitrine steht ein Verbasizer, von dem er sich seit 1995 beim Schreiben inspirieren lässt. Er zerlegt Sätze nach dem Zufallsprinzip in immer neue Sätze. Laut Bowie wird dabei ein „Traumzustand“ erzeugt, „ohne dass man dafür eine ganze Nacht Träume durchleiden muss“. Es gibt einen kleinen Studionachbau in der Ausstellung mit schallgedämmten Wänden und Abbildungen von allen 27 Studioalben, die er seit 1967 veröffentlicht hat. Bowie ist ein höchst disziplinierter Musiker, ein Foto zeigt ihn im Schneidersitz beim Verfassen der Lyrics zu seiner Platte „Station to Station“.
Berlin war für Bowie immer ein Zufluchtsort
Was in der äußerst sehenswerten Ausstellung zu kurz kommt, sind die Abgründe und Nachtseiten in der Biografie des Musikers. Es gibt zwar eine Interviewsequenz, in der er erzählt, dass er in Los Angeles „eine der schlimmsten Zeiten meines Lebens“ verbrachte. Doch näher wird nicht auf das Thema Drogen eingegangen. Als Bowie in Philadelphia das Soul-inspirierte Album „Young Americans“ aufnahm, wog er noch 44 Kilo und war laut Backgroundsänger Luther Vandross „der weißeste Mann, den ich je gesehen habe“. In Los Angeles, wo „Station to Station“ entstand, war er fast ständig auf Kokain. Physisch schwer angeschlagen beschloss er: „Vielleicht lege ich mir das Image eines Ichs zu.“
In Berlin fand Bowie seine Zuflucht. Hier entstanden die Alben „Low“, „Heroes“ und „Lodger“, die der Sänger als seine „DNA“ bezeichnet. Die 14 Monate, die Bowie von 1976 bis 1978 in West-Berlin verbrachte, würdigt die Ausstellung mit einem eigenen Raum, der an eine expressionistische Filmkulisse erinnert. Denn neben dem Wunsch, von den Drogen loszukommen, war es sein Interesse für die Kultur der Weimarer Republik, das ihn nach Berlin trieb. Neben einem Holzschnitt von Erich Heckel sind Fotos für das Cover von „Heroes“ zu sehen, auf denen Bowie Heckels Gestik nachahmt. Über das Dasein des Sängers in der Schöneberger Hauptstraße 155 ist viel geschrieben worden, aber die Ausstellung präsentiert auch Überraschendes. Etwa einen Briefwechsel aus dem Berliner Filmmuseum, in dem David Bowie Marlene Dietrich mit „tiefster Liebe und Respekt“ bittet, sie in Paris besuchen zu dürfen. Die Diva hat ihn nicht empfangen.
Gropius-Bau, bis 10. August, täglich 10–20 Uhr. Der Katalog (Knesebeck Verlag) kostet 34 €.