Deutscher Buchpreis: Frank Witzel gewinnt
Richtige und beste Entscheidung: Der Deutsche Buchpreis 2015 geht an Frank Witzels „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“.
Wer hätte das gedacht: Frank Witzel gewinnt mit seinem 800-Seiten-Großroman „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ den Deutschen Buchpreis 2015! Das könnte man als Überraschung bezeichnen, als eine schöne dazu, aber auch nur, weil dem 1955 in Wiesbaden geborenen, heute in Offenbach lebenden Witzel im Vorfeld der Preisverleihung gerade einmal Außenseiterchancen eingeräumt worden waren.
Jenny Erpenbeck mit ihrem Flüchtlingsroman „Gehen, ging, gegangen“ und Ulrich Peltzer mit „Das bessere Leben“ über unsere globalisierte Welt, die Finanzströme und die Vereinzelung des Menschen darin, galten als Favoriten; Erpenbeck, weil sie den aktuellsten Roman geschrieben, Peltzer, weil er seinen Stoff auch formalästhetisch zu durchdringen und auf Höhe zu bringen versucht hat. Und beide, weil sie im Vergleich mit ihren vier Shortlist-Konkurrenten zur Prominenz der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur gehören. Aber die Entscheidung für Witzel, gefällt übrigens von einer Jury, die mitunter sehr gescholten wurde für ihre Auswahl, ist ansonsten keine Überraschung. Denn „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ ist nicht nur der maßloseste, sondern auch der gelungenste, bei aller Disparatheit dichteste, literarisch überzeugendste, sich null an den Zeitgeist anbiedernde, überdies irrste Roman von den sechs Shortlist-Titeln.
Witzel verbindet den Politikirrsinn der siebziger Jahre mit hessischer Heimeligkeit
Ein Roman, der Pop und Politik miteinander verschränkt, der den Politwahnsinn der siebziger Jahre mit seinen vielen Pamphleten genauso schön abbildet wie den Muff und die Heimeligkeit der hessischen Provinz, die sich hier aus den fünfziger und frühen sechziger Jahren erhalten hat; ein Abgesang auf die untergegangene Bundesrepublik, auch in einem schönen Kontrast zu früheren Deutsche-Buchpreis-Siegerromanen wie Uwe Tellkamps „Der Turm“ oder Lutz Seilers „Kruso“ mit ihren DDR-Untergangsszenarien. All das geschildert mal aus der Perspektive und in der Sprache eines 13-jährigen Jungen, mal aus der des Erwachsenen, dann wieder übernehmen Freunde und Freundinnen das Wort. Kein Kapitel gleicht in diesem vielstimmigen Buch einem anderen, und von einer Hamburger Konferenz zur RAF geht es zum Psychotherapeuten und dem kirchlichen Seelsorger des Erzählers, zu Dr. Märklin und Herrn Fleischmann – und wieder zurück. Und wenn man sich gerade an Grass und Lenz und ihre „Blechtrommel“ und „Deutschstunde“ erinnert fühlt, an deren Helden, die in irgendwelchen Krankenzimmer sitzen und aus ihrem Leben berichten, ist Witzel schon wieder bei kleinen Fruchtgummiteufelchen, bei Tchibo und Neckermann oder erzählt die Geschichte eines anderen Jungen namens Achim als Schneider-Roman. „Don’t cry, work!“, könnte man sagen. Oder auch:„Don’t cry, read!“
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