Kolumne: Der kleine Große
Friedrich II. wird gerade ausgiebig "eventisiert". Doch in Wahrheit haben die Deutschen keine emotionale Beziehung zum Preußenkönig. Er hat die Auseinandersetzung um historische Relevanz verloren - gegen Hitler.
Morgen vor 300 Jahren wurde der Preußenkönig Friedrich II. geboren. Auf den ersten Blick wurde nichts versäumt. Seit Wochen quellen die Buchhandlungen über von entsprechender Literatur. In den Zeitungen und Zeitschriften beschäftigt sich jeder und jede mit ihm. Und in seinem letzten Schloss feiert man ab April mit einer prunkvollen Ausstellung das „Friederisiko“. Doch der Schein trügt. Was als „Event“ daherkommt, ist auch nur ein solches. Friedrich weckt keine Emotionen mehr und nicht einmal der Streit um groß oder nicht groß berührt die Volksseele.
Das war einmal anders. Meine Eltern (Jahrgang 1881 und 1904) konnten sich noch über solche Fragen ereifern wie: War die Reformation Fluch oder Segen? Und hat Friedrich den Siebenjährigen Krieg verschuldet? Seine Taten, seine „deutsche Sendung“ waren nicht nur Teil historischen Fachinteresses, sie waren Allgemeingut bildungsbürgerlicher Debatten. Und nicht nur Thomas Mann fragte 1915 mitten im Weltkrieg in seiner Streitschrift über „Friedrich und die große Koalition“, ob Deutschlands Einmarsch in Belgien im Jahre zuvor nicht ebenso gerechtfertigt sei wie Friedrichs Überfall auf Sachsen 1756. All das ist inzwischen Vergangenheit. Seit Hitler im Bunker vergeblich auf ein neues Wunder des Hauses Brandenburg hoffte, ist die emotionale Nabelschnur, die einst die Deutschen mit Friedrich verband, zerrissen.
Die Gründe sind vielfältige. Da ist zum einen die Überbetonung des Ökonomischen, das die politische und die Ereignisgeschichte entwertet hat, getreu dem Clinton-Satz „It’s the economy, stupid“ – es ist die Wirtschaft, Dussel – und eben nicht mehr der Choral von Leuthen. Zynisch könnte man formulieren, dass allein die historische Figur Hitlers heute noch täglich relevant ist, sei es am Holocaust-Gedenktag, sei es durch die Morde von Neonazis oder durch den Streit um ein NPD-Verbot. Alle anderen historischen Gestalten und Ereignisse sind entrückt. Den Deutschen, so hat es der langjährige „Merkur“-Herausgeber Karl Heinz Bohrer einmal ausgedrückt, fehlt ein imaginativer poetisch-gefühlsstarker Bezug zu ihrer fernen Vergangenheit. Von Erinnerungslosigkeit und Geschichtsvergessenheit sprach einmal der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker.
Dieser Virus der Erinnerungslosigkeit hat inzwischen alle Geschichten und Geschichte vor 1933 infiziert, Luther und Bismarck nicht weniger als Friedrich. Wie es sich auch im Traditionserlass der Bundeswehr ausdrückt, akzeptable Geschichte ist für uns allein der Aufstand gegen Hitler. Und da das für die Bundeswehr eine etwas schmale Tradition wäre, hat man noch die Befreiungskriege von 1812/13 hinzugenommen. Dabei sind Großbeeren und Dennewitz so vergessen wie Rossbach und Kolin. Nun sage niemand, wir haben doch Guido Knopp. Denn auch Fernsehgeschichte ist bloß Nervenkitzel wie der Sonntagskrimi und nicht Teil unserer täglichen Notwendigkeit.
Diese deutsche Schwäche wird dann zum Problem, wenn sich andere geschichtsmächtigere Nationen auf ihre Vergangenheit berufen, wenn der polnische Entsatz Wiens 1683 zum politischen Argument wird oder Napoleons Befreiung der Juden aus dem Ghetto des Heiligen Römischen Reiches. Dann rächt sich, dass man manchmal den Eindruck haben kann, vor Hitler habe es keine deutsche Geschichte gegeben oder, schlimmer noch, alle vorherige deutsche Geschichte sei auf diesen Mann Adolf Hitler zugelaufen. Schon deshalb geht uns der Choral von Leuthen auch heute noch etwas an und sind Friedrichs Taten nicht bloß tote Buchstaben.
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