Album-Kritik: Auf Schnipseljagd
Rap, Rock, Mundharmonika: DJ Shadow sampelt sich auf seinem vierten Album "The Less You Know, The Better" quer durch die Musikgeschichte
Der Hip-Hop trägt Trauer im Herbst des Jahres 1996. Gerade ist Tupac Shakur erschossen worden, das Genre hat einen seiner wichtigsten Künstler verloren. Doch schon drei Tage nach dem Tod des legendären Westcoast-Rappers bringt ein 24-jähriger Musikproduzent namens Josh Davis sein Debütalbum heraus, das dem Hip- Hop völlig neue Dimensionen eröffnet. Er nennt es „Endtroducing.....“ und sich selbst DJ Shadow. Der Geniestreich eines Mannes, der nicht mehr alle Platten im Schrank hat.
Er ist ein Vinyl-Süchtiger, dessen Sammlung bis heute auf rund 60 000 Schallplatten angewachsen ist. Sie sind auch für sein Album „The Less You Know, The Better“, das diesen Freitag erscheint, wieder Inspirationsquelle und Ausgangsmaterial. Denn sein Instrument ist der Sampler. Mit welcher Virtuosität er ihn bedienen kann, zeigt er bereits auf seinem Debüt, das ein riesiges Mosaik ist. Als Steine dienen ihm Samples aus mehr als 500 Alben, die er mit einem Akai MPC 60-Sampler und zwei Plattenspielern zusammenmischt. Einen Computer besitzt er damals nicht.
Natürlich ist Sampling in den Neunzigern schon lange üblich, doch sein Album ist das erste, das komplett aus Samples besteht. Das Prinzip der Postmoderne – verdichtet auf 63 Minuten und 27 Sekunden. Dabei sind die Zitate kaum mehr als solche zu identifizieren, weil sie fließend ineinander übergehen: Beastie Boys, Metallica und Giorgio Moroder. Björk, T. Rex und Grandmaster Flash. Gesprächsfetzen aus dem Horrorfilm „Die Fürsten der Dunkelheit“, aus „Twin Peaks“ und „Blade Runner“. Ein hypnotisches Album, das man so noch nie gehört hat und das bis heute unerreicht ist.
Angefangen hat Josh Davis als DJ. Schwer beeindruckt von Public Enemy, die bei einem Konzert Isaac Hayes’ Song „Hyperbolicsyllabicsesquedalymistic“ sampeln, beginnt er Ende der Achtziger, mit neuen Formen des Hip-Hop zu experimentieren. Lässt Funk, Jazz, Soul und Ambient in seinen Sound einfließen. Und veranlasst Musikjournalisten neue Begriffe wie „Trip-Hop“ zu erfinden, um seine Klangcollagen zu beschreiben. Sehr zutreffend schlägt der Pop-Kritiker Karl Bruckmaier 1997 vor, dass man DJ Shadow statt als „Jimmy Page“ – wie es der New Musical Express tut –, lieber als „Ry Cooder des Samplers“ bezeichnen solle. Schließlich geht es beiden um das Aufsaugen unterschiedlichster Stile, vor allem aus der afroamerikanischen Musik.
Nach zwei Platten, mit denen Davis ganz bewusst alle Fans enttäuschte, die ein zweites „Endtroducing.....“ verlangten, legt der 39-Jährige aus San Jose nun sein viertes Studioalbum vor. Darauf geht es wieder ausgesprochen eklektisch zu. Doch während auf seinem Debüt aus den Einzelteilen ein organisches Ganzes entstand, ist das bei „The Less You Know, The Better“ nicht der Fall. Vielmehr gewinnt man den Eindruck, dass es vor allem um das Ausstellen von Stilvielfalt geht – als wolle DJ Shadow mit den Schätzen seiner Plattensammlung angeben. Schon im kurzen Eingangsstück scratcht er über eine E-Gitarre, Telefongeräusche, Stimmen und einen klassischen Hip-Hop-Beat.
Das Album ist ziemlich rocklastig. So dominieren etwa in „Border Crossing“ stark verzerrte Gitarren, was kombiniert mit dem elektronischen Schlagzeug fast schon an den Industrial Rock der Nine Inch Nails erinnert. Gastmusiker sind unter anderem Posdnuos von De La Soul und Talib Kweli. In „Stay the Course“ rappen die beiden im Duett zu einem großartigen Basslauf, sogar eine Mundharmonika ist dabei. „I’ve Been Trying“ ist eine nette Akustikballade, irgendwo zwischen Johnny Cash und Pink Floyd. Da darf am Ende auch mal ein Zug vorbeirattern.
Und in „Sad and Lonely“ warnt die inzwischen verstorbene Folksängerin Susan Reed junge Mädchen vor Liebeskummer. Ein schlichtes, wunderschönes Stück, das an „Endtroducing.....“ erinnert und irgendwie auch an Mobys „Play“. Eine tolle Stimme, Streicher und eine simple Klaviermelodie – das genügt. Stücke wie diese sind die Stärke von DJ Shadow, Rocknummern eher nicht. Sie wirken oft blutleer und einfallslos. Wer braucht schon eine gesampelte Imitation von mittelmäßigem Indie-Rock? Auch „Tedium“ klingt, wie der Titel vermuten lässt: schlicht langweilig. In einem Zwischenspiel sagt eine Männerstimme: „More and more I have the feeling that we are getting nowhere.“ Ja, das stimmt, denkt man. Oder ist das schon Selbstironie?
Man vermisst die Soundexperimente des Debüts und seine eigentümliche Atmosphäre. Doch die zweite Hälfte von „The Less You Know, The Better“ überzeugt mehr. In „Run For Your Life“ herrschen Funk und Afrobeat. Und der Sänger im Hintergrund klingt fast wie James Brown. Experimenteller wird es beim längsten Song „I Gotta Rokk“: Breaks, Händeklatschen und ein mächtiger Beat, der ständig von links nach rechts wandert, schneller und langsamer wird. Dazu sägende E-Gitarren, die vom einzigen Album der Heavy-Metal-Band Steeler stammen. Da nickt der Kopf zum Robot-Rock.
Das beste Stück ist „Scale It Back“. Es wurde zusammen mit der schwedischen Band Little Dragon geschrieben, die spätestens seit „Ritual Union“, ihrem kürzlich erschienen dritten Album, kein Geheimtipp mehr sind. Es klingt, wie aus dem Ärmel geschüttelt: der fantastische Gesang von Yukimi Nagano, ein paar Klavierakkorde und der schleppende Rhythmus von Jazz-Schlagzeuger Stanton Moore. Weniger ist eben manchmal mehr. Das gilt auch für jemanden, der 60 000 Platten im Schrank hat.
„The Less You Know, The Better“ erscheint am 30.9. bei Island/Universal
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