Jürgen Kruse inszeniert Camus am DT: Freude an Freud
Zwischen Tragikomödie und Farce: Jürgen Kruse inszeniert Camus’ „Missverständnis“ am Deutschen Theater.
Jürgen-Kruse-Inszenierungen sind ja irgendwie so was wie die letzten sicheren Bänke der Theaterbranche. Wer hingeht, tut das in aller Regel mit einer sehr spezifischen Zielvorstellung und wird dann auch mit einem sogar fürs selbstzitatfreudige Darstellungsbusiness überdurchschnittlichen Déjà-vu belohnt. Der unverwechselbare Kruse-Effekt besteht praktisch darin, dass man immer das Gefühl hat, den Abend schon mal gesehen zu haben. Und während das beim einen Publikumssegment quasi direkt mit Vorhangöffnung einen hochgradig begeisterten Dauerlachanfall triggert, lehnt sich das andere abendfüllend mit verschränkten Armen zurück: Sicher nicht die unvitalste Spaltungsenergie, die das Theater je hervorgebracht hat.
Diesmal also: „Das Missverständnis“ made by Kruse, in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin. Wie immer ist die Bühne (von Volker Hintermeier) dezidiert schummrig und von generösestem Requisitenaufkommen. Auf engem Raum drängeln sich Treppen, Mini-Verschläge, das Souffleusen-Sofa, Wäscheleinen, ganze Armadas leerer Weinflaschen und ein Hoteltresen in illustrer Keller-Kaschemmen-Manier.
Hinter dem Tresen lümmelt Barbara Schnitzler und vermeldet in persönlicher Bestnölform in der Rolle der „Mutter“, dass „er“ auf jeden Fall wiederkommen werde. Eine fundamental wichtige Information. Denn gemeinsam mit Tochter Martha, die lasziv und gleichzeitig begnadet laszivitätsparodierend in einem Sommerblumenkleid an der Rampe auf- und abschreitet (was wirklich nicht viele Schauspielerinnen so traumwandlerisch beherrschen wie Linda Pöppel), geht sie einem äußerst aufregenden Gewerbe nach, für das die Wiederkunft solventer „Ers“ unabdingbare Voraussetzung ist. Mutter und Tochter bewirtschaften eine Herberge und bringen jeden finanziell einigermaßen sanierten Gast, der sich entschließt, bei ihnen abzusteigen, gnadenlos um die Ecke, um sich vom Diebesgut zeitnah ein Leben an Meer und Sonne leisten zu können. Aus diesem Grund wird die Bühne frontal von einem schwarz-gelben Polizeiband mit Fernsehkrimi-Charme veredelt: „Police line, do not cross“.
Camus als Gruselschocker
Nun steht, wie es der dramatische Zufall will, eines Tages der seit 20 (bei Kruse – Dauerkalauer – natürlich seit 19,99) Jahren verschollene Sohn und Bruder Jan hinter der „Police line“. Zu seinem durchaus existenziellen Nachteil gibt er sich allerdings nicht zu erkennen, sondern wartet auf eine Art Liebeszeichen der Restfamilie. Ein tödlicher Fauxpas, klar.
Dass wir es mit einem Text von Albert Camus zu tun haben, erfahren wir freilich vornehmlich im Ironiemodus. Und zwar von dem dekorativ an einer Säule hockenden Schauspieler Jürgen Huth, der in regelmäßigen Abständen – und am liebsten an den unpassendsten Stellen – ein lustiges „Existenzialismus“ ins Geschehen hineinkräht. Kruse nimmt den Camus’schen Plot über die fundamentale Daseinsabsurdität – was dem 73 Jahre alten Stück definitiv nicht schlechttut – eher als Gruselschocker und platziert ihn irgendwo zwischen Tragikomödie und Farce, mit deutlichem Pendelausschlag in letztere Richtung.
Die Schauspieler sind bestens in Form
Soll heißen: Wer hier auftritt, kündigt seine Verbalergüsse gern angemessen sinnfrei mit Axtschlag an. Unter all dem liebevoll hindrapierten Bühnengerümpel steht, einem ordnungsgemäßen Horrortrip mehr als angemessen, zentral ein entsprechender Holzklotz bereit. Aus Teetassen wird fröhlich Kunstblut über Kollegenköpfen ausgegossen und ansonsten – wie immer bei Kruse – ausgiebig „geläutert“ statt geläutet. Was man zweifellos mögen muss, um an diesem pausenlosen Zweieinviertelstünder seine Freude zu haben, denn „geläutert“ wird in einer Herberge naturgemäß oft. Der gute alte Freud’sche Versprecher siedelt hier solide auf dem Niveau „Ich will meinen Mann abhängen, äh, -holen“. Und ansonsten ist der passende Soundtrack traditionsgemäß mindestens so wichtig wie der notenfreie linguistische Output.
Aber mal ganz abgesehen vom subjektiven Ästhetik- und Humorempfinden: Dass die Schauspieler an diesem Abend bestens in Form sind, steht außer Frage. Barbara Schnitzler steigert sich im Moment der Erkenntnis, soeben ihren Sohn umgebracht zu haben, in einen Kreischanfall von wirklich herrlich komplexen Gnaden. Manuel Harder holt aus dem „verlorenen Sohn“ eher den halbseiden verschwitzten Gigolo heraus und liefert sich mit Linda Pöppel als Schwester Martha auf höchstem Niveau sinnfrei vor sich hin kalauernde Inzest-Verführungsspielchen, bevor er sich in einer aufwendigen Art Ganzkörperbandage praktischerweise mehr oder weniger selbst entsorgt. Und Alexandra Finder, die hier – gemessen am Stücktext – als Jans Gattin Maria eine vergleichsweise unbesorgte Dauerpräsenz an den Tag legt, lässt wirklich keinerlei Zweifel daran, prinzipiell dringlichere Probleme zu haben, als irgendwo den eigenen Mann „abzuhängen, äh, -holen.“ Hymnischer Beifall der Kruse- Stammfraktion.
wieder am 6., 16. und 25. Dezember
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