"100 Jahre Copyright" im HKW: Fremde Schnipsel, neue Welten
Sample-Kunst und der ewige Streit ums geistige Eigentum: das Festival „100 Jahre Copyright“ im Haus der Kulturen der Welt. Bei der Eröffnung spielt das Duo Den Sorte Skole.
Die Musik des dänischen Sampling-Duos Den Sorte Skole zu beschreiben, ist keine leichte Aufgabe. Jede einzelne Nummer ist eine Collage aus zig Bausteinen, ein „Kaleidoskop der Musikgeschichte“, wie Martin Højland von Den Sorte Skole selbst sagt. Eine gezupfte Gitarre wird von einem elektronischen Pfeifen begleitet, ein klagender Bluesgesang setzt ein und löst sich bald in einem Trommelgewitter auf und so geht das immer weiter. Ein Track von Den Sorte Skole ist eine musikalische Reise durch die Welt und die Zeit.
Martin Højland und sein Partner Simon Dokkedal spielen ihre Musik nicht selbst ein, zumindest nicht mit herkömmlichen Instrumenten. Ihr primäres Arbeitsgerät ist der Sampler. Mit diesem collagieren sie etwa die Klänge einer Tabla, die sie auf einer alten indischen Platte gefunden haben, mit obskuren Space-Sounds einer unbekannten deutschen Krautrockband und anderen seltsamen Klängen. „97 Prozent unserer Musik ist gesampelt“, erklärt Martin Højland im Gespräch. Dass es nicht hundert Prozent sind, liege daran, dass Basslines so schwer zu sampeln seien und deswegen teilweise dann doch selbst eingespielt werden müssten.
Musik, die mal mehr, mal weniger auf bereits existierender Musik besteht, das ist nichts Neues mehr. Schon 1996 brachte DJ Shadow mit „Endtroducing....“ das erste komplett aus Samples bestehende Album heraus. Im Hip-Hop, dem aktuell dominierenden Genre der Popmusik, ist Sampling die Regel. Die Recherche nach einem passenden Soundschnipsel ist für Musikproduzenten heute so selbstverständlich wie früher die Suche nach einem bestimmten Gitarrenriff.
Im Reggae wurde das Urheberrecht oft lax gehandhabt
Das Festival „100 Jahre Copyright“, das diese Woche im Haus der Kulturen der Welt stattfindet und auf der Den Sorte Skole (dt.: Die Schwarze Schule) das Eröffnungskonzert geben, beschäftigt sich mit den Bedingungen, unter denen heute Popmusik entsteht. In Performances, Konzerten und Talkrunden soll der Frage nachgegangen werden, wie praktikabel das Copyrightsystem im digitalen Zeitalter überhaupt noch ist, inwieweit es Urhebern zugutekommt oder ob es für die freie Entfaltung von Kunst doch eher hinderlich ist.
Wobei es das Urheberrecht schon länger als 100 Jahre gibt, entsprechende Gesetze wurden in verschiedenen Ländern zu unterschiedlichen Zeiten eingeführt. In den 1910er Jahren entstand dank Massenmedien wie dem Radio, Schallplatten und Grammofonen eine Kulturindustrie, die neue Regularien erforderte. Dies war der Beginn einer bis heute andauernden Entwicklung, etwa wenn um die Vergütung von Musikvideos gestritten wird, die bei Youtube hochgeladen werden.
Auf dem Festival kommen auffallend viele Beiträge aus dem Reggae- und Dubgenre. Denn gerade Reggae ist ein gutes Beispiel dafür, was passieren kann, wenn eher lax mit Copyrightfragen umgegangen wird. Als Reggae in den 70ern groß wurde, gab es so gut wie keine Copyrightregeln auf Jamaika. Die Musiker spielten ihre Stücke ein und wurden dafür vom Produzenten bezahlt. Die sogenannten Riddims standen nun diesem, aber auch anderen Produzenten zur freien Verfügung. Zig sogenannte „Versions“ entstanden, die Reggaekultur wurde lebendig und kreativ wie nie, während die Musiker selbst oft am Hungertuch nagten.
Den Sorte Skole benutzen bis zu 2000 Samples für einen Song
„Ich bin nicht naiv. Aktuelle Copyrightregeln können gut sein“, so Martin Højland von Den Sorte Skole, „wenn jemand einen markanten Teil von einem Stück aus dem Jahr 1973 nimmt, dazu eine Bassdrum bastelt und damit einen Hit hat, sollte er dafür auch bezahlen müssen.“ Das Problem, das er jedoch sieht: „Das Copyrightsystem ist gemacht für die großen Stars. Sie können sampeln, weil sie das Geld dafür haben. Madonna etwa kann Abba sampeln, dafür zahlen und daraus einen Megahit machen. Als junger Produzent, der Ähnliches machen will, hast du das Geld nicht. Das System funktioniert also für die kleineren Künstler nicht.“
Den Sorte Skole gehören zu diesen kleineren Künstlern ohne Riesenbudget. Dennoch arbeiten sie wie Madonna, nur noch viel extremer. „Auf unserer letzten Platte haben wir Musik aus 75 Ländern gesampelt“, so Højland , „in manchen Stücken kommen bis zu 2000 unterschiedliche Samples zum Einsatz.“ Selbst ein bestimmter Drumsound, der bei einem ihrer Stücke zu hören ist, kann das Produkt einer kleinen Samplingorgie sein, die Kick-Drum stammt dann von der einen Platte, die Hi-Hat von einer anderen.
Den Sorte Skole bewegen sich damit permanent in einem rechtlichen Graubereich. Bei der Vielzahl der Samples sei es schlicht unmöglich, alle Rechte zu klären, so Martin Højland. Deshalb fragt das Duo grundsätzlich nie nach, sondern sampelt einfach drauflos. „Wir bräuchten sonst Jahre, um die Rechte für eine unserer Platte zu klären, und es würde zig Millionen Euro kosten.“
Es gibt inzwischen zahlreiche Fälle, in denen Musikproduzenten einander verklagt haben, weil sie ihr Urheberrecht verletzt sahen. Aktuell steht etwa immer noch ein endgültiges Urteil im Rechtsstreit zwischen dem Frankfurter Produzenten Moses Pelham und der Band Kraftwerk aus. Bald 20 Jahre wird nun schon zu klären versucht, ob es eine kreative Leistung Pelhams war, zwei Sekunden aus „Metall auf Metall“ von Kraftwerk für einen Song als gelooptes Sample zu verwenden, oder ob er Diebstahl am geistigen Eigentum der Düsseldorfer Gruppe begangen hat. Derzeit liegt der Fall beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg.
Das dänische Duo listet alle seinen Quellen auf
Auch Den Sorte Skole müssen jederzeit damit rechnen, dass sie jemand verklagt. Dann müsste vor Gericht geklärt werden, ob ihr eigener Anteil an der Schöpfung der Songs durch die Verwendung fremder Musikquellen groß genug ist, um ein Sampling ohne Einholung einer Erlaubnis zu rechtfertigen. „Was wir tun“, so Martin Højland, „ist eigentlich illegal. Vielleicht, und das glauben wir, ist es aber auch Kunst eigener Ordnung.“ Einen Arrangeur nennt er sich deswegen auch und sogar einen Komponisten, der via Sampler ein gewaltiges „Geisterorchester“ leiten würde.
Den Sorte Skole gehen ganz offen mit ihrer Copyrightproblematik um. Sie verfremden die Quellen, die sie verwenden, oft bis zur Unkenntlichkeit. „Aber wir erstellen dennoch immer eine Liste, die offenlegt, was wir gesampelt haben, und veröffentlichen diese“, sagt Højland. In ihren CD-Booklets bekommt man seitenlange Informationen darüber, welche Musik in jedem einzelnen Stück verwendet wurde. „Wir zollen den anderen Musikern damit Respekt. Wir wollen, dass die Leute lesen, wen und was wir gesampelt haben, und dann die originalen Platten kaufen.“ Bislang sei alles gut gegangen und manchmal bekommen die beiden sogar E-Mails von Musikern, die ein paar Takte aus einem ihrer Songs erkannt haben und sich dafür bedanken.
Haus der Kulturen der Welt, 18. bis 21. Oktober
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