Theater: Trost der Tragödie
"Das Missverständnis" von Albert Camus: Der Plot klingt nach Samstagabend-Thriller, ist aber ein philosophischer Beitrag zur Kategorie des Absurden. In den Kammerspielen des Deutschen Theaters wird das Stück von Gil Mehmert solide inszeniert.
Die Gastwirtin Martha und ihre Mutter haben eine höchst effektive Methode entwickelt, ihre Finanzen aufzubessern. Kaum hat sich ein zahlungskräftiger Gast in ihr gottverlassenes Hotel verirrt, flößen sie ihm Schlafmittel ein, rauben ihn aus und entsorgen ihn anschließend im Fluss. Eines absurden Tages fällt versehentlich auch ein Familienmitglied dieser Geldbeschaffungsmethode zum Opfer. Das Gewissen hatte den ausgewanderten Sohn Jan nach zwanzig Jahren in die Wirtschaft zurückgetrieben – um Mutter und Schwester finanziell zu unterstützen. Aus verqueren Gründen gibt er sich allerdings nicht zu erkennen und wird in bewährter Manier hingemordet. Als die Täterinnen das „Missverständnis“ entdecken, bringen sie sich – aus unterschiedlichen Motiven – um.
Was an der Oberfläche nach einem Samstagabend-Thriller klingt, ist de facto ein philosophischer Beitrag zur Kategorie des Absurden, das Albert Camus bereits in seinem Essay „Der Mythos von Sisyphos“ zur Grundverfasstheit der menschlichen Existenz erklärt hatte. In diesem Sinne wollte er seinen 1941 während der deutschen Besatzung in Frankreich entstandenen Dreiakter „Das Missverständnis“ als „Versuch einer modernen Tragödie“ verstanden wissen, deren Figuren bisweilen entsprechend abstrakte Ideen vor sich her tragen.
Und Ideenträger lassen sich bekanntlich nicht leicht auf der Bühne inszenieren. Schon gar nicht, wenn die unmittelbare Dringlichkeit ihrer Kopfinhalte über sechzig Jahre zurückliegt: Ein Problem, das auch Gil Mehmerts Inszenierung in den Kammerspielen des Deutschen Theaters nicht zu lösen weiß. Wenig überraschend setzt der Regisseur bei seinem DT-Debüt auf Camus’sche Modellhaftigkeit mit Anflügen von Psycho-Realismus: Bühnenbildnerin Alissa Kohlbusch hat einen U-förmigen, klobigen, multifunktionalen Steg gebaut, der für sämtliche Settings vom Bartresen über die Hoteltreppe bis zum Flussufer taugt und in dem das Geschehen genauso erbarmungslos wie vorhersehbar abschnurrt.
Dabei spielt Valery Tscheplanowa die junge, frühfrustrierte Martha zweifellos toll: Wie sich die Härte der Zukurzgekommenen und die finstere Entschlossenheit, sich unter mörderischen Umständen zu nehmen, was man unter normalen nicht kriegen kann, auf ihrem engelsgleichen Gesicht Bahn brechen, ist absolut sehenswert. Traute Hoess als ihre müde, barsche Mutter bringt das Absurde auch jenseits der großen Philosophie – in höchst gegenständlicher Trockenheit – auf die Bühne. Lucas Gregorowicz gibt den Sohn in programmatisch blasser Freundlichkeit, während Katharina Schmalenberg als seine Gattin Maria den Ton zielsicher zwischen ahnungsvoll besorgter und irgendwie grundsatzbeleidigter Ehefrau ansiedelt. Und der Live-Musiker Jens Fischer Rodrian schlägt dazu am linken Bühnenrand wirkungsvoll auf seine Trommel.
So weit, so solide. Doch wusste man am Ende immer noch nicht, warum Regisseur und Haus ausgerechnet auf dieses Stück verfallen waren. Christine Wahl
Wieder am 25. und 29. 9., 20 Uhr.
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