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Jubiläum: Friedrich II. ist Preußens Popstar

Eine feste Größe im deutschen Geschichtsbild, eine Ausnahmegestalt: Warum uns Friedrich II. auch an seinem 300. Geburtstag noch erstaunlich nahe ist.

Jede Zeit schreibt sich ihre Geschichte neu. Bekommen wir also die Geschichte, die wir gerne hätten? Da kann man in diesen Tagen nur staunen. Denn war Friedrich II. je so gegenwärtig wie an seinem 300. Geburtstag? Der alte Fritz, seit Menschengedenken eine Ehrfurcht gebietende Respektsperson, heißt nun einfach: Fritz. „Unser König“ nennt ihn ein Autor, alle mit ihm verbundenen Kontroversen großzügig vereinnahmend. Der Frauenverächter wird mit Vorliebe von Schauspielerinnen dargestellt, der asketische Pflichtmensch als Liebhaber üppiger Tafelfreuden entdeckt, und auch das fortdauernde Interesse, ob er homosexuell war oder nicht, bedient noch unser auf Toleranz gestimmtes Zeitgefühl. Auch wird an Aktivitäten nicht gespart, die Friedrich-Erklärer sind im Dauereinsatz, und die Ausstellung, die die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten im April eröffnet, ist, natürlich, die größte in ihrer Geschichte.

Andererseits: Haben wir je so viel in so kurzer Zeit über Friedrich II. erfahren? So viele scharfsinnige Geschichtsdeutungen, so viele hübsche Nebensächlichkeiten? Wir mögen da in die Falle unserer Erinnerungskultur geraten sein, die im Sog des Medienbetriebs historische Ferne durch Fülle überspielt. Aber schadet es, wenn wir derart traktiert werden mit den Daten der Schlesischen Kriege, seiner Hundeliebe, den Zitaten aus seinen Briefen? Selbst wenn wir die populäre Ansicht dran geben müssen, dass er die Kartoffel eingeführt habe. Bleibt die Frage: Erreicht uns diese Gestalt am äußersten Rande unseres Geschichtshorizontes noch?

Verwunderlich ist dieser Friedrich auf Augenhöhe ja auch deshalb, weil wir uns früher viel schwerer mit ihm taten. Die zwei Räume, die ihm vor 30 Jahren bei der Preußenausstellung im Gropiusbau gewidmet waren, behandelten ihn vorsichtig wie eine brisante Ladung, die jeden Augenblick in die Luft gehen konnte – und gaben die Fenster frei für den nachdenklichen Blick, der damals über die Mauer auf das Trümmerfeld der nationalen Geschichte ging. Fünf Jahre später wagte sich Richard von Weizsäcker als Bundespräsident am 200. Todestag entschlossen an eine Bilanz des Themas, Titel: „Friedrich der Große und der Missbrauch eines Mythos“. Wieder fünf Jahre später wirbelte die Überführung seines Sarges nach Potsdam bei manchen nichts Geringeres als die Angst vor der Wiederkehr eines deutschen Nationalismus auf.

Ist also Entwarnung und Entspannung angesagt? Aber Friedrich II. sorgt ja selbst mit seiner Existenz dafür, dass das Rätseln über ihn weitergeht. Keine Fernsehoper, keine Geburtstagsparty kann ihm seine beängstigende Ambivalenz austreiben. Der Repräsentant des Vernunftstaats ist eben auch der Machtmensch, der expansionistische Wiederholungstäter, der Zyniker und Menschenverächter. Seine Staats- und Pflichtenethik hat das politische Denken inspiriert, aber auch den Sonderweg der Deutschen in den Gehorsamsstaat. Sein Bild, das generationenlang deutsche Wohnzimmer schmückte, hing auch in Hitlers Bunker. „Friederisiko“ wird die große Potsdamer Ausstellung heißen: in der sprachliche Zangengeburt, dem grenzwertigen Werbegag schwingt etwas mit von dem Wagnis, sich auf ihn einzulassen.

Friedrich II: Ideal und Idol, für Konservative und Liberale.

Am Ende aber siegt über alles Befremden die Ausnahmegestalt. Es scheint kaum jemanden zu geben, der nicht von ihm beeindruckt war. Noch in der heftigsten Ablehnung ist etwas davon zu spüren. Ist der Grund dafür der „große Mirakelton“ (Joachim Fest) seiner Geschichte, die exzessiv die Möglichkeiten seiner Existenz auskostete, zwischen brennender Ruhmsucht und der Rolle des Landesvaters? Oder der Eindruck einer unauflösbaren Mischung von Intellektualität und Empfindlichkeit, von Standesbewusstsein und einer in seiner Selbstreflexion fast modernen Individualität?

Es kompliziert das Verhältnis zu ihm zusätzlich, dass er keine der historischen Figuren ist, die nach ihrem Ableben spurlos in den Geschichtsbüchern verschwinden. Friedrich II. hat ein zweites Leben, ein Nachleben, das bereits zu Lebzeiten beginnt. Zwar ging das friderizianische Preußen 1806 im Aufstieg Napoleons unter, und um seinen realen Anteil an der deutschen Geschichte wahrzunehmen, braucht es die Lupe des Historikers. Um so mehr wirkte Friedrich weiter als Bezugsperson für die Sehnsüchte und Unsicherheiten der Deutschen in den Wechseln ihrer Geschichte. Der Blick auf ihn, schreibt der Historiker Frank-Lothar Kroll, ist „stets auch ein Blick in die Geschichte der deutschen Kollektivpsyche“.

Friedrich wird zum Ideal und Idol, für Konservative und Liberale, für Preußen und Nicht-Preußen. Und verdichtet sich jenseits aller Ideologien, die ihn für sich vereinnahmen, zu einer festen Größe im deutschen Geschichtsbild. Das ist vor allem die Folge der Kunst Adolph von Menzels, der die Geschichte Friedrichs so einprägsam nachgezeichnet hat. Seine Illustrationen, zumal zu Franz Kuglers 1840 erschienenen Geschichte Friedrich des Großen, machen – zusammen mit unzähligen Anekdoten – aus der barocken Gestalt, die er war, ein bürgerliches Exempel: den selbstlos-pflichtbewussten Charakter, den Philosophen auf dem Thron, den sorgende Landesvater. Der Friedrich, mit dem die Deutschen seither leben, ist, so gesehen, Menzels Friedrich.

Das Problem sind die nationalpädagogischen Deutungen, die spätere Jahrzehnte auf dieses Bild auftragen. Zumal im wilheminischen Deutschland und in der Weimarer Republik ist es Friedrichs heroische Idealisierung. Seine Kriege und seine überragende Statur erfüllen die Sehnsucht nach dem großen Mann, nach entschlossenem, heldenhaftem Handeln, nach einem starken Deutschland. Nun sieht er aus wie Otto Gebühr, der Hauptdarsteller in gleich 15 Friedrich-Filmen. Den traurigen Höhepunkt erreicht seine ideologische Ausbeutung im „Dritten Reich“. Indem die Nationalsozialisten ihn ins Martialische verbogen, machten sie ihn zum Eideshelfer erst ihres totalen Machtanspruchs und am Ende ihres zerstörerischen Durchhaltewillens.

Es ist diese Mythologisierung, mit der von Weizsäcker ins Gericht ging. Die Rede, gehalten ein gutes Jahr nach „der Rede“ zum 8. Mai 1985, lag mit ihrem aufklärerischen Impuls auf deren Linie. Der Auftritt im Schloss Charlottenburg, wo Friedrich II. seine Regentschaft begonnen hat, galt der differenzierten Ausleuchtung der Gründe und Abgründe seiner Person. Und führte Weizsäcker zu dem Schluss, dass nur die Skepsis, ja, die Abwehr der Mythenbildungen um dieses historische Phänomen „frei zum unbefangenen Blick auf geschichtliche Größe“ mache.

Sind wir inzwischen immun gegen diesen Umgang mit der Geschichte?

Sind wir inzwischen immun gegen diesen Umgang mit der Geschichte, wie Weizsäcker damals hoffte? Vielleicht macht es Friedrich II. für uns heute vor allem denkwürdig, dass in ihm und an ihm Geschichte in einer Weise Gestalt wird, für die es wenig andere Beispiele gibt. Das mag auch der Grund sein, dass er noch immer ziemlich populär ist. Obwohl doch fraglich ist, ob seine Taten noch in groben Zügen bekannt sind, wie Sebastian Haffner 1978 annahm. Um die anderen preußischen Friedriche und Wilhelme auseinanderzuhalten, braucht man eine Regentenliste. Ihn kennt man. Die scharf geschnittene Physiognomie, die eng anliegende Perücke, der Uniformrock mit dem Ordensstern – welchen König hätte Andy Warhol sonst zum Pop-Idol gemacht?

Vor allem: Um wie viel ärmer wäre die kollektive Erinnerung der Deutschen ohne die Szenen, Bilder und Sentenzen, die sich mit ihm verbinden? Der König, der nach dem Siebenjährigen Krieg einsam in der Kapelle des Schlosses Charlottenburg das Te Deum hört. Das bewegende Festhalten des historischen Augenblicks in den Menzel-Gemälden, im „Flötenkonzert“ in Sanssouci oder der stürmischen Begegnung von Friedrich II. mit Joseph II., dem Sohn Maria-Theresia, beide in der Alten Nationalgalerie zu sehen – großes Kino, aber Besitz für alle Zeiten. Die geflügelten Wortprägungen: der König als „erster Diener seines Staates“, sein handfestes Toleranz-Edikt, jeder solle „nach seiner Facon selig werden“. Selbst eine Feldlager-Grobheit wie das „Kerle, wollt ihr ewig leben“ gehört dazu.

Und bewegen wir uns nicht noch immer auf seinen Spuren, in den Räumen und Strukturen, die sein Bauwille angeregt hat? Was wäre Berlins Mitte ohne die Stadt-Figur des „Forum Fridericianum“, von Staatsoper, Humboldt-Universität, dem damaligen Prinz-Heinrich-Palais und der Kommode, der heutigen juristischen Fakultät, die damals die Königliche Bibliothek aufnahm? Und Potsdam? Nicht nur die Schlösser sind Friedrichs Erbe. „Die Erfindung (s)einer Stadt“ ist der Titel der Ausstellung, mit der die Stadt Potsdam daran erinnert, dass sie ihm bis heute ihre Prägung verdankt.

Ein Ereignis wie Friedrich II. gibt es nicht oft in der Geschichte. Ein Mann des ancien regimes, ein Kind seines Zeitalters, ein barocker Fürst, der doch als Gestalt noch wahrnehmbar ist in unserer Zeit. Als ein noch immer heller Stern am unergründlichen Himmel der Vergangenheit. Lichtjahre entfernt, wenn man auf seine Ära blickt. Und doch erstaunlich nahe, wenn man ihn auf sich wirken lässt.

Woran soll man erinnern – an den Aufklärer, den Kriegsherrn oder doch eher den Musenkopf und Musiker? Friedrich der Große – verehrt, verklärt, verdammt heißt eine Ausstellung vom 21. März an im Deutschen Historischen Museum (DHM) Berlin, die das Bild des Königs in der deutschen Erinnerungskultur untersucht.

Friedrichs Geburtstag feiert das DHM heute, 24. 1., mit freiem Eintritt und unentgeltlichen Themenführungen. Um 17 Uhr zeigt das Zeughauskino eintrittsfrei Der alte und der junge König, einen Ufa-Historienfilm von 1935.

In Potsdam präsentiert das Filmmuseum vom Mittwoch, 25.1., die Ausstellung Der falsche Fritz. Gezeigt werden mehr als 40 Kino- und Fernsehfilme, die sich mit dem Hohenzollern beschäftigen. Die Großschau Friederisiko der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten beginnt am 28. April im Neuen Palais.

Potsdam begeht das Jubiläum unter dem Motto „Happy Birthday, Friedrich!“ mit einem Fest im Nikolaisaal, dem Haus der Brandenburgisch- Preußischen Geschichte, Film- und Stadtmuseum. Das Brandenburger Kulturjahr fordert: Kommt zur Vernunft!

Hermann Rudolph

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