Kultur: Kein Drama ist auch keine Lösung
Von Katzen und Katerstimmung: Jürgen Kruses „Cocktail-Party“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin
Von Rüdiger Schaper
Was bisher geschah: wenig. Der September ist vorüber, und noch immer hat die Berliner Theatersaison nicht wirklich begonnen. Ein paar Premieren gab es schon, aber die waren am anderen Tag schon wieder vergessen. Oder buchstäblich ins Wasser gefallen, wie „Trauer muss Elektra tragen“ am Deutschen Theater. Jürgen Kruse hätte es nun in den DT-Kammerspielen richten können. Er spielte hartes Kontrastprogramm: Während Konstanze Lauterbach ihren O’Neill in den Fluten des Kitschs ertränkte, zappelt T.S. Eliots „Cocktail-Party“ wie ein langsam verendender Fisch auf dem Trockenen.
Kruse, einst Assistent bei Peter Stein an der Schaubühne und später in Freiburg, Bochum (und gelegentlich auch in Berlin) ein legendärer junger Wilder, einer der ersten Pop-Theater-Regisseure überhaupt, zeigt sich hier überraschend friedlich, bürgernah, konventionell. Keine Sauf- und Prügelorgien auf der Bühne (und auch nicht in der Theaterkantine), kein exzessiv-rituelles Abspielen von Neil-Young-Alben, nur einmal, in halbwegs angemessener Lautstärke, die Toten Hosen: „Kein Alkohol ist auch keine Lösung.“
Eine Sammlung von Negationen. Kein Gott, keine Liebe, keine Lebensperspektive: Daran leiden das Ehepaar Edward und Lavinia und ihre Party-Gäste. Auch kein Stück für heute? „Die Cocktail-Party“ wurde 1949 in London uraufgeführt, ein Jahr später gab es in Düsseldorf die deutschsprachige Erstaufführung mit Elisabeth Flickenschildt, Mariane Hoppe und Gustaf Gründgens. Von dem zum Katholizismus konvertierten Amerikaner T.S. Eliot kennt man inzwischen nur noch den Zyklus „The Waste Land“ und jene Gedichte, die zum Songbook des Musical „Cats“ mutierten.
„Die Cocktail-Party“, das ist auch ein großer metaphysischer Katzenjammer. Ein existenzialistischer Menschenversuch, der ergebnisorientiert abläuft. Demut sollen die Dekadenzlinge lernen, sich aufopfern in humanitären Projekten. Zu einer solchen Stückwahl gehört Mut. Doch Jürgen Kruse misstraut nicht nur den Eliot’schen Antworten (was man verstehen mag), sondern er stellt auch die fundamentalen Fragen nicht richtig oder hilflos ungenau.
Im Bühnenbild von Steffi Bruhn sieht es aus wie in einer besseren Wohngemeinschaft. Quietschbunt, unaufgeräumt, vollgestopft mit Krims und Krams und Pop-Art-Schiebewänden, schöne Frauen liegen stumm und schläfrig und vergessen herum, und die Gäste wollen auch nie gehen; sie vertreten sich höchstens mal in den Kulissen die Beine, um, kuckuck, sogleich wieder mit albernem Psychoterror aufzutrumpfen. Getrunken wird unglaublich wenig, dafür umso mehr hochprozentig dialogisiert. Ein Kindergeburtstag mimt Erwachsenentheater. Worte wie Liebe, Ehe und Nervenzusammenbruch fliegen durchs belagerte Wohnzimmer (die Eltern sind verreist!?), als seien es Teile aus einem Trivial-Pursuit-Spiel.
Eliot dichtete seine „Cocktail-Party“ auf der Folie der „Alkestis“ von Euripides, jenem antiken Drama, in dem die Frau sich für den Mann opfert und auf höhere Weisung wieder ins Leben zurückkehrt. In den Kammerspielen scheint es, als läge zwischen Eliot und Euripides (2000 Jahre) eine ebenso große Distanz wie zwischen Eliot und uns; markiert durch zwei Pappschilder am Bühnenportal mit den Jahreszahlen 2002 und 1949. Der Regisseur Jossi Wieler hat unlängst an den Münchner Kammerspielen gezeigt, dass der Orkus, in dem die Mythen brüten, zu überbücken ist: Er inszenierte ohne den Umweg über Eliot „Alkestis“ als kühle Soap-Opera; und Drinks gab es auch.
Kruse verliert sich in Spiegelfechtereien. In den bald dreieinhalb Stunden ist das – verräterisch! – die schönste Szene: Lavinia und Celia, Edwards Ehefrau und seine Geliebte, ziehen blank und gehen mit Degen und einem Mick-Jagger-Song aufeinander los. Da fällt einmal alle Anstrengung und Überforderung von ihnen ab.
Sie sind jung, attraktiv, falsch platziert. Inka Friedrichs Lavinia, die plötzlich Verschwundene, kommt mit nassen Haaren wie von einem Date im Fitness-Studio zurück. Katharina Schmalenbergs Celia, blondes Teufelchen, verhaspelt sich mit Bedacht in den schwerblütigen Monologen, sagt Edward, wenn sie etwas meint, aber das klingt mehr nach Probenwitz als nach einem Schlüssel zum Text. Wolfram Koch fährt sich pausenlos durchs Haar, wandert vom Sofa zum Stuhl, wechselt den Schlips und hat den ganzen Sermon sehr bald satt: Edward ist genervt, aber nie getroffen. Genervt von der falschen Gesellschaftstante Julia (Barbara Schnitzler), den fatalen Kochkünsten Alexanders (Gerd David) und dem ewigen Siegergrinsen des Hollywood-Karrieristen Peter (Martin Brauer). Ein bisschen Boulevard ist auch keine Lösung.
Und Gott? Der anscheinend Allmächtige tritt bei Eliot als Psychotherapeut mit Teufelsschweif auf. Als dunkler, überirdischer Unbekannter. Doch Edward und seine Lieben kriegen es hier bloß mit einem notorischen Besserwisser zu tun: Bernd Stempel, glatzköpfiger Hüne, verkauft vielleicht Versicherungen oder Wohnungen, jedenfalls keine Seelen. Es bleibt ein völliges Rätsel, warum man sich diesem schmierigen Protz mit Haut und Haaren ausliefert – und wann endlich die Leute kommen, von denen immerzu die Rede ist. Wann die Party beginnt.
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