Preußenkönig: Friedrich der Große: Der beste Diener
Friedrich der Große war eine Ausnahme in der deutschen Geschichte. Sein Erbe ist die helle Toleranz.
Um Friedrich ist alles hell. Hell strahlen seine Taten, Kriegsruhm und Reformen, Toleranz und demütige Pflichterfüllung, hell ausgeleuchtet sind seine Untaten, Rechtsbrüche, Willkür, Jähzorn und zynische Spottlust. Die Widersprüche des Charakters und seiner Erscheinung müssen nicht mühsam ans Licht gebracht werden, sie lagen schon den Zeitgenossen wie in einer Vitrine zu Gegensatzpaaren geordnet zutage, die Menschenliebe und der Menschenhass, die Bescheidenheit und die Ruhmsucht, Aufgeklärtheit und absolute Herrschaft, künstlerischer Feinsinn und militärische Brutalität und über allem sein fiebernd rastloser, ständig reflektierender, an den Widersprüchen laborierender und sich rechtfertigender Geist.
Es ist nichts Dumpfes und Deutsches um ihn, und alle Versuche, ihn in die Geschichte der langsamen Herausbildung eines romantischen Nationalcharakters einzusortieren, müssen schon an seinem hohen Grad ironischer Bewusstheit scheitern. Unser König? Jedenfalls nicht im Sinne der deutschen Mentalitätsgeschichte. Kein romantisch bewegter Patriot hätte den Satz gesprochen, den Friedrich nach dem Sieg im Siebenjährigen Krieg bei seinem Einzug in Berlin dem Jubel entgegensetzte – dass man genauso gut einen alten Affen hätte aufs Pferd setzen können. Auch wenn darin Koketterie gewesen sein sollte – aber tatsächlich spricht alles nur für Erschöpfung und Depression –, dann wäre es die Koketterie des Rokoko, des unsentimentalen und ironischen 18. Jahrhunderts gewesen.
Friedrich war der erste, vielleicht einzige Intellektuelle auf einem europäischen Thron. Dazu gehört auch, dass es ihn zwanghaft zu Taten trieb, Gewalttaten, Befreiungsschlägen in eigener Sache, weil er wie jeder moderne Intellektuelle am Ende seinen eigenen schönen Geist verachtete. Noch in den schwärzesten Stunden des Siebenjährigen Krieges, wenn er seine Depression in nächtlichen Jammerbriefen an den Marquis d’Argens mit verzweifelten Horaz-Versen garnierte, hoffte er zugleich auf die militärischen und diplomatischen Schachzüge, mit denen er – morgen vielleicht schon! – die Schlacht gewinnen könnte. Friedrich war ein Intellektueller, aber er war auch ein Spieler, und die humanen Werte, die er in vielen schönen Schriften verkündet hatte, waren ihm zugleich Spielgeld, das er auf dem Roulettetisch der europäischen Politik und der europäischen Öffentlichkeit, die sich damals bildete, nach Belieben zum Einsatz brachte.
Der gute und selbstlose Herrscher – »Ich bin der erste Diener meines Staates« –, als der er sich im Gegensatz zu den egomanen Feudalherren seiner Zeit verstand, war zugleich ein Bild, mit dem er Propaganda machte, und man kann sich sehr wohl fragen, ob nicht auch die verfleckte Hauptmannsuniform, die er tagaus, tagein trug, mehr Bescheidenheit ausstellen sollte, als wirklich empfunden wurde. Friedrichs bedenkenloser Einsatz aller Mittel, auch der echten zum falschen Schein, ist nicht zu verstehen ohne den Erfahrungspessimismus, der ihn gelehrt hatte, dass mit Werten allein sich niemand Anerkennung verschafft, wohl aber mit Waffen und Geld. Cäsars Diktum, dass nur diese beiden in der Politik zählen, muss sich ihm früh eingeprägt haben. Zumindest dass Macht jedes Recht beugt, hat ihm schon der prügelnde Vater eingebläut, und spätestens mit der Hinrichtung des Jugendfreundes Katte, der dem Kronprinzen zur Flucht aus der väterlichen Tyrannis verhelfen wollte.
Aber auch die Psychopathologie, die sich aus diesem Erlebnis ergeben musste – die Hinrichtung vor Friedrichs Augen! –, ist nichts, was erst aus dem Dunkel verborgener Traumata herausgelesen werden müsste. Es fand alles, frühe Demütigung wie späterer Ruhm, im vollen Mittagslicht der Erkenntnis statt. Es gab kein Wegschauen; nicht nur der hohenzollernsche Basedowblick ließ Friedrichs Augen so weit aufgerissen erscheinen. Dass die Verachtung durch den Vater zur Sucht nach Ruhm und Anerkennung führen musste, dass die Beliebtheit des Bruders Heinrich, dem die Herzen zuflogen, quälende Eifersucht auslösen würde bei einem, dem sich die Herzen erst nach Aufforderung öffneten – das zu verstehen bedarf es nicht einmal einer Psychologie im engeren Sinne, sondern nur einfacher Logik, die eins und eins zusammenzählt.
Friedrich verbreitete eine Klarheit, in deren Bitterkeit er lebte.
Und Friedrich, geschult an der Rationalität der französischen Philosophen, die er las, an der französischen Sprache, die seine Muttersprache war, zählte immerfort eins und eins zusammen, unerschüttert von der Bitterkeit des Ergebnisses. Er hielt sie aus; das Aushalten wurde über die Jahre zu seiner entscheidenden Charakterkraft, die den einst strahlenden jungen Mann langsam krumm zog, wie einen Bogen unter steter Spannung, und den gebeugten missgünstigen Greis schuf, der nur noch in und für die Desillusionierung lebte, die er gegebenenfalls auch anderen zu bereiten wusste. Er leistete Bedeutendes dafür, dass jeder vor dem Gesetz gleich sei; aber im Einzelfall stellte er sich doch über das Gesetz. Er wollte gewiss den Staat, in dem jeder nach seiner Fasson selig werden konnte; aber er sorgte auch selbst dafür, dass die Fasson passte – indem er etwa einem adligen Offizier die bürgerliche Heirat untersagte. Es sollte keiner seiner Konfession halber benachteiligt werden, aber den Juden legte er Sondersteuern auf. Der Antimacchiavell, seine jugendliche Streitschrift wider die Winkelzüge der Machtpolitik, war vergessen, als er selbst der Winkelzüge der großen Politik bedurfte. Ein Monster der Heuchelei, wie ihn seine Kriegsgegner sahen? Noch in der Verachtung der eigenen Prinzipien behielt Friedrich etwas von einem tödlich erschrockenen Kind, erschrocken über die Schlechtigkeit der Welt, die er herausforderte, indem er sich ihrer Verkommenheit gewachsen zeigen wollte.
Zynismus und Desillusionierung waren der Preis, den Friedrich dafür zahlte, dass er immer alles hell und scharf, ohne gnädig verschwimmende Ränder und ohne Pardon für menschliche Schwächen sah. Er wollte sich nichts vormachen, und andere sollten sich auch nichts vormachen. Man könnte sagen, er war krankhaft misstrauisch. Man könnte aber auch sagen, in der deutschen Geschichte, in der immer so vieles Illusion und Utopie, dumpfes Drängen und Schöpfen aus unbewussten Antrieben und trüben Quellen war, ist Friedrich die überlebensgroße Gestalt einer anderen deutschen Möglichkeit, die mit ihm ein einziges Mal strahlend aufschien und wieder erlosch.
Um Friedrich war alles hell. Er verbreitete eine Klarheit, in deren Bitterkeit er lebte, aber auch seine Zeitgenossen zu leben zwang. Manche haben ihn dafür gehasst, viele bewundert, wenngleich meist nur, wenn sie die nähere Bekanntschaft vermeiden konnten. Einige Historiker haben ihn deshalb, zusammen mit der französischen Kultur, der seine Weltsicht entsprang, kurzerhand ausgebürgert. Der Franzose auf einem deutschen Thron – für diese Sicht spricht vieles, aber doch nicht alles. Er dachte gewiss nicht in nationalen Kategorien, sondern immer nur an Preußen, aber dieses eine deutsche Land war doch etwas, von dem er stark empfand, dass es zivilisiert werden musste, befreit von Aberglauben, dumpfen Vorurteilen, unzureichender Bildung und schlechtem Geschmack. Es sollte ins Licht einer universalen Vernunft treten; die Liebe zu deutschen Sonderbarkeiten, die Suche nach den irrationalen Ursprüngen eines Volkscharakters, die zu seiner Zeit aufkam, hatten seine Sympathie nicht.
Friedrich war eine deutsche Ausnahme, aber doch auch eine deutsche Möglichkeit und als solche ein Projekt, von dem man sich unwillkürlich fragt, was von ihm eingelöst wurde oder auch nur einlösbar ist. Vielleicht deshalb erregt er als historische Figur noch immer Bewunderung und Abscheu – aber gewiss nicht, weil man sich noch fragte, ob er für die politische Geschichte der Deutschen unheilvoll oder segensreich gewirkt habe. Diese Fragen sind abgetan. Nicht abgetan ist die Frage, die seine Kälte und Klarheit an die deutsche Mentalität stellen.
Friedrich stand quer zum Laisser-faire des alten Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, aber gewiss steht er nicht quer zu Toleranz, Rechtssicherheit, Pluralismus und Multikulturalismus der Bundesrepublik. Ein Antidiskriminierungsgebot ist echt friderizianisch. Der Bürger soll Steuern zahlen und den Nachbarn in Ruhe lassen – mehr verlangte er von der Gesellschaft nicht. All das, was heute noch verlangt wird, die Anpassung an eine nebulöse Leitkultur, die Forderung nach gesunder Lebensführung, schlecht sitzender Kleidung, Misstrauen gegen Fremde, einschließlich der neidischen Beobachtung des Nachbarn, ist nichts, was sich auf Friedrich berufen könnte. Jede Form von Rassen-, Kultur- und Religionshass ist von ihm explizit zurückgewiesen worden.
Aber gehorchen sollte der Bürger schon. Eine demokratische Tradition ist auf den König nicht zu gründen, aber eben auch keine Enthemmung des Mehrheitsprinzips ins Intolerante. Auch wenn er gegen Ende seines Lebens zu einer über die Maßen volkstümlichen Figur wurde, die in den Legendenschatz der Nation einging und politisch immer neu missbraucht wurde, war er alles andere als volkstümlich. Nicht Standesbewusstsein, wie hoch entwickelt auch immer, distanzierte ihn, sondern seine Intellektualität – und die allerdings spricht noch immer, über alle historische Ferne, zu uns. Das Leiden an den Verhältnissen, das Hadern mit dem Schicksal, die stete Selbstbefragung, die aus seinen Briefen sprechen – sie ergreifen noch unmittelbar. Wenn man sich je fragte, wie es wohl wäre, durch eine Zeitreise ins 18. Jahrhundert und an eines Königs Stelle versetzt zu werden, die Briefe beantworten es. Friedrich II. von Preußen, auch der Große genannt, ist der deutsche Monarch, in den sich durchaus ein Mensch der Moderne einfühlen kann. Seine Größe ist auch seine Zugänglichkeit. Indes wird von ihr stets ein Fonds von Trauer zurückbleiben, über das Kind, das nach Liebe weinte, aber auch über die ausgeschlagene deutsche Möglichkeit, Vernunft an die Stelle der Volkstümelei zu setzen.
Quelle: www.zeit.de
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